Liebe ist die größte Macht. Anny von Panhuys

Liebe ist die größte Macht - Anny von Panhuys


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Jahren waren seine Eltern kurz hintereinander an einer bösartigen Grippe gestorben. Er besaß eine große Maschinenfabrik dicht vor den Toren der nahen Kreisstadt, wo er auch ein hübsches, geräumiges Haus hatte.

      Es wurde verabredet, Anfang September sollte die Hochzeit sein.

      In der Familie Arnsdorf sah es in diesen herrlichen Frühlingstagen, die sich allmählich schon ganz sommerlich aufspielten, ein bißchen bedrückt aus. Von dem Erlös der kleinen Wiese war zwar ein Wechsel rechtzeitig bezahlt worden, aber nun standen neue Verpflichtungen vor der Tür, die eingelöst sein wollten — zwei neue Wechsel, Hypothekenzinsen, Steuern und viele Läpperschulden. Herr von Arnsdorf ging gereizt in Haus und Hof herum, und man beschrieb am besten einen weiten Bogen um ihn.

      Eines Morgens beim Frühstück faßte Frau Berna von Arnsdorf Mut. Nachdem ihr Mann gegessen und getrunken, begann sie so fest, wie es ihr möglich: „So kann das hier bei uns nicht mehr weitergehen, Ferdinand, das ist ja, als ob ständig ein paar böse Gewitter über unserem guten alten Arnsdorf ständen. Ich rate dir, rede endlich mit Fred. Er gehört doch jetzt schon zu uns. Dann weißt du, woran du bist. Denke an unseren Jungen, der in seinem Internat nicht ahnt, daß sein Stück Heimat hier in Gefahr schwebt, ihm für immer verlorenzugehen. Geh‘ zu Fred! Ich bin überzeugt, er hilft dir sicher.“

      Da fuhr Herr von Arnsdorf in die Stadt und suchte Fred Ulrich auf. Er betrat bei der Gelegenheit zum ersten Male das Fabrikgrundstück und staunte, welchen Umfang das Werk hatte. Beim Vorbeigehen und Vorbeifahren achtet man doch nicht so genau darauf.

      Da standen Maschinen in großen offenen Schuppen, von deren Bestimmung er nicht die geringste Ahnung hatte, und alles um ihn her war in Bewegung. Krane balancierten eiserne Lasten; Loren rollten irgendeinem Ziele zu; schwerer Hammerschlag dröhnte dumpf, und dazwischen klang das Pinkpank leichterer Hämmer, die Nägel einschlugen, wie das Läuten kleiner Glocken.

      Ferdinand von Arnsdorf saß dann Fred Ulrich gegenüber in einem großen, mit glatten, praktischen Möbeln eingerichteten Büro. Er war freundlich-kühl begrüßt worden, eine Art der Begrüßung, an die Ferdinand von Arnsdorf längst gewöhnt war, und die sehr im Gegensatz stand zu seiner eigenen derben, leicht burschikos werdenden Art.

      Etwas zögernd begann der Gutsherr das Thema anzuschneiden.

      Nach einem Weilchen unterbrach ihn Fred Ulrich: „Ich verstehe Sie jetzt schon vollkommen, Herr von Arnsdorf. Sie befinden sich in etwas bedrängter Finanzlage, nicht wahr? Bitte, kürzen wir das Verfahren ab. Ich bin bereit, Ihnen in vollem Umfange zu helfen. Nennen Sie mir die Summe, die Sie brauchen. Weiter ist nichts vonnöten.“

      Mit einem so überschnellen Erfolg hatte Ferdinand von Arnsdorf doch nicht gerechnet; er schlug dem anderen auf die Schulter, daß er zusammenzuckte.

      „Sie sind wirklich patent, lieber Ulrich. Aber fortan können Sie sich auf mich verlassen!“

      Die Unterredung dauerte noch ein Viertelstündchen, dann war alles in schönster Ordnung.

      Waltraut wußte nichts von dieser Fahrt ihres Onkels zu Fred Ulrich. Aber als Ferdinand von Arnsdorf heimkam, schrie er seine Zufriedenheit nur so heraus. Frau Berna lächelte glücklich. Die ewige Angst um das Dach über ihrem Kopf hatte sie manchmal ganz verhetzt in die Welt sehen lassen. Und vor allem ging es doch um das Erbe ihres Jungen!

      Waltraut lächelte auch glücklich und sagte innig: „Mein Fred ist so gut und liebenswert!“

      Inge aber überkam bei der Gewißheit, daß Fred Ulrich eine so große Summe, wie er dem Vater überweisen wollte, gewissermaßen aus dem Ärmel schütteln konnte, neuer Zorn. Diese weltfremde, immer wunschlose Waltraut würde nun bald im Schoß eines beneidenswerten Reichtums sitzen, und sie würde sich hier vom Vater weiter jedes Kleid erst erbetteln müssen.

      Zwei Tage später wurde dem Gutsherrn von einer Berliner Bank mitgeteilt, das Geld stände in einer Woche bar zur Verfügung. An diesem Tage kam Fred Ulrich nachmittags und brachte Waltraut eine Perlenkette mit von zart irisierendem Glanz. Waltraut bedankte sich mit leuchtenden Augen. Inge stand ein wenig abseits. Ihr Herz schlug hart gegen die Rippen. Die Perlen würden jetzt ihr gehören, wenn sie nicht die Dummheit begangen hätte, die grenzenlose Dummheit, in der Wohnstube ihrer Mutter Dinge zu reden, die man fest in sich verschließen soll.

