Purzelbaum und Liebesbrief. Maj Bylock

Purzelbaum und Liebesbrief - Maj Bylock


Скачать книгу
schenkte der Drache ihnen rotweiß gestreifte Pfefferminzbonbons. Bei diesen Gelegenheiten pflegte er sich selbst auch ein paar zu genehmigen. Dabei schmatzte er ganz unwiderstehlich. Aber richtig sicher fühlten wir uns dennoch nie. Immerhin war es ja möglich, daß er sich über uns ärgern und uns in seine unheimliche Stahlkammer einsperren konnte.

      Sollte ich Barbro die Bank zeigen? Ich kletterte zurück auf den Baum und spähte durchs Fenster. Der Drache sperrte gerade die Stahlkammer ab. Um drei schloß er die Bank. Der Drache war sehr pünktlich. Mein Vater hatte schon oft seine Uhr nach ihm gestellt. Aber bevor der Drache nach Hause ging, pflegte er das Klohäuschen hinten im Garten aufzusuchen.

      Es war ein schönes, großes Klohäuschen. Wir benutzten es alle. Sonst hatten wir ja keins. Im Winter war es zwar etwas zugig, aber dafür hatten wir es im Sommer um so schöner. Dann konnte man im Häuschen sitzen und dem Vogelgesang lauschen. In Stockholm sind die Klos natürlich in den Häusern, dachte ich verächtlich.

      Plötzlich hatte ich eine Idee. »Wenn du ganz still bist, zeig ich dir was, das gibt’s in ganz Stockholm nicht«, flüsterte ich. »Einen echten Drachenhintern.«

      Barbro sah mich mit großen Augen an.

      Schweigend versteckten wir uns hinterm Klohäuschen.

      »Jetzt kommt er!«

      Wir hörten den Kies auf dem Gartenweg knirschen. Ein Schlüssel rasselte im Schloß. Wir warteten eine halbe Minute.

      »Jetzt kannst du aufmachen!« Ich zeigte auf die Luke in der Rückwand des Klohäuschens.

      Und Barbro machte auf. Dann stieß sie einen Schrei aus und ließ die Luke wieder zufallen.

      Ich warf mich auf Barbro und brachte sie zum Schweigen. Aber wir mußten uns lange in der Garage verstecken, bevor wir uns wieder hervorwagen konnten.

      Inzwischen sah Barbro nicht mehr wie Shirley Temple aus. Ihre Haare waren zerzaust. Ihre Augen funkelten. Sie stampfte mit dem Fuß auf und zischelte mir zu, daß sie petzen werde. Doch plötzlich verstummte sie. Sie hatte den Käfig mit Schneewittchen und den Jungen entdeckt. Kaninchen, so etwas hatte Barbro bisher noch nie gesehen. Nein, nicht einmal im Tierpark! Ich mußte ein Junges rausnehmen und ihr geben.

      Sie strich ihm über den Rücken. Dann blickte sie mir in die Augen und sagte: »Das hier gehört mir!«

      »Nein, nie im Leben!«

      »Dann petze ich!«

      Ich hatte keine Wahl.

      Es wurde eine teure Angelegenheit. Wie teuer, das begriff ich erst am nächsten Morgen. Als ich runterkam, um Schneewittchen zu füttern, war der Käfig leer. Und das, obwohl der Haken ordentlich vorgelegt war.

      Anfangs stand ich einfach stumm davor. Ich kapierte es nicht. Ein Fuchs? Nein, Füchse können ja keine Haken vorlegen.

      Dann war es ein Dieb. Ja, klar, aber wer? Kreideweiß vor Zorn lief ich zu Tante Bedas Haus. Ich wurde erwartet. Barbro stand bereits hinterm Zaun.

      »Das Kaninchen wollte eine Freundin haben«, zischte sie. »Es war ihm zu einsam im Wäscheschrank. Ich kann nichts dafür, daß die anderen rauswitschten, bevor ich die Tür wieder zumachen konnte.«

      Vor meinen Augen flimmerte es. Ich zeigte auf den Telefonmast, der neben dem Zaun stand und von dicken Drahtseilen gehalten wurde, die in den Boden hineinführten.

      Krampfhaft hielt ich meine Tränen zurück und fauchte: »Behalt die Kaninchen ruhig! Aber wenn du petzt, ruf ich den Teufel persönlich an. Hier auf dem Land führt die Telefonleitung nämlich direkt zu ihm runter!«

      Dann rannte ich nach Hause. Eine Stunde lang weinte ich in Großvaters Armen.

      »So ist es den Kaninchen wenigstens erspart geblieben, Sonntagsbraten zu werden«, sagte er und strich mir übers Haar.

      Das tröstete mich ein wenig. Aber nicht ganz. Ich konnte ja nicht verraten, daß es Barbro war, über die ich mich so aufregte.

      Nein, niemals würde ich von Barbro und dem Drachenhintern erzählen können ...

