Purzelbaum und Liebesbrief. Maj Bylock

Purzelbaum und Liebesbrief - Maj Bylock


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verheißungsvoll, und das erste Bonbon schmeckte himmlisch. Es war so sauer, daß es in den Wangen kribbelte.

      Hinter einem Haselbusch hockte Gun und wartete. Ihr Gesicht leuchtete blaß unter den dunklen Ponyfransen, und ihre Augen funkelten vor Eifer. »War er da?«

      Ich nickte mit dem Mund voller Bonbons.

      »So, verschwinde jetzt«, sagte sie. »Ich warte, bis er kommt. Er fährt mich nach Hause.«

      »Aber die Pilze? Wir wollten doch ...«

      »Hau ab«, sagte sie und zeigte auf den Roten Blitz. »Wir gehen ein andermal Pilze suchen. Ach, übrigens, her mit der Tüte!«

      Ich schleuderte sie ihr in den Schoß. Sie hatte mich reingelegt! Tränen brannten in meinen Augen.

      Enttäuscht strampelte ich heimwärts. Ich schniefte und suchte in meiner Tasche nach einem Taschentuch. Ich konnte keines finden, aber dafür lag der Brief dort! Ich hatte vergessen, ihn abzugeben.

      Rache ist süß. Ich versteckte den Brief tief unter einem Busch.

      Allmählich wurde es dunkel. Bestimmt war es schon spät. Die Bäume ragten schwarz in den Himmel. Jetzt rauschten sie nicht mehr so friedlich wie vorhin. Ein bedrohlicher Gesang klang aus ihren Kronen herab.

      Ich fuhr so schnell ich konnte durch den Wald. Jedesmal, wenn der Rote Blitz über Steine und Wurzeln flog, krachte und schepperte es gewaltig. Zufrieden blickte ich auf mein Fahrrad runter. Unglaublich, daß es ein solches Tempo schaffte, obwohl es so alt war! Ballonreifen waren doch nicht zu verachten.

      Bald übertönte das Hämmern meines Herzens den düsteren Gesang der Bäume. Meine Stirn war schweißbedeckt. Aber die Schweißtropfen trockneten im Wind und brachten erfrischende Kühle.

      Bei Tageslicht war mir der Weg durch den Wald nicht besonders weit erschienen. Aber jetzt! Obwohl ich beinah voranflog, war eine Ewigkeit verstrichen, als der Rote Blitz endlich die Straße erreichte. Daheim im Dorf waren schon die Lichter an.

      Plötzlich spürte ich, wie alles unter mir verschwand. Wie ein Ballon segelte ich geradewegs in die Luft hinaus. Dann wurde der Abendhimmel weiß von lauter Sternen. Sachte, sachte erloschen sie wieder, einer nach dem anderen. Alles wurde still.

      Auf einmal fühlte ich, daß meine Füße im Wasser steckten. Ich saß am Rand des Straßengrabens, und meine Beine hingen im Wasser.

      Vorsichtig stand ich auf. Alles schien noch ganz zu sein, aber ich fühlte mich irgendwie benommen.

      Doch wo war der Rote Blitz? Blinzelnd sah ich mich in der Dunkelheit um. Dort hinten ahnte ich etwas, das an ein Fahrrad erinnerte.

      Die Lenkstange war verbogen. Das Vorderrad drehte sich nicht mehr. Ich mußte mein Fahrrad tragen!

      Still! Was war das? In weiter Ferne war etwas zu hören. Ein Vogel? Oder eine Flöte?

      Jetzt kam es näher. Ein Schatten tauchte aus der Dunkelheit auf. Und dieser Schatten pfiff. Zuerst erschrak ich fürchterlich und wollte davonrennen. Aber der Rote Blitz? Den konnte ich doch nicht einfach im Stich lassen.

      Ich hörte, daß der Schatten eine Melodie pfiff: »Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord ...«

      Lasse, der Sohn des Totengräbers! Er ging in meine Klasse, war klein und mager und blieb meistens etwas für sich.

      Als er das Fahrrad erblickte, hob er es auf und trat gegen das Vorderrad. Dann suchte er einen geeigneten Stein und klopfte die Lenkstange damit wieder gerade.

      »Jetzt kannst du fahren«, erklärte er. »Ich sitze hinten.«

      Vorsichtig radelte ich los. Es ging! Stolz wie ein Schwan segelte der Rote Blitz die Straße entlang. Ich spürte, wie etwas Neues, Unbekanntes in meinem Herzen erwachte.

      Zum erstenmal in meinem Leben war ich verliebt!

