Kojas Wanderjahre. Alois Theodor Sonnleitner

Kojas Wanderjahre - Alois Theodor Sonnleitner


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wieder, wenn sie ihm den Weg gezeigt hatte zur unterirdischen Schatzkammer der Wichtelmännlein, wo sie goldene Ringlein und Ketten und funkelnde Steine aufbewahren. — So gewannen die Tiere des Waldes für Koja Bedeutung. Seine Naturgeschichte war voll Aberglauben und Dichtung.

      Manchmal vertauschte Agi die Rolle der Grossmutter mit der Rolle der Mutter. Sie half Koja beim Auskleiden, brachte ihn zu Bett, deckte ihn sorgsam zu und liess ihn die Hände falten zum Nachtgebet. Ganz nach Mutterart machte sie ihm das Kreuzeszeichen auf Stirn und Mund und Brust und hiess ihn gut schlafen.

      In seinen Schlummer hinein duftete der Fichtenzweig über seinem Bette. Da war ihm im Traume, als wär’ er ein Waldläufer, der mit allen Tieren des Waldes auf gutem Fusse stände.

      Der Frost hielt an. Der stille Wiesenbach hinterm Hausgarten bedeckte sich mit spiegelglattem, tragfähigem Eis. Da sammelten sich die Buben gross und klein auf der langen Schleifbahn; Koja lief und schliff mit ihnen dahin und schrie dabei für zwei. Je mehr Lärm, desto grösser der Spass.

      In der Scheune, die zwischen Hof und Garten stand, begannen die Drescher das Korn zu dreschen; es waren ihrer drei. Das ging immer típp—tapp—tapp, típp— tapp—tapp. —

      Dann kamen Tage, an denen die Mutter mit rotgeweinten Augen herumging und den Kindern wehmütig zulächelte. — Aber weinen hat sie keines gesehen. Sie musste wohl in den Nächten weinen, wenn sie nicht schlafen konnte. Es wurden die schönen Pferde verkauft, der Eisenschimmel, dann das Bräunel, es wurde eine Kuh nach der anderen aus dem Stalle verkauft, Magd und Knecht wurden entlassen, Hühner und Enten geschlachtet; im Hofe wurde es stille, kein Hahnenkrähen, kein Rindergebrüll, kein Pferdegewieher. Da ward es den Kindern unheimlich zu Mute und sie quälten die Mutter mit Fragen. Die aber schloss ihnen mit langen Küssen den Mund und tröstete sie: „Wenn ihr brav seid, dürft ihr bald zur Grossmutter.“

      Und an einem tauig warmen Märzmorgen, als die Eiszapfen klirrend von den Dachrändern fielen, kam Marek, der alte Knecht der Grossmutter mit dem leeren Leiterwagen angefahren. Neben ihm sass auf einem Strohschaub die Grossmutter, das liebe, schmale, faltenreiche Gesicht eingemummelt in ein geblumtes Wolltuch. Mühsam und seufzend kletterte sie vom Wagen herab. Nur ein Tisch, ein paar Stühle, ein Schrank, die alte mit Blumen bemalte Kleidertruhe und Federbetten wurden auf den Wagen geladen, Agi und Koja dazu. Mutter und Grossmutter weinten Brust an Brust, als sie die Kinder mitten im Bettzeug zurechtgesetzt hatten. Zuletzt stieg die Grossmutter auf und der Knecht. Der breitete eine Plache über den Wagen. Die Pferde zogen an, und knarrend ging’s durch die leere Scheune und dann durch den Garten, auf dem Fechsungsweg über Wiesen, dann auf dem Feldweg, der das Ufer des Wiesenbaches begleitete. Das Brauhaus und die hohen Fabrikschlöte der Zuckerfabriken blieben zurück hinter den Fahrenden. Zwischen den Sprossen der Wagenleiter durch lugten die Kinder unter der Plache in die vom Nebel verschleierte Landschaft, die im Tauwetter wie verweint aussah. Von den Erlen und Weiden fielen Tropfen ins ruhige Wasser des Wiesenbaches. Der schlich geräuschlos dahin, fast in gleicher Höhe mit den schmutzigen Schneeresten auf den fahlen Wiesen und braunschwarzen Ackerflächen. Traurig versonnen standen die Kopfweiden am Ufer, hie und da überragt von einer hohen Ulme, deren Stamm der Äste beraubt war, bis auf den kleinen Wipfel. Und wo der Bach vom Röhricht gesäumt war, rieben sich die hohen Halme flüsternd aneinander. Das war alles so ernst, dass die Geschwister in gedrückter Stimmung schwiegen. Auch die Grossmutter war still. Der Rauch aus des Kutschers Pfeife duftete nach glimmendem Birkenlaub und Kartoffelkraut und reizte sie zum Hüsteln. — Die Sonne klomm höher. Es wurde windstill. Der Nebel zerfloss. Im rostfarbenen Grase öffneten die Massliebchen ihre rosig angehauchten Knospen. Es war wie ein zages Lächeln der Landschaft. Und jetzt erst fiel den Kindern auf, dass zwischen Wegrand und Bach auf schlanken Schäften sich Schneeglöckchen wiegten. Jenseits des Wassers stieg in weiter Ferne ein welliges Hügelland empor, das mit hohem Walde bestanden war. Zur Linken aber dehnten sich in er Ebene dunkle, niedere Nadelwälder, welche die Kinder nüchtern anmuteten. Ihre Bäume waren alle von gleicher Grösse und standen in geraden Reihen. Das waren keine Märchenwälder. — Fern und nah lagen die Ortschaften mit ihren roten Ziegeldächern und moosbegrünten Strohdächern inmitten der unbelaubten Obstbäume. Senkrecht stieg von den Schornsteinen der bläuliche Rauch zum Himmel. Alles war friedvoll. Koja und Agi machten ihre erste Reise über Land. Der Wagen fuhr ins Dorf Laan ein; er hielt vor einem weitläufigen Bauerngehöft, dessen grosser Hof von Stallungen und Scheunen umgrenzt war. Die Hunde schlugen an und die Gänse erhoben ein aufgeregtes Geschnatter. Eine stattliche Greisin, welche die Grossmutter um Kopfeshöhe überragte, trat aus dem Tor. — Es war die neunzigjährige Urgrossmutter der Kinder, die Mutter der Grossmutter, Dorothea Puhlovska. Sie hob erst Koja dann Agi vom Wagen, beugte sich zu den Kindern, drückte sie an ihre Brust und küsste sie auf die Scheitel. Dabei sprach sie ein übers andere Mal vor sich hin: „Arme Kinder, armer Koja, arme Agi!“ Im Herrgottswinkel der braungetäfelten Stube wurde der Tisch gedeckt. Es gab reichlich Buchtelna mit Pflaumenmus, dazu Oberskaffee, als wäre es Sonntag. Und die Kinder verstanden nicht, was die Urgrossmutter gemeint hatte, als sie sagte: „Arme Kinder!“ — Hatten sie es denn nicht gut?