      Als Fred Ulrich Waltraut die Schnur Perlen um den Hals legte, traf sich sein Blick mit dem Inges. Sie las Verachtung in dem seinen, er in dem ihren hilflose Wut.

      Heute ließen alle das Brautpaar wie auf Verabredung allein. Ferdinand von Arnsdorf und seine Frau wollten Waltraut Gelegenheit geben, ihrem Verlobten Dank zu sagen für das Gute, was er ihrem Onkel erwiesen. Und Waltraut, die sich, allein mit dem Manne, sonst immer etwas scheu benahm, fühlte sich heute leicht und frei in seiner Gegenwart. Sie nahm seine Hand, zog ihn zum Sofa. Und als sie nebeneinandersaßen, legte sie ihre Arme um seinen Hals, flüsterte: „Ich habe dich grenzenlos lieb, du. Einmal muß ich dir das doch richtig sagen. Du bist immer so ein bißchen feierlich, Fred, und da traue ich mich nicht, so zu sein, wie ich gern möchte. Dank, Fred, für alles, was du an Onkel und Tante tust. Sie hatten gräßliche Angst, Arnsdorf könnte in die Luft fliegen, wie Onkel sich immer ausdrückte. Joachim, Inges junger Bruder, soll doch einmal hier Herr werden, und Onkel und Tante lieben den Jungen über alles.“ Sie lächelte glücklich: „Und die Perlen sind auch sehr schön.“ Sie hob ihr Gesicht, ihr Mund lag nahe dem seinen, und leise schloß sie: „Du bist der liebste Mensch auf der ganzen Welt.“

      Impulsiv und warm hatte sie es gesagt, und er dachte, wenn er sich nicht vor kurzem noch von Inges warmen Blicken hätte täuschen lassen, würde er jetzt Waltrauts Worte glauben. Aber Waltraut war genauso berechnend wie ihre Kusine Inge, mit der sie in schwesterlicher Gemeinschaft aufgewachsen. Erst spielte Inge die Liebende, und als er im letzten Augenblick erkannte, daß sie ihn nur seines Geldes wegen in das Netz ihrer Schönheit gezogen, und er um Waltraut anhielt, ging die Rolle der Liebenden auf sie über. Aber von Waltraut tat ihm nicht weh, was ihn von Inge so geschmerzt. Waltraut war ihm gleichgültig. Wenn sie sich in der Rolle der Liebenden gefiel, mochte sie die Rolle spielen.

      Er wußte ja, was er von den schönen Arnsdorfmädchen zu halten hatte; sie waren gut dressiert. Ihm lag nur daran, Inge etwas vorzumachen und sie zu kränken. Er stellte fest, sein Tun war kleinlich und gehässig, aber er konnte nicht anders. Aus Gehässigkeit gegen Inge hatte er sich mit der ungeliebten Waltraut verlobt, aus Gehässigkeit gegen Inge ging er in eine Ehe, die nicht glücklich werden konnte, weil sich zwei Menschen verbinden wollten, die einander nichts galten. Wenn Waltraut erst seine Frau war, würde sie die Lüge, daß sie ihn liebe, sicher bald genug fallen lassen.

      Er empfand in diesem Augenblick fast Widerwillen gegen sich, dachte, es war eigentlich ein trauriges Spiel, in das er sich hineinverirrt. Waltraut war jung, sie hatte, um dem Onkel zu helfen, tun müssen, was der und seine Frau anordneten, aber erst später, wenn sie an ihn gebunden, würde sie voll und ganz begreifen, daß sie sich ihre ganze Zukunft, ihr ganzes ferneres Leben um der Familie willen verdorben.

      Was dann? Dann zerrten sie wohl beide an den harten Stricken der Ehe und rieben sich wund daran, bis der Tod sie befreite.

      Er ging heute mit der Bitte, ihn eine Woche lang nicht zu erwarten; er wäre geschäftlich sehr in Anspruch genommen.

      Er wollte einmal kurze Zeit nichts mehr hören und sehen von Arnsdorf. Plötzlicher großer Widerwille erfüllte ihn gegen alle dort. Gegen die immer lächelnde Gutsfrau und gegen den derben Ferdinand von Arnsdorf — gegen Waltraut, die ihm Liebe log und auch nur seinen Reichtum liebte, und vor allem gegen Inge, die ihn harmlos anlächelte, und deren Augen, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, doch eine ganz andere Sprache redeten. Diese Augen, die er trotz aller Verachtung wohl noch immer liebte.

      Waltraut begleitete ihren Verlobten bis zu seinem Auto. Er chauffierte selbst, und als er seinen Platz eingenommen, sagte sie leise: „Wie schade, daß ich dich nun eine ganze Woche nicht sehen kann, Fred! Die Woche wird mir sehr lang vorkommen.“

      Er nickte nur. Was sollte er antworten? Er glaubte ja doch nicht, was sie eben gesagt.

      Das Auto fuhr hinaus, und Waltraut sah ihm nach, wandte sich ein bißchen bedrückt ab,


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