Das einfache Leben. Ernst Wiechert

Das einfache Leben - Ernst Wiechert


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du se­hen, ob sie kom­men, Rote oder Schwar­ze oder Schwarz­weiß­ro­te. Sau­be­rer Platz für ein Ma­schi­nen­ge­wehr, aber ich hat­te keins … nun pass auf! Reu­sen und Stell­net­ze in die bei­den Buch­ten! Bei Ost­wind hier, bei West­wind dort. Vor dem Ge­wit­ter über­all. Bei Nord­wind zu Hau­se blei­ben und Net­ze trock­nen. Krebs­reu­sen dort ent­lang! Zwei bis drei Me­ter tief. Wenn du was nicht weißt, nicht den Ge­ne­ral fra­gen, son­dern durch das Fließ dort in den nächs­ten See fah­ren. Da lebt der Alte, acht­zig oder hun­dert Jah­re alt. Heißt Pe­ter, die Leu­te sa­gen Pe­trus. Habe ihn aber noch nicht auf den Wel­len wan­deln se­hen. Weiß al­les von den Fi­schen, spricht mit ih­nen, weiß, wann sie zie­hen und wann nicht, sieht in die Zu­kunft und priemt … wie heißt du üb­ri­gens?«

      »Tho­mas.«

      Er fuhr mit der Hand durch den lee­ren Raum und stieg die Lei­ter wie­der ab­wärts. »Stimmt al­les mit den Net­zen«, sag­te er an der Haus­tür, »kei­nes zu viel und kei­nes zu­we­nig. Nur mit den Mäu­sen muss du auf­pas­sen im Win­ter, dass sie dir kei­nen Scha­den ma­chen … Heu­te Abend gehe ich los, der Kahn liegt da an der ho­hen Fich­te.«

      Er stand schon in der ge­öff­ne­ten Tür, und Tho­mas schi­en es, als sei er der Geist die­ser In­sel, grau, ver­wit­tert und ge­beugt, und als wür­de er selbst nach zwan­zig Jah­ren auch so da­ste­hen. Das Tor der Zu­kunft tat sich in ge­räusch­lo­sen An­geln auf, mit blit­zen­den Flü­geln, einen Herz­schlag lang. Er sah sich, wie eine Vi­si­on, auf der Schwel­le ste­hen und sich um­wen­den wie je­ner, nur mit ei­nem an­de­ren Ge­sicht, und dann hin­ein­ge­hen und vor dem Feu­er nie­der­sit­zen. Der Schein der Flam­me spielt über den Glo­bus, Län­der und Mee­re, Ber­ge und Strö­me. Er hat den Kopf in die Hän­de ge­stützt und blickt dar­über hin, ohne Wunsch und Be­geh­ren, vie­les hin­ter sich, we­nig vor sich, ein ein­sa­mer Mann, schweig­sam wie die Stei­ne auf dem Grund.

      »Ich wer­de ihn fan­gen, Chri­stoph«, sag­te er, »den mit der gol­de­nen Kro­ne … ich wer­de ihn fan­gen!«

      Aber der an­de­re ver­zog nur die Lip­pen über dem grau­en Bart, wink­te mit der Hand und ging hin­ein.

      Eine un­sicht­ba­re Uhr schlug elf hel­le Schlä­ge, als Tho­mas vor der Schloss­trep­pe stand. Das Schloss war nicht mehr als ein großes Guts­haus, mit ei­nem ho­hen brau­nen Dach über zwei Flü­geln. Doch lag es breit und statt­lich über der See­bucht, und der Efeu, der bis an die Fens­ter des obe­ren Stock­werks rank­te, ließ es alt und ganz auf sich zu­rück­ge­zo­gen er­schei­nen. Das Wap­pen über der schwe­ren Tür war so ver­wit­tert, dass es nicht mehr als eine ge­pan­zer­te Faust er­ken­nen ließ, die et­was trug, aber es konn­te ein Li­li­ens­ten­gel wie eine Streitaxt sein. Der Park hin­ter dem Hau­se muss­te gleich in den Wald über­ge­hen, hin­ter dem Hof aber hob sich ge­ra­de der dün­ne Ne­bel über dunklen Fel­dern, die erst vom Ho­ri­zont be­grenzt schie­nen. Ein blau­es Tor tat sich zwi­schen den zie­hen­den Wol­ken auf, und ein hel­ler Schein fiel auf die re­gen­nas­se Erde, auf die leuch­ten­den Dä­cher und auf die Spit­ze der Fa­he­nen­stan­ge, die sich über der Mit­te des Hau­ses er­hob.