      Und weiter ging die Reise. Sanft geschaukelt im Federbettennest schliefen die Kinder ein. Und als sie erwachten, sahen sie einen grünen, nadelspitz sich verjüngenden Turm erstaunlich hoch die Häuser einer Stadt überragen. „Der grüne Tor-Turm von Pardubitz,“ sagte die Grossmutter. Links um die Stadt herum, vorbei am Hügel mit dem Schloss, vorbei an Wall und Graben fuhr der Wagen zur Elbe. Er polterte über die Brücke, an deren schrägen Strebepfeilern das Stromwasser lärmte. Zwischen hohen Pappeln und grellen Ziegeldächern, tiefliegenden Tümpeln und endlos scheinenden Ackerflächen ging’s weiter auf wohlgepflegter Strasse. Und auf einer der hohen Ulmen, unweit einer Ziegelei, mitten im kahlen Geäst der Krone war ein unförmiges Nest aus Prügeln, Zweigen und Schilfhalmen. „Ein Storchennest,“ sagte die Grossmutter. Da machten die Kinder grosse Augen. „Und wo ist jetzt der Storch?“ fragte Agi. „Storch und Störchin sind jetzt in Ägypten, dort ist es warm; da haben sie es gut; sie fangen dort Frösche und Fische und Schlangen. Auch unsere Schwalben sind dorthin geflogen.“ „Und kommen bald wieder,“ ergänzte Agi. „Die Störche auch?“ fragte Koja, denn er war begierig, mit den Störchen persönlich bekannt zu werden. „Sie kommen mit den Schwalben,“ fuhr die Grossmutter fort, „du wirst sie an den Ufern der ‚alten Elbe‘ über die Wiesen schreiten sehen, hochbeinig wie auf Stelzen. Du wirst die Störchin auf dem Nest sitzen sehen, wenn sie die Eier bebrütet. Und ihr Mann wird ihr die Mahlzeiten zutragen, Frösche, Mäuse und Schlangen.“ Kojas Augen waren über die Ebene hin nach rechts weitergeirrt. Da ragte ein hoher Berg unvermittelt aus dem Flachland empor. „Dort ist der Kunietzer Berg mit der Ruine,“ erklärte die Grossmutter, der Frage zuvorkommend. Da staunten die Geschwister den mächtigen Felsen an, dessen dunkelgraue Steinmasse gekrönt war vom dachlosen Burggemäuer. Darüber hinweg stieg ein hoher Rundturm auf und neben ihm überragte das schlanke Türmchen der Schlosskapelle ein steiles, grellrotes Dach. An den Berg mit der verfallenen Burg reihte sich ein Hügelrücken, der mit einem mächtigen Hochwald bedeckt war. Das mochte wohl der Märchenwald sein. — „Grossmutter, ist das unser Wald?“ fragte Koja in freudiger Erwartung. Und zögernd kam die Antwort von ihren schmalen Lippen: „Noch gehört ein Stück davon euch.“ — Sie sagte es so traurig, wie’s der alte Glasermeister gesagt hatte, das Wörtlein „noch“. — Ein Dorf kam in Sicht. Ein drei Stock hohes graues Steingebäude mit kleinen Luftlöchern überragte die ebenerdigen Hütten und Bauernhäuser. „Das ist der alte Kornspeicher von Hradischtb,“ erklärte die Grossmutter.

      An der Strassenkreuzung stand die Schmiede, der Witwensitz der Grossmutter. Und hier stiegen sie alle vom Wagen.

      Die Grossmutter führte die Kinder in ihre kleine Küche, die mit Ziegeln ziemlich uneben gepflastert, aber recht anheimelnd war. Mit Stroh und Reisig entfachte sie im gemauerten Herd ein lustiges Feuer, kochte Griess in Milch ein, bestreute den dünnen Brei reichlich mit Zucker und Zimt und hiess die Kinder brav essen. Oh! Wie das schmeckte! — Wie’s nur bei der Grossmutter schmecken kann. Indessen knarrten die hölzernen Stufen der Bodenstiege unter schweren Männertritten. Der Schmied und der Kutscher schleppten die abgeladenen Habseligkeiten auf den Boden hinauf und stapften dort herum, dass das alte Tonnengewölbe dröhnte. Die Grossmutter ging zu den Leuten auf den Dachboden. Kaum hatten die Kinder sich gesättigt, so wollten


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