Liebe ist die größte Macht. Anny von Panhuys

Liebe ist die größte Macht - Anny von Panhuys


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die kleinen lauen Quellen; die Augen brannten; dennoch fühlte sich Waltraut leichter. Sie hatte die Tränen schon zu lange zurückgedrängt, immer zurückgedrängt, wenn die Tante und Inge ganz sachlich und nüchtern davon gesprochen, daß es gut wäre, wenn Inge Fred Ulrich heiraten würde, damit er mit seinem vielen Geld Gut Arnsdorf schuldenfrei und Inge zur reichen Frau machen könne.

      Sie erhob sich und trat vor ein Bild hin, ein Bild, das sie sich auch aus der Rumpelkammer auf dem Boden des Herrenhauses geholt, wo es mit der Malerei der Wand zugekehrt gestanden. Es stellte eine Tante ihres Vaters und ihres Onkels dar, eine, die in der Familie als Verlorene galt, weil sie in jungen Jahren mit einem Mann, den sie nicht hatte heiraten sollen, fortgegangen war. Weit fort. Nach Spanien sagte man. Ihre Briefe hatte niemand beantwortet, und dann war sie verschollen. Das Bild zeigte ein lichtblondes junges Mädchen mit Zöpfen um den schmalen Kopf, und Waltraut sah ihr sehr ähnlich. Nur viel energischer als die ihren waren die Züge des gemalten Gesichts. Waltraut blickte zu der im weißen Kleide auf, sagte leise: „Wenn er Inge heiratet, will ich auch fortlaufen in die weite Welt wie du. Ich kann nicht mit ansehen, daß Inge ohne Liebe seine Frau wird. Ich kann es nicht mit ansehen!“

      Schon wieder wollten sich Tränen in ihre Augen drängen, aber sie wurde ihrer Herr. Nur nicht mehr weinen! Es würde lange genug dauern, bis die Tränenspuren von vorhin getilgt. Sie trat an das Fenster, zog die Tüllvorhänge ein wenig auseinander. Ihr Blick flog weit über Wiesen und Felder bis dorthin, wo die Bergkette den Horizont begrenzte. Alles war in Sonne gebadet, und Waltraut dachte, die Welt wäre doch wunderschön, wenn es darin so zuginge, daß immer Liebe und Liebe einander begegneten, und daß nicht Liebe von Spekulation und Egoismus betrogen wurde. Sie flüsterte: „Warum muß ich dich liebhaben, Fred, warum? Und du weißt es nicht, und dir liegt nichts an mir. Inge aber liebt dich nicht.“ Wie ein Krampf schüttelte herztiefer Schmerz den schlanken und doch kraftvollen Mädchenkörper. Ihre Hände ballten sich, und ihre Nägel gruben sich dabei tief in das Fleisch. „Fred!“ stöhnte sie, „lieber, geliebter Fred, du tust mir so bitter leid!“ Sie lächelte schmerzlich verkrampft und dachte: Sie selbst tat sich auch bitter leid. Sie selbst ja auch.

      Ihr Blick irrte weit über Wiesen und Felder bis zu den fernen Bergen, und sie sann: Dort hinter den Bergen begann die große weite Welt, in die Großtante Maria hineingelaufen; sie wollte es ihr nachtun. Ganz gleich, unter welchem Vorwande sie von hier fortkäme, aber sie könnte nicht mit ansehen, wenn Inge dem geliebten Manne Liebe heuchelte. Inge hatte ja schon seit langem mit ihm Blicke gewechselt und getan, als gelte er ihrem Herzen etwas. Man hatte sich im Winter oft in der Nachbarschaft getroffen, auf Bällen und Gesellschaften. Auch Einladungen nach Arnsdorf hatte Fred angenommen.

      Waltraut ließ die Lider über die Augen fallen, fest, ganz fest. Nur nicht mehr weinen! befahl sie sich schmerzdurchbebt, als sie sich vorstellte, jetzt stand Inge wohl schon in ihrem goldbraunen Samtkleid, das so wunderschön saß, vor Fred Ulrich und sagte: Ja, ja, ja! und er küßte sie vor den Augen der Eltern, und Inge dachte dabei nichts anderes, als daß sie eine reiche Frau würde.

      Mit einem Wehlaut sank die schlanke Waltraut Arnsdorf vor dem Stuhl am Fenster in die Knie und drückte das Gesicht fest in die Hände.

      Ihr war es, als stieße man ihr einen Dolch ins Herz, einen spitzen, blinkenden Dolch. So lag sie lange auf den Knien wie eine schöne junge Märtyrerin.

      2.

      Inge hatte das goldbraune Samtkleid angezogen und stand nun vor dem Spiegel ihres Schlafzimmers, in dem sie sich vom Kopf bis zu den Füßen betrachten konnte. Sie war mit sich zufrieden und trällerte vor sich hin. So, nun noch einen Hauch von Perlpuder auf das Gesicht gestäubt und ein wenig Rot auf die Lippen. Sie lächelte sich im Spiegel an und dachte, Fred Ulrich war reich, sie war schön, und das paßte gut zusammen. Schönheit braucht Reichtum, um sich voll zu entfalten.

