Purzelbaum und Liebesbrief. Maj Bylock
ein enttäuschtes Gesicht.
»Los, hüpf ins Auto«, sagte er. »Du darfst mich beim nächsten Krankenbesuch begleiten. In anderthalb Minuten geht’s los, das heißt, wenn ich den Karren hier in Gang bringe.«
Wenig später sausten wir aufs Land hinaus. Mit Papa auf Krankenbesuch zu fahren war jedesmal spannend. Keine Fahrt war wie die andere. Manchmal nahmen die Besuche ein trauriges Ende, nämlich dann, wenn die Tiere so krank waren, daß sie geschlachtet werden mußten. Aber meistens machte es Spaß, vor allem dann, wenn die Medikamente sofort wirkten und man beobachten konnte, wie die Tiere aufstanden und wieder fressen wollten.
»Was machen wir heute?« Ich sah Papa erwartungsvoll an.
»Schweine gegen Rotlauf impfen«, antwortete er. »Und dann müssen wir einem kleinen Fohlen helfen, das Verstopfung hat.«
Es waren mindestens zwanzig Schweine, und ein paar von ihnen waren bereits krank und hatten rote Flecken. Die anderen brauchten je eine Spritze, um gesund zu bleiben.
Die Schweine rannten wild durcheinander und schrien ohrenbetäubend. Fremde Leute im Schweinestall – das waren sie nicht gewohnt.
Der Bauer war ruhig und kräftig. Er fing sie der Reihe nach ein und hielt sie hoch, damit Papa die Spritze in ihre runden Schenkel stechen konnte.
Die Schweine zappelten. Die Spritze tat nicht weh, aber sie hatten trotzdem Angst. Wie sollte der Bauer wissen, welches Schwein schon eine Spritze bekommen hatte? Sie sahen ja alle gleich aus und liefen durcheinander. Das war ein Problem, und jetzt kam ich ins Spiel.
Ich stand mit einer Dose Schuhcreme bereit. Jedesmal, wenn ein Schwein geimpft worden war, malte ich ihm einen dunkelbraunen Klecks auf den Rücken. Anstelle von roten Flecken bekam es einen braunen.
Das Fohlen, das Verstopfung hatte, war erst ein paar Tage alt. Auf langen, wackeligen Beinen stand es da und schlug mit dem Schwanz.
Papa holte ein Instrument hervor, das wie eine Schlinge aussah. Damit holte er vorsichtig kleine harte Kugeln aus dem Po des Fohlens. »So, nun schaffst du es alleine«, sagte er und streichelte es am Maul.
Die Mutter, die große Stute, wieherte und sah ihn an. Bestimmt bedeutete das danke schön!
Der Drachenhintern
Zwei rote Augen starrten in meine blauen. Zwei weiße Ohren zuckten ängstlich in die Höhe. Ein rosa Schnäuzchen zitterte wählerisch, bevor es die Löwenzahnblätter anknabberte, die ich ihm reichte.
Das Schnäuzchen gehörte Schneewittchen. Im Nachbarkäfig hauste Dornröschen.
Großvater hatte mir geholfen, die Käfige zu bauen. Aber füttern mußte ich die Kaninchen selbst.
»Wer sich Tiere zulegt«, sagte er, »muß auch dafür sorgen, daß sie sich wohl fühlen.«
Ich hatte lange sparen müssen, um sie kaufen zu können. Sie hatten drei Kronen pro Stück gekostet, und das war viel Geld. Aber Kaninchenbraten war ein Festessen, und jetzt in Kriegszeiten gab es nicht viel Fleisch. Das Geld war also bestimmt nicht verloren. Ich hatte alles sorgfältig ausgerechnet. Wenn jedes Kaninchen zehn Junge bekäme, wäre ich bald reich.
Dann habe ich eine Menge Geld für den Jahrmarkt, dachte ich. Und bestimmt reicht es auch noch dafür, daß ich mir jeden Samstag einen Lutscher bei Bonbon-Stina kaufen kann. Das Wasser lief mir schon im Mund zusammen.
Natürlich beanspruchte das Füttern der Kaninchen viel Zeit. Komisch, daß ein Kaninchen den Bauch voller Jungen haben kann und trotzdem noch für so viel Futter Platz hat, dachte ich. Gras, Löwenzahn und Wasser. In rauhen Mengen. Ich seufzte und rupfte und träumte vom Jahrmarkt. Der Jahrmarkt war das größte Fest des Jahres. Ja, der Jahrmarkt war fast noch schöner als Weihnachten!
