Das Frühstück der Langschläferin: Ein Unterhaltungsroman auf Leben und Tod!. Tor Åge Bringsværd

Das Frühstück der Langschläferin: Ein Unterhaltungsroman auf Leben und Tod! - Tor Åge Bringsværd


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haben und von ihm selbst illustriert werden. Ein freundlicher Verleger hatte ihm einen bescheidenen Vorschuß gewährt, Nigel hatte sein Erspartes beigesteuert – und hier saß er: im Zimmer 411, Hotel Middletowne, 148 East 48th Street, mit Aussicht auf einen Parkplatz. Nigel war zum erstenmal in New York, war überhaupt zum erstenmal in den USA. Nach Nigels Ansicht war das ein Vorteil. Das Buch, das er im Sinn hatte, mußte frei sein von altem, gestrandetem Gedankengut, es mußte spontan sein und jungfräulich. Die Gedichte mußten ein Ersteindruck sein. Die Illustrationen mußten an Ort und Stelle entstehen.

      Wenn das Buch einschlug (falls er überhaupt schaffte, es zu schreiben), hatte Nigel vor, den Rest der Welt auf dieselbe Weise zu erleben, zwei Monate an jedem Ort.

      Er hielt sich bereits drei Wochen in New York auf. Jeden Morgen nahm er Bus oder Untergrundbahn zu einer beliebigen, unbekannten Haltestelle, stieg aus/ein und versuchte, mit Hilfe von Kugelschreiber, Fotoapparat und Tonbandgerät ein paar erbärmliche Kubikmeter Atmosphäre einzufangen.

      Er hatte den Kopf und das Hotelzimmer voller Eindrücke.

      Was wirklich Zeit beanspruchte, war die Veredelung des Rohmaterials. Nigel Harris fühlte sich oft wie ein erfolgloser Alchimist, wenn er zu fortgeschrittener Stunde am Bettrand saß, schwarzen Kaffee im Pappbecher (das Delikatessgeschäft an der Ecke war die ganze Nacht geöffnet), den Tisch übersät mit Scrabs und Zeitungsausschnitten, Notizen chronologisch gestapelt, mit Gummiringen und Büroklammern, und im Fernsehen alte Gangsterfilme.

      Hier ein Gedicht von Nigel Harris:

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      ngen

      Mehr aus den Notizbüchern von Nigel Harris später. Zuerst soll erklärt werden, worin die Seelenverwandtschaft von Nigel Harris und Felix Bartholdy besteht.

      Mehrere Aspekte spielen eine Rolle.

      Ein Mensch, der drei Wochen lang täglich den Pulsschlag New Yorks gefühlt und versucht hatte, ihn wie Morsezeichen mit einer geheimen Botschaft zu entschlüsseln, ohne ein vernünftiges Wort mit seinen Mitmenschen zu wechseln (außer das Essen zu bestellen und nach dem Weg zu fragen), wird früher oder später schrullig werden, wird früher oder später deprimiert sein und Zweifel am Sinn seines Daseins empfinden, wird sich früher oder später fragen, ob er nicht an diesem oder jenem Scheideweg seines Lebens übereilt entschieden hatte.

      Das ist die eine Seite.

      Hätte Nigel Harris noch das Gefühl gehabt, etwas zustande zu bringen ... Aber alles, was er zu Papier brachte, waren kleine, quasiphilosophische Fragmente wie (nach einem Besuch des Guggenheimmuseums):

      Alle Kunst ist Orgasmus

      Eine Galerie ist ein Kondom

      straff über eine gewisse Zahl von

      Bildern gezogen

      Für diesen Schutz entrichtet

      das Publikum eine gewisse Abgabe

      Und das kann man ja nicht gerade als »etwas zustande bringen« bezeichnen.

      Außerdem, um die Depression vollkommen zu machen, hatte es das Schicksal für nötig erachtet, Nigel Harris eine Pressemitteilung unter die Nase zu halten, aus der hervorging, welch erschreckender Mangel an Papier auf der Welt herrsche und wie hirnrissig man dieses kostbare Gut vergeude. Der letzte Abschnitt lautete folgendermaßen:

      Allein für eine sonntagsausgabe der New York Times wird eine papiermenge verbraucht, die einem wald von 7700 kubikmetern entspricht.