      Dann stieg Tho­mas die Stu­fen hin­auf. Er läu­te­te an ei­nem al­ten Glo­cken­zug, und die schwe­re Tür wur­de von ei­nem Rie­sen in al­ter­tüm­li­cher Uni­form ge­öff­net. Tho­mas mein­te, sie müs­se aus der Zeit Fried­richs des Gro­ßen stam­men, mit weißem Le­der­zeug und ver­schnür­tem Rock, doch trug der Mann kei­ne Bä­ren­müt­ze, son­dern kurz ver­schnit­te­nes Haar, sah auch so aus, als hät­te man ihn eben vom Pflu­ge fort­ge­holt und er hät­te sich dort woh­ler be­fun­den als in sei­nem ge­gen­wär­ti­gen Amt.

      »Der Herr Ge­ne­ral las­sen bit­ten«, sag­te er düs­ter und half Tho­mas aus dem Man­tel. Es klang, als lie­ge der Ge­ne­ral im Ster­ben.

      Tho­mas nahm mit ei­nem Blick die rie­si­ge Hal­le wahr, die bis in das obe­re Stock­werk reich­te, eine schö­ne und breit auf­stei­gen­de Trep­pe von dun­kel­brau­nem, glän­zen­dem Holz, Schau­feln, Ge­wei­he, Vö­gel, Waf­fen, Ah­nen­bil­der, einen rie­si­gen Feu­er­platz, in dem ein gan­zer Baum­stumpf ver­kohl­te, und im Hin­ter­grund, zu bei­den Sei­ten ei­ner zweiflüg­li­gen Tür, zwei alte Ka­no­nen aus matt­glän­zen­dem Me­tall, die dunklen Mün­der dro­hend auf den Ein­gang ge­rich­tet.

      Doch stan­den kei­ne Ka­no­nie­re ne­ben ih­nen, mit bren­nen­den Lun­ten etwa, wie Chri­stoph er­zählt hat­te, be­reit, das Feu­er so­fort auf je­den zu er­öff­nen, der es etwa an Hal­tung oder Ge­sin­nung gleich beim Ein­tritt sicht­bar feh­len lie­ße. Aber auch eine Re­gi­ments­ka­pel­le, ein Schel­len­baum und Bom­bar­don, wie Tho­mas sie eher ver­mu­tet hät­te, war nicht sicht­bar, so­dass er gu­ten Mu­tes, wenn auch et­was ver­wirrt von dem An­blick düs­te­rer Fei­er­lich­keit, dem rie­si­gen Gre­na­dier oder was er sonst sein moch­te, durch ein bü­cher­ge­füll­tes Vor­zim­mer bis an die Ei­chen­tür folg­te, an der die­ser nun deut­lich, aber doch in ge­zie­men­der Be­schei­den­heit klopf­te.

      Eine et­was hei­se­re Stim­me rief »He­rein!«, der Gro­ße öff­ne­te die Tür, trat oder sprang viel­mehr mit er­staun­li­cher Ge­wandt­heit über die Schwel­le, schlug da­ne­ben die Ab­sät­ze sei­ner Schu­he un­ter den ge­schnür­ten Ga­ma­schen zu­sam­men und mel­de­te mit hel­ler Stim­me: »Der Herr Chri­stoph Nach­fol­ger, Herr Ge­ne­ral!«


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