Brasilien. Martin Curi
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Martin Curi
Brasilien
Land des Fußballs
VERLAG DIE WERKSTATT
Für Maria und Edmund sowie Hedwig und Hermann
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Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
Alle Rechte vorbehalten.
Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
Umschlagfoto: © moonrun – Fotolia.com
ISBN 978-3-7307-0021-1
Inhalt
Im Land der „grimmigen Menschfresser“
Ein deutscher Fußballmissionar
Zwei Brasilianer in Brandenburg
Von Übernatürlichen, Geistern und Gottheiten
Szenen einer olympischen Stadt
Die WM 2014 – ein Volksfest auf zwölf Bühnen
Die Nationalmannschaft Seleçao
Direktes Aufeinandertreffen Brasiliens mit ausgewählten Nationalmannschaften
Fußball-Wörterbuch Deutsch – Portugiesisch
Im Land der „grimmigen Menschfresser“
Die Sonne brennt auf das historische Zentrum von Rio de Janeiro. Heute steht in der Zeitung, nur in Nord-Ghana wäre es noch heißer. Eigentlich kein Tag, um Einkäufe und Bankgeschäfte zu erledigen, aber es muss sein. Ich hetze durch die engen, überfüllten Gassen der Fußgängerzone, immer auf der Suche nach etwas Schatten. Am Ende der malerischen Straße mit ihrem Kopfsteinpflaster und den zweistöckigen Häusern im portugiesischen Kolonialstil, die einen angenehmen Kontrast zu dem modernen brasilianischen Streben nach immer höheren und moderneren Gebäuden darstellen, befindet sich meine Bankfiliale. Ich öffne die Tür und betrete den von einer Klimaanlage gekühlten Raum.
Die Schlange am Kassenschalter ist, wie immer, viel zu lang. Während der Schweiß an mir herunterrinnt, kalkuliere ich mindestens eine halbe Stunde Wartezeit. Die Klimaanlage kämpft derweil gegen die Hitze. Wenige Augenblicke später stellt sich der nächste Kunde hinter mir an.
„Ist das die Schlange für den Kassenschalter?“
Ich bejahe.
„Ah, Sie sind nicht von hier?“
Selbst bei dieser so kurzen und simplen Antwort verriet mich, wie so oft, mein Akzent. Da man in Brasilien oft lange ansteht, haben die Einheimischen einen Grundvorrat an Themen, über die sie sich mit wildfremden Menschen in diesen Situationen unterhalten können. So geht die Wartezeit schneller vorbei.
„Ich bin Deutscher.“
„Ah, ja. Meine Nichte hat kürzlich einen Deutschen geheiratet und lebt jetzt in Köln. Sie schwärmt mir immer vor, wie schön es dort sei. Da gibt es auch einen Fußballverein, nicht wahr? Was ist Ihr Verein?“
„Bayern München.“
„Ja, ja, Bayer!“
„Nein, Bayern. Bayer ist Aspirin, Bayern ist ein Bundesland mit der Hauptstadt München.“
„Aha. Ich habe mich schon immer gefragt, was der Unterschied ist. Spielen dort gerade Brasilianer?“
„Ja, Lúcio und Zé Roberto.“
„Sehr gute Spieler. Die sind auch in der Seleção. Wie lange leben Sie schon hier?“
„Schon lange: zehn Jahre.“
„Zehn Jahre! Dann sind Sie schon Brasilianer. Welchen Verein unterstützen Sie hier?“
„Fluminense.“
„Uh, Fluminense! Da kommen Sie von so weit her, um für den falschen Verein zu sein!“
Und schon ist man mitten in einem Gespräch über Vereinsvorlieben, Spieltaktik, Transfermarkt oder die Fußballgeschichte im Allgemeinen. Egal, ob auf der Arbeit, in der U-Bahn oder am Strand, Fußball ist in Brasilien das Gesprächsthema Nummer eins. Jeder hat seinen Lieblingsverein, und jeder hat seine Meinung. Man kann wunderschön ernsthaft darüber reden, gleichzeitig aber auch den Gesprächspartner aufziehen, indem man ihn an die letzte Niederlage erinnert. Fußball ist frei von ernsten Dimensionen wie Religion oder Politik und somit wie geschaffen, um die Wartezeit am Bankschalter zu überbrücken.
Brasiliens wichtigste Sportart wird aber nicht nur in den Stadien gespielt, sondern wirkt in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Luiz Inácio Lula da Silva, Präsident des Landes von 2003 bis 2010, ist ein Meister im Gebrauch der Sportmetaphern. Die unbequeme Frage eines Journalisten nach eventuellen Fehlern seiner Regierung wies er mit dem Satz zurück: „Wir werden nicht den Toren nachtrauern, die wir gestern vergeben haben, sondern uns auf die Tore konzentrieren, die wir morgen erzielen werden.“ Kurz vor Ende seiner Amtszeit kündigte er dann an, dass er weiterhin die Politik seines Landes zu beeinflussen gedenke: „Eines würde ich als