      Nun ist es weder angemessen noch gerecht, Nigel Harris mit der New York Times zu vergleichen, aber der Same des Bösen war gesät – Nigel Harris fühlte sich mehr und mehr als ökologische Katastrophe.

      Und er hatte einen Traum.

      Ihm träumte, er wäre in einer Landschaft, von Baumstämmen übersät, soweit das Auge reichte.

      Nach einer Weile kam er an einen kleinen See.

      Auf einer in den See reichenden Zunge stand ein Mann und stapelte Bücher.

      Nigel Harris ging (im Traum) zu ihm hin.

      »Glauben Sie, der Wind wirft sie um?« sagte der Mann. Er hatte acht Stapel gemacht, jeweils fünfzig Bücher – und er hatte noch einige volle Kisten.

      Nigel Harris bot ihm eine Zigarette an.

      »Nein danke«, sagte der Mann. »Ich rauche nicht. Wegen dem Papier ... Ich habe mir vorgenommen, bewußter mit Papier umzugehen.«

      Nigel Harris betrachtete die Stapel. Sie bestanden aus ein und demselben Buch. Grün, der Umschlag gelb beschriftet.

      Der Mann ahnte, was Nigel Harris ihn fragen wollte. »Von mir«, sagte er. »Ich habe es geschrieben. Es erschien im letzten Jahr.«

      Ein Windstoß brachte einen Stapel zum Einsturz.

      Nigel Harris half, die Bücher wieder zu stapeln.

      Sie setzten sich ins Gras.

      »Ich werde sie festbinden müssen«, sagte der Mann. »Wenn das Ganze halten soll, muß ich sie wohl festbinden.« Und nach einer Weile: »Dabei würde ich die Stapel gerne höher machen. Eigentlich sollten sie achtmal so hoch sein.«

      »Vielleicht sollten Sie es mit einer Plane versuchen?« schlug Nigel Harris vor. »Dann wären sie windgeschützt.«

      »Dann würden die Vögel keine Nester darauf bauen«, sagte der Mann.

      »Ja«, sagte Nigel Harris, »das stimmt.«

      »Es kann nicht mehr dasselbe werden«, sagte der Mann. »Es kann nie mehr werden wie vorher. Trotzdem ...«

      Sie schwiegen eine Weile.

      »Wissen Sie, wieviele Bäume gefällt werden müssen, damit daraus ein Buch werden kann?« sagte der Mann plötzlich.

      »Nein.«

      »Ich auch nicht. Aber acht müßten eigentlich reichen?«

      »Acht sind sicher mehr als genug.«

      »Ja, das dachte ich auch«, sagte der Mann. »Deshalb habe ich acht Stapel gemacht.« Er betrachtete die Bücher. »Ich muß sie höher stapeln ... Ursprünglich wollte ich eine Trittleiter mitbringen ...«

      Nigel Harris nickte. »Das wäre sicher nicht dumm gewesen«, sagte er.

      »Und ich weiß nicht, wie ich etwas, das aussieht wie Äste, zustande bringen soll«, sagte der Mann.

      In diesem Moment merkte Nigel Harris, daß er wach wurde, und er konzentrierte sich auf den Abschied.

      Hinter sich sah er, wie der Fremde allmählich seine Gesichtszüge bekam.

      »Und ihr habt keine Ahnung, wer es ist?« fragte Fay Hideway und feilte weiter an ihrer linken Hand. »Ihr habt ihn einfach auf der Straße gefunden und mit nach Hause gebracht, und jetzt wohnt er hier schon drei Tage ...«

      »Wir haben dich nicht vor Dienstag erwartet«, sagte Hazel Knocklewood. »Du hättest ja schreiben können – oder wenigstens anrufen.«

      »Und jetzt liegt er in meinem Bett, in meinem Bettzeug, auf meinem Kissen und unter meiner Decke?«

      »Fay«, sagte Hazel. »Vera und ich –«

      »Ich verstehe«, sagte Fay. »Du und Vera ...«

      »Es ist nicht so, wie du denkst«, sagte Hazel mißmutig. »Er ist krank und braucht jemanden, der sich um ihn kümmert.«

      »Und


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