Das einfache Leben. Ernst Wiechert

Das einfache Leben - Ernst Wiechert


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der Dampf ver­gan­ge­nen Re­gens stieg; der Specht, der hin­ter dem Hü­gel häm­mer­te, flei­ßig wie ein ein­sa­mer Haus­va­ter; der See, der durch die Bäu­me blitz­te, und Vö­gel rie­fen über sein Glän­zen hin; Wol­ken, hoch im blau­en Raum, durch den die Kei­le der Kra­ni­che sich dräng­ten. Gut und still. Alte Ge­set­ze, de­nen die Krea­tur ge­horch­te, die den Tag ein­schlos­sen und die Nacht. Krieg auch hier, Lei­den auch hier, aber aus Ge­setz und nicht aus Will­kür.

      Und der Ver­trag, der ihn ein­schloss in die­se Welt, der ihm die Stun­de er­füll­te und die ge­öff­ne­ten Hän­de. Ein ein­fa­ches Werk, in dem die Rä­der sich kreuz­ten und über­schnit­ten, ein Werk, das nichts brauch­te als Fleiß und gu­ten Wil­len und Ge­hor­sam vor der Ord­nung der Din­ge. Zu er­fül­len auch von de­nen, die noch die al­ten Waf­fen tru­gen, de­ren Sinn nach dem Ein­fa­chen trach­te­te, weil sie fremd wa­ren im Ver­wi­ckel­ten der Zeit. Die ein Dach woll­ten, einen Herd, eine Ar­beit und ein fro­hes Herz.

      Es fiel ihm ein, dass er die Mön­che im­mer ge­liebt hat­te, ob­wohl er an­de­ren Glau­bens war. Die aus der al­ten Zeit, die den Wald ur­bar mach­ten und beim Ker­zen­licht die großen Buch­sta­ben auf gel­be Per­ga­men­te mal­ten. Die das Schwert nah­men, wenn es um den Acker ging oder um Gott, aber es wie­der fort­stell­ten, wenn der Acker und Gott ge­ret­tet wa­ren. Fern rausch­te ih­nen die Welt, ein Strom hin­ter Wei­den, aber sie woll­ten nichts von ihr. Sie woll­ten den Pflug und das Bild der Hei­li­gen Mut­ter und den Ker­zen­schein über der wei­ßen Zel­len­wand. Sie woll­ten sein wie die Stei­ne auf dem Grund, und das Werk ih­rer Hän­de sprach im­mer noch, hin durch die Jahr­tau­sen­de. Kein ver­ta­nes Le­ben, kein Aufruhr, kein Ge­schwätz. Ge­treue Knech­te, die un­ter Stein­plat­ten schlie­fen, aber der Haus­va­ter hat­te ihre Na­men ge­sam­melt und be­wahrt.

      Wenn sie äl­ter ist, dach­te Tho­mas und stand auf, wird sie wis­sen, dass die gol­de­ne Kro­ne un­sicht­bar ist, und viel­leicht wird auch Joa­chim es wis­sen. Dass es nur das Letz­te des Le­bens ist, sein wah­rer Sinn, her­auf­ge­zo­gen mit dem Netz, an dem das Le­ben ge­spon­nen hat. Güte und Weis­heit und nichts ha­ben wol­len. Frie­den schlie­ßen, aber den Frie­den, hin­ter dem kein Krieg mehr steht … viel­leicht ge­win­ne ich es, dass ich es ih­nen zei­gen kann, nur ihr und ihm … zwei Men­schen sind schon viel, und ich selbst bin der drit­te … drei … was für eine große Zahl, was für eine Rie­sen­zahl für eine Men­schen­hand … Es war schwer, das Kind dort zu las­sen, schwe­rer als al­les an­de­re, aber es gab Wege, die man ohne Kin­der ge­hen muss­te, ohne Frau und auch ohne Kind. Erst muss­te man fest ste­hen wie der Mann im Zir­kus, be­vor man Frau und Kind auf sei­ne Schul­tern he­ben konn­te. Und er wür­de Joa­chim bei sich ha­ben, ein paar­mal im Jahr. Er wür­de ihn er­fül­len mit dem, was er in­zwi­schen ge­won­nen ha­ben wür­de. Er wür­de ge­treu­lich tei­len. Nur das Ge­rings­te wür­de er für sich selbst be­hal­ten wol­len. Er ging schon zu Tal, aber das Kind wür­de fort­zu­set­zen ha­ben, in das neue Le­ben hin­ein …

      Der Förs­ter stand am Zaun und wink­te ihm. »Ein gu­tes Jahr, lie­ber Herr. Die Saat steht schön, und auf der In­sel wird es wie­der le­ben­dig sein. Ein Geist hat da ge­wohnt, und nun zieht der Mensch wie­der ein. Ein gu­tes Jahr …«

      Sie hat­ten ein schweig­sa­mes Mahl, und dann war Tho­mas den gan­zen Nach­mit­tag auf dem Was­ser. Er fuhr das Ufer ab. Bucht für Bucht und Schilfrand nach Schilfrand. Er be­trach­te­te den Grund, Sand und Moor, See­ro­sens­ten­gel und ver­wit­ter­te Baum­stäm­me, de­ren Äste hin­auf­grif­fen, einen schma­len Pfad im ho­hen Gras und die Ot­ter­spur, die sich weich in den Bo­den drück­te. Er fuhr um die Wal­de­cke und wei­ter bis zum Fließ, hin­ter dem der zwei­te See be­gann. Und über­all Wald und Wie­se, Er­len­ge­hölz und Feld, ein grau­es Dorf vor ei­nem bläu­li­chen Kie­f­ern­strei­fen, ein Land ganz für sich, mit ei­nem ho­hen Him­mel, un­ter dem nur der Wind lei­se tö­nend ging.