      Indessen hatte sich der Gutsherr im blauen Zimmer mit dem Besucher unterhalten. Zuerst waren ein paar allgemeine Sätze gewechselt worden, dann war die Rede auf eine Angelegenheit gekommen, die Herrn von Arnsdorf ungemein interessierte.

      Ferdinand von Arnsdorf sprach ein bißchen zu lebhaft. Es war wohl Nervosität in ihm, ob einer der reichsten Männer des Kreises, der Fabrikbesitzer Ulrich, wirklich Inge zur Frau begehrte, und Fred Ulrich fand nicht den rechten Übergang zu der Frage, die ihn eigentlich hierhergeführt. Schließlich kam es aber auch auf eine Viertelstunde mehr dabei nicht an. Er glaubte seiner Sache ja sicher zu sein. Inge von Arnsdorf hatte ihn diesen Winter, wenn man sich bei gemeinsamen Bekannten und hier getroffen, stets sehr liebenswürdig behandelt, und ihre Augen hatten noch eine besondere Sprache gesprochen, hatten ihn merken lassen, daß er ihr nicht gleichgültig war. Vielleicht hätte er sie selbst schon fragen können, und es war vielleicht etwas altmodisch von ihm, erst mit ihren Eltern zu sprechen.

      Er wollte doch nun endlich das Gespräch abbrecben, um auf den Anlaß seines Besuches zu kommen, als es klopfte und das Mädchen meldete: „Der Inspektor ist da. Er möchte ganz schnell nur ein paar wichtige Worte mit Herrn von Arnsdorf sprechen.“

      Ferdinand von Arnsdorf nickte. Er wußte schon Bescheid. Es handelte sich um den Verkauf einer kleinen Wiese; der Inspektor vermittelte das Geschäft.

      Fred Ulrich ermunterte: „Lassen Sie mich ruhig ein paar Minuten allein, Herr von Arnsdorf. Nachher reden wir über eine wichtige Sache, die mich hergeführt.“

      Der Gutsherr, gespannt, ob der Verkauf der Wiese, an dem ihm viel lag, zustande gekommen, nickte dankend.

      Ich bitte also um Entschuldigung. In spätestens fünf Minuten bin ich wieder zurück, Herr Ulrich. Wenn Sie sich inzwischen unterhalten wollen“ — er öffnete die Tür zum Nebenzimmer — „hier in der Bibliothek gibt es allerlei zu kramen.“

      Nachdem sich Arnsdorf entfernt, ging Fred Ulrich in die Bibliothek. Er war ein großer Bücherfreund, und die Bibliothek von Arnsdorf war im ganzen Kreise berühmt als Schatzkammer uralter Bücher. Er wußte nicht, daß sich nebenan die Wohnstube der Gutsfrau befand, und wußte nicht, daß sie, die sich sehr schnell umgezogen, dort auf Inge wartete. Als er eine Tür gehen hörte, wußte er nicht, daß es Inge war, die eben nebenan eingetreten. Aber er hörte sprechen, vernahm die Stimme Inges, die deutlich sagte: „So, Mutti, jetzt kann es losgehen. Vater wird uns ja holen. Ich freue mich ja so sehr!“

      Fred Ulrich schmunzelte! Also wußte Inge schon, warum er heute hierhergekommen! Und sie freute sich so sehr!

      Wie schön das war, wie beglückend!

      Er konnte nicht anders, er mußte ein wenig lauschen, denn leider sprach die helle Stimme jetzt leiser. Aber wenn er dicht an die Flügeltür zum Nebenzimmer heranträte, müßte er eigentlich alles verstehen, überlegte er.

      Ich freue mich ja so sehr! klang es glückselig in ihm nach. Er stand vor einem deckenhohen Bücherschrank mit einem alten in Schweinsleder gebundenen Folianten in der Hand. Nun machte er ein paar Schritte und neigte sein Ohr gegen die Tür, vernahm, wenn auch noch immer gedämpft, so doch ganz klar: „Weißt du, Mutti, die ganz große Liebe kommt meist bloß in Romanen vor. Darauf kann man nicht warten. Fred Ulrich ist mir nicht unsympathisch, das muß genügen. Über alles andere hilft dann sein Reichtum weg. Ich freue mich auf die eleganten Toiletten, die ich mir bald werde kaufen können, und auf den Schmuck, mit dem ich den Neid des ganzen Kreises herausfordern will.“

      Eine andere Stimme erwiderte: „Vor allem muß er Arnsdorf halten, besonders für deinen jungen Bruder. Vater weiß oft nicht mehr ein und aus. Also sei klug, Inge. Und dann für später den Rat: Laß Ulrich nie merken, daß du ihn nicht liebst. Alles verzeiht ein Mann seiner Art eher als das. Einer wie er will Illusionen.“

      Der große Foliant zitterte in den Händen Fred Ulrichs. Er schob ihn lässig sacht wieder in die Reihe, der er ihn entnommen, ging auf den Zehenspitzen in das blaue Zimmer zurück, nahm auf dem Stuhl von vorhin Platz und tat, als hätte er sich gar nicht von hier fortbewegt, seit Herr von Arnsdorf ihn verlassen.

      Der Gutsherr trat jetzt ein. Er hatte ein vergnügtes Lächeln um den dicken, braungrauen Schnurrbart hängen. Der Verkauf der Wiese war geglückt, ein für übermorgen drohender Wechsel konnte bezahlt werden.

      Lächelnd


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