Eines Morgens hatte Schneewittchen zehn Junge bekommen. Statt zwei besaß ich nun zwölf Kaninchen! In meinem Kopf wirbelten die Zahlen nur so durcheinander, als ich auszurechnen versuchte, wieviel ich schon verdient hatte. Noch lagen die Jungen nackt und winzig in dem Nest, das Schneewittchen ihnen mit ihren weichen Haarbüscheln warm und schützend ausgepolstert hatte. Die Tage vergingen, aber Dornröschen hockte immer noch in einsamer Pracht in ihrem Käfig.
Schließlich unterzog Großvater sie einer genaueren Prüfung. »Du wirst Dornröschen umtaufen müssen«, sagte er schmunzelnd. »Prinz wäre ein passenderer Name.«
Der Prinz wurde zum Sonntagsbraten. Aber ich brachte nur Erbsen und Kartoffeln runter.
Am Montag sagte Mama: »Heute mußt du gleich nach der Schule heimkommen. Tante Beda will uns mit der kleinen Barbro besuchen.«
Ich stöhnte leise vor mich hin. Tante Beda war sehr streng. Am liebsten verdrückte ich mich, wenn sie kam. Aber Mamas Augen sprachen ihre stumme Sprache. Ich wußte, daß ich gehorchen mußte.
Schweren Herzens radelte ich zur Schule. Und noch schwereren Herzens radelte ich nach Hause.
Tante Beda hatte keine eigenen Kinder. Das war auch der Grund, warum sie so genau wußte, wie man Kinder erziehen mußte. Barbro war ihre Nichte. Sie kam aus Stockholm und sollte einige Zeit bei Tante Beda verbringen. Nun suchte Tante Beda Spielgefährten für Barbro.
Ich hatte mir ungefähr vorgestellt, wie das gräßliche Gör aussehen würde. Aber die Wirklichkeit übertraf meine schlimmsten Vorstellungen. Wie erschlagen stand ich in der Tür und staunte die Erscheinung an, ohne ein Wort herauszubringen.
Im Kino hatte ich einmal ein Mädchen gesehen, das an eine Puppe erinnerte. Das Mädchen hieß Shirley Temple und lebte in Amerika. Jetzt glaubte ich fast, dieses Mädchen wäre aus dem Film gestiegen und hätte auf unserem Sofa Platz genommen.
Barbros Kleid war aus rosa Seide und voller Spitzen und Rüschen, die blonden Korkenzieherlocken waren mit weißen Seidenschleifen geschmückt. Außerdem redete sie vornehm wie alle Leute aus Stockholm. Ich hielt den Mund und nahm mir vor, das heimlich auch zu üben.
»Nimm die kleine Barbro mit und zeig ihr den Garten«, sagte Mama. »Aber gib auf ihr schönes Kleid acht.«
Vorsichtig trippelte Barbro den Gartenweg hinunter. »In Stockholm«, sagte sie, »da gibt’s Parks. Und die sind viel größer als euer Garten.«
Ich schwieg und kletterte hoch in den Birnbaum hinauf. Dort pflückte ich eine große saftige Birne, setzte mich damit gemütlich auf einen dicken Ast und begann zu futtern.
»In Stockholm kann man viel größere Birnen kaufen«, piepste Barbro. »Ich will auch eine haben. Gib her!«
»Wer eine will, muß sie sich selbst pflücken!« brummte ich.
Barbro hievte sich vorsichtig auf den untersten Ast. Sie war noch nie auf einen Baum geklettert. Doch unten gab es keine Birnen. Die hatte ich längst abgeerntet.
»Du mußt höher rauf!«
Es gelang ihr schließlich, sich eine Birne zu angeln. Inzwischen hatte das Kleid einen Riß abbekommen, und ihr Kinn war von klebrigem Birnensaft verschmiert.
»Schmeckt gut«, sagte sie und leckte sich die Lippen. »Aber die Birnen, die man in Stockholm kaufen kann, schmecken viel besser.«
In diesem Augenblick klapperte draußen auf der Straße ein Pferdefuhrwerk vorbei.
»In Stockholm fahren wir mit der Straßenbahn«, stellte sie verächtlich fest, »und nicht mit Pferdewagen.«
Ich schwieg. Eine Straßenbahn – was war das? Die einzige Bahn, die ich kannte, war die Eisenbahn.
Bald war Barbro satt und wollte wieder runterklettern. Ich wußte nicht, was ich ihr noch zeigen sollte.
Das Haus, in dem wir wohnten, war groß und hoch. Ganz unten lagen das Postamt und die Bank. Das Postfräulein war ziemlich sauertöpfisch, also ging ich nur äußerst ungern dorthin.
In der Bank jedoch gab es einen freundlichen Bankvorsteher. Er sah aus wie ein runder männlicher Engel. Und dennoch wurde er allgemein der Drache genannt. Das kam daher, weil er einen