      Er sah Chri­stoph ab­fah­ren und das Boot an der ho­hen Fich­te ver­las­sen. Er trug einen Sack auf dem Rücken, sein gan­zes Hab und Gut, und grau und ge­beugt ver­schwand er im Ufer­wald, die Fah­ne si­cher­lich um den Leib ge­bun­den, ein Mann nach ei­ner ver­lo­re­nen Schlacht.

      Nun war nie­mand auf der In­sel. Die Son­ne sank hin­ter die Ei­chen­wip­fel, Ge­wit­ter­wol­ken ho­ben sich bläu­lich über den Wald, über dem Schorn­stein hing kein Rauch, ein großer Vo­gel kreis­te über dem grau­en Dach und ver­schwand im dunklen Ge­wölk.

      Tho­mas hol­te das lee­re Boot und fuhr zur Förs­te­rei zu­rück. Sie woll­ten zu­sam­men das Haus an­se­hen und was ge­än­dert wer­den soll­te, so­lan­ge Tho­mas wie­der fort war. Am nächs­ten Mor­gen woll­te er fah­ren und nach zwei Wo­chen wie­der­kom­men.

      Es war nie­mand auf dem Hof, aber aus dem klei­nen Gar­ten hör­te er wie­der den lei­sen, schlaf­wand­le­ri­schen Ge­sang. Die Frau stand über der frisch­ge­gra­be­nen Erde, im schwar­zen Kleid wie bis­her, ein Tuch um die Schul­tern, und streu­te Sa­men in die neu­en Bee­te. Aber es war nichts in ih­rer Hand. Die Hand war leer, und nur die Ge­bär­de war vol­ler Sinn. Das Lied ging ein­tö­nig durch die Stil­le, ein­fach und fast hei­ter, wie ein Kin­der­lied oder ein Lied über kind­li­chem Schlaf. Und Tho­mas mein­te ihn dort kni­en zu se­hen, den das Feu­er im dunklen Turm ver­sengt hat­te, zu Staub und Asche ver­wan­delt, eine klei­ne Ge­stalt, die nach den Sa­men­kör­nern griff, und sie wuss­te noch nichts von der kom­men­den Ern­te der Zeit.

      Die Luft war schwül wie am Abend zu­vor, die Wol­ken hat­ten die Son­ne be­deckt, und ein ge­dämpf­tes Licht fiel von den glü­hen­den Rän­dern über die Erde. In die­sem Licht ging der schwar­ze Arm der Frau lang­sam hin und her, die Rei­hen der Bee­te auf und ab, eine arme, kind­li­che Müh­le, die das tote Le­ben streu­te.

      Wie­der frös­tel­te es Tho­mas, und er ging lei­se ins Haus. »Ja, ein frü­hes Ge­wit­ter kommt«, sag­te der Förs­ter. »Dann ist sie un­ru­hig und bleibt nicht im Hau­se. Sie kann das große Feu­er nicht se­hen über dem Wald, und doch bleibt sie auf, so­lan­ge das Wet­ter leuch­tet, die Hän­de vor den Au­gen. Sie sieht ihn wohl im Feu­er, lie­ber Herr …«

      Sie fuh­ren schwei­gend über den See und tra­ten ins Haus. Es war so leer wie zu­vor, und es war nicht zu se­hen, dass ein Mensch es ver­las­sen hat­te. Sie sa­hen al­les an, und Tho­mas schrieb sich die Maße in sein Buch. Er wuss­te gleich, was er brauch­te, und sie rech­ne­ten die Prei­se aus. Ein Fuß­bo­den soll­te ge­legt, ein klei­ner Herd zum Ko­chen im Ne­ben­raum ge­setzt und das Fens­ter soll­te hö­her und um das Vier­fa­che ver­brei­tert wer­den. Al­les an­de­re soll­te un­ver­än­dert blei­ben, und der Förs­ter woll­te zu­se­hen, dass in zwei Wo­chen al­les fer­tig wäre. »Ein Palast, lie­ber Herr«, sag­te er lä­chelnd, »und im Win­ter wer­de ich das Licht durch die Bäu­me se­hen … Gott seg­ne Ihren Ein­zug, lie­ber Herr!«

      Ja, Tho­mas woll­te noch ein we­nig auf der In­sel blei­ben. Er sah das Boot zu­rück­fah­ren, in die Däm­me­rung hin­ein und ver­schwin­den. Das Licht über dem See war schon er­lo­schen, und hin­ter den Ufer­wäl­dern flamm­te das Wet­ter schon röt­lich auf.

      Tho­mas ging um die In­sel her­um über Sand und brau­nes Gras, am Schilf ent­lang, des­sen Hal­me sich lei­se an­ein­an­der rie­ben, und wie­der zu­rück. Er war so ein­sam wie auf dem Ozean. Sein Herz schlug, wie es vor der Schlacht ge­schla­gen hat­te, aber was vor ihm lag, war schö­ner als eine Schlacht. Er fand eine Stel­le auf der West­sei­te des Hü­gels, un­ter­halb der Ei­chen, wo Hei­de­kraut und jun­ge Fich­ten sich zum Ufer senk­ten. Dort konn­te man auf ei­nem Baum­stumpf sit­zen und weit über das Was­ser se­hen. Es war wie auf ei­ner Brücke, und hin­ter


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