      Als ich abends ins Bett kroch, dachte ich an den Brief, den ich im Wald vergraben hatte. Wie dumm von mir! Ich hätte ja wenigstens reinschauen können. Gun wußte bestimmt, wie man einen richtigen Liebesbrief schrieb. Ich dagegen hatte keine Ahnung.

      Leise schlüpfte ich aus dem Bett und holte ein Blatt Papier. Dann lag ich lange da und kaute am Bleistift, und schließlich schrieb ich die schönsten Worte auf, die ich kannte:

      »Mit meinem Gott geh ich zur Ruh

      und tu in Frieden meine Augen zu,

      denn Gott vom Himmelsthrone

      über mich wacht

      bei Tag und Nacht,

      schafft, daß ich sicher wohne.«

      Gespenster

      Eines Abends, kurz vor dem Zubettgehen, hörte ich Lasse pfeifen. Ich kannte niemanden, der so pfiff wie Lasse. Zwei kurze Töne und dann ein Triller. Ertönte der Triller zuletzt, war dies ein Zeichen, daß es besonders wichtig war.

      Die Treppe führte am Wohnzimmer vorbei und knarrte schauerlich. Daher war die Feuerleiter der einzige Weg ins Freie. Vorsichtig kletterte ich aufs Dach hinaus und kämpfte mich nach unten. Hartnäckig starrte ich die Wand vor mir an und vermied es tunlichst, hinunterzuschauen. Obwohl mir die Feuerleiter so vertraut war, verspürte ich doch jedesmal ein Ziehen im Magen.

      Das letzte Stück mußte ich springen.

      Endlich war ich unten. Von der Landung taten mir die Knie weh, und die Fußsohlen brannten. Aber wenn ich Lasse pfeifen hörte, hätte ich durchs Feuer gehen können.

      Lasse hatte mich gesehen und tauchte aus den Schatten auf. »Der Schmied ist tot«, flüsterte er.

      Seine Augen leuchteten, und er wirkte kein bißchen traurig. Er genoß es jedesmal, wenn er mir etwas Spannendes auftischen konnte – vor allem, wenn es mit Tod und Gefahr zu tun hatte. Und damit hatte es oft zu tun. Schließlich war Lasses Vater ja Totengräber.

      »Also, der Schmied saß auf seinem Wagen, als er starb. Fiel einfach vom Sitz und war tot. Das Pferd hat ihn nach Hause gebracht.«

      Der Schmied ...

      Wenn jemand gestorben war, mußte man trauern, das wußte ich. Aber es fiel mir schwer, um den Schmied zu trauern. Vor dem Schmied hatte ich fürchterliche Angst gehabt. Groß wie ein Riese war er gewesen und sehr stark. Am schlimmsten waren seine Augen, die zornig unter seinen roten Augenbrauen hervorfunkelten.

      Ich hatte es nie gewagt, die Schmiede zu betreten. Dort brannte ein flammendes, fauchendes Feuer, und der schwere Vorschlaghammer des Schmieds fiel mit drohendem Klang auf den Amboß. Wenn der Pfarrer oder unsere Lehrerin von der Hölle oder von Satan erzählten, mußte ich jedesmal an die Schmiede und den Schmied denken.

      Und jetzt war der Schmied also tot. Ich würde mich nie mehr vor ihm fürchten müssen.

      »Das glaub ich dir nicht«, flüsterte ich.

      »Komm, wir fahren hin und gucken nach«, antwortete Lasse eifrig. »In dem Zimmer, wo er aufgebahrt liegt, haben sie Leintücher vors Fenster gehängt.«

      Vorsichtig holten wir den Roten Blitz und fuhren zur Schmiede rüber. Dort versteckten wir das Fahrrad hinterm Zaun und schlichen dann zum Haus.

      Alles war dunkel. Kein helles Feuer flammte mehr in der Esse. Der Hammer lag so still da, als hätte ihn ebenfalls alles Leben verlassen. Aber vor den Fenstern im Haus des Schmieds waren keine weißen Leintücher zu sehen. Dort hingen genau wie sonst auch die karierten Vorhänge.

      Wir warteten.

      »Jetzt!« zischte Lasse.

      Der Vorhang bewegte sich. Wurde zur Seite gezogen. Jemand schaute heraus. Wir sahen es alle beide: ein Gesicht, bleich wie der Tod. Aber die Augenbrauen waren immer noch buschig und leuchtend rot. Die schwarzen Augen starrten uns wie dunkle Löcher durch die Fensterscheibe an.

      Ich spürte, wie mir tausend Ameisen durchs Haar krabbelten. Ich wurde ganz steif und konnte weder atmen noch davonrennen. Dann war die Erscheinung


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