      Pfifferlinge und Liebesbriefe

      Mein rundes Hinterteil saß fest und sicher auf dem breiten Sattel vom Roten Blitz. Seit ich Fahrradbesitzerin geworden war, ging ich nur noch zu Fuß, wenn ich im Haus war. Das Fahrrad war mein bester Freund geworden. Gemeinsam entdeckten wir Pfade und Wege, wo ich bisher noch nie gewesen war.

      Das Fahrrad konnte ja nichts dafür, daß es so häßlich war. Vielleicht fühlte es sich im Vergleich mit der Schwalbe genauso, wie ich mich im Vergleich mit der schönen Gun fühlte?

      Gun ging in die sechste Klasse und hatte einen Busen. Das hatte sonst niemand von uns. Singen konnte sie auch. Und zwar nicht nur ganz passabel, so wie wir. Nein, wenn sie sang, klang es wie im Radio. Bei Schulfesten durfte sie immer solo singen. Wir anderen waren ungeheuer neidisch.

      Gun hatte vieles, aber ein Fahrrad hatte sie nicht. Eines Samstags auf dem Heimweg von der Schule fuhr ich an ihr vorbei. Ich ließ ein schrilles Klingeln ertönen, damit sie mich hörte.

      Rasch packte sie das Rad am Gepäckträger. »Weißt du, daß es dieses Jahr eine Menge Pfifferlinge gibt?« fragte sie lächelnd. »Kommst du mit zum Sammeln?«

      In den Pfifferlingwald durfte ich nicht radeln, das war zu weit. Aber trotzdem ... Daß Gun ausgerechnet mich fragte! Ich nickte und fühlte, daß ich ihr bis ans Ende der Welt folgen würde.

      »Gut, dann steig ab«, sagte sie und nahm die Lenkstange. »Ich fahre, und du sitzt hinten.«

      Gesagt, getan. Ich saß hinten und wurde durchgerüttelt. Die Arme hatte ich fest um Gun geschlungen. Sie trat mit starken Beinen in die Pedale. Aber die Sonne schien, und es war heiß. Wir waren noch nicht weit gekommen, als sie bremste.

      »Jetzt mußt du nebenher rennen«, schnaufte sie. »Hier geht’s bergauf.«

      Das stimmte gar nicht. Ich wurde ihr nur zu schwer. Kaum war ich vom Gepäckträger geklettert, radelte Gun so leicht wie nichts davon.

      Ich rannte aus Leibeskräften, blieb aber trotzdem hinter ihr zurück. Manchmal wartete sie irgendwo im Schatten auf mich. Das war nett von ihr.

      Wir mußten über die Ebene und dann durch einen großen, dunklen Wald. Schließlich kamen wir ans Meer. Blau und glitzernd breitete es sich vor uns aus. Die Wellen schlugen mit verlockendem Glucksen an die Steine am Strand.

      »Gun, warte!« schrie ich. »Wir können doch unsere Strümpfe ausziehen und ein bißchen planschen!«

      Aber Gun hatte keine Zeit. Sie fuhr weiter. Ich schwieg und sehnte mich nach dem vergangenen Sommer. Rennen konnte ich zwar nicht besonders gut, aber dafür schwamm ich wie ein Fisch. Im Wasser war es nur von Vorteil, ein bißchen rundlich zu sein. Während alle dünnen Heringe schon bald blaue Lippen hatten und bibberten, konnte ich so lange schwimmen, wie ich Lust hatte.

      Aber der Sommer war vorbei. Jetzt war Pilzzeit, und Gun wollte nicht planschen.

      Bei Johanssons Laden hätten wir abbiegen sollen. Aber Gun bremste und schmiß den Roten Blitz gegen eine Kiefer. Dann holte sie einen Bleistift und ein Stück Papier hervor und begann zu schreiben.

      Als sie fertig war, faltete sie den Brief ordentlich zusammen. »Hier hast du fünf Öre«, sagte sie. »Geh zu Johanssons rein und kauf dir eine Tüte saure Bonbons. Dann gibst du dem Jungen hinterm Ladentisch den Brief. Aber heimlich!«

      Im Laden war Kundschaft, ein alter Mann und eine alte Frau, daher hatte der Junge keine Zeit für mich. Er mußte drei Salzheringe aus einem Faß angeln und eine Tüte Schnupftabak abwiegen. Das war für den Alten. Die Frau wollte Holzschuhe kaufen. Die Holzschuhe hingen an Haken an der Decke. Sie probierte sämtliche Paare durch, aber keins paßte.

      Auf dem Ladentisch standen zwei Gläser voller Bonbons. Ich hatte reichlich Zeit, mir die schönsten auszusuchen. Das Fünförestück klebte in meiner verschwitzten Hand, und der Brief in meiner Tasche zerknitterte immer mehr.

      Ich


Скачать книгу