Liebe ist die größte Macht. Anny von Panhuys

Liebe ist die größte Macht - Anny von Panhuys


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und mir sein höchstes Glück heruntergeworfen. Ich hatte geglaubt, du wolltest Inge zur Frau, so, wie Onkel und Tante es geglaubt hatten, und ich begriff nicht, daß ich die Glückliche sein sollte. Ich war erst fassungslos, fand mich aber schließlich doch in das Ueberraschende, Schöne. Ein Mann wie du stand für mich zu hoch, als daß er Dinge hätte tun können, die häßlich und verwerflich waren.“ Ihr Blick kehrte zu ihm zurück. „Ich ahnte nicht, daß ich nur ein Mittel für dich war, um dich an Inge zu rächen. Du liebtest mich nicht, du liebtest Inge. Ich aber glaubte nur zu gern an eine Liebe, für die du nie ein Wort fandest. Ich glaubte einfach daran, ohne daß du es mir jemals sagtest. Ganz selbstverständlich war das für mich, weil du mich ja sonst nicht begehrt hättest. So dachte ich! Aber Inge wußte es besser. Gestern abend verriet sie mir, in Gegenwart ihrer Eltern, die volle Wahrheit. Du liebst sie, du kamst, um ihre Hand zu erbitten, und dann hörtest du von der Bibliothek aus ein Gespräch mit an, das sie im Nebenzimmer mit ihrer Mutter führte. Ein Gespräch, dem du entnehmen mußtest, sie empfand nichts für dich; nur dein Reichtum lockte sie. Und der Zorn darüber gab die den Gedanken ein, dich an ihr zu rächen. Für diese Rache schien ich dir eben recht.“ Sie erhob sich. „Ich aber lasse mich nicht als Werkzeug deiner Rache benützen, Fred, weil ich dich liebte. Seit langem. Ich war traurig, als ich hörte, Inge wollte dein Werben aus selbstsüchtigen Gründen annehmen. Ich versuchte das sogar zu verhindern, weil du mir zu schade warst, nicht wiedergeliebt zu werden. Jeder hätte ich das Glück gegönnt, deine Frau zu werden, wenn ich gewußt, sie liebe dich. Ich habe dich geliebt, und ich glaubte an deine Liebe. Wie hättest du denn sonst an mich gedacht. Ich habe dich geliebt wie einen, der hoch über dem Alltag steht, und im Grunde warst du nur ein rachsüchtiger Verliebter, dem es in seiner Enttäuschung gar nicht darauf ankam, einen andern Menschen zu opfern, nur um die Befriedigung der erfüllten Rache zu kosten.“ Ihr Blick flammte. „Ich habe dich geliebt über alles, aber du bist klein, Fred Ulrich, sehr klein! Ich verlange für meine Liebe Gegenliebe, ich lasse mich nicht für Geld kaufen. Und da hast du deinen Ring wieder und die Perlen dazu, die Anzahlungen auf eine lieblose Ehe.“

      Sie stellte das Etui mit der Perlenschnur auf den Schreibtisch und legte den Brillantring daneben.

      Im Zimmer herrschte tiefe Stille. Fred Ulrich saß noch immer auf seinem Stuhl, aber er sah Waltraut längst nicht mehr an; er hatte den Blick senken müssen vor den flammenden grauen Augen.

      Die Stille wurde schwer und lastend. Immer schwerer, immer lastender! Mit einem tiefen Atemzug erhob sich endlich Fred Ulrich, und langsam sagte er: „Ich wußte nicht, daß du mich liebst, Waltraut.“

      Sie verbesserte: „Ich liebte dich, aber ich liebe dich nicht mehr. Meine Liebe zerbrach an der allzu großen Enttäuschung.“

      Er dachte, warum traf ihn ihre Verbesserung seines Satzes fast wie ein Schmerz?

      So sprach er ganz sanft — wie zu einem Kinde. „Waltraut, ich bedaure, was ich getan, ich bedaure, dir Schmerz zugefügt zu haben. Ich schätzte dich in meiner jähen Erbitterung genauso ein wie Inge. Verzeih mir, Waltraut.“

      Jetzt erst sah er sie an. Die Erregung schien von ihr gewichen; eine matte Ruhe lag auf ihrem Gesicht, ihr Blick war ernst und traurig.

      „Laß, Fred! Ich trage dir nichts nach. Wir wollen in Frieden auseinandergehen.“ Sie war schon an der Tür. „Ich will Onkel bitten, mich fortzulassen, vielleicht finde ich irgendwo Stellung als Kinderfräulein oder Gesellschafterin. Ich glaube nämlich, Onkel und Tante werden sich wenig über die Auflösung unserer Verlobung freuen. Es ist nun gut, ich gehe fort.“ Sie lächelte jetzt. „Aber das sind Dinge, die nur mich angehen.“

      Er wußte nichts zu erwidern, und ehe er sich noch besinnen konnte, war sie fort.

      Als er die Tür öffnete, um ihr nachzurufen, war sie schon die Treppe hinunter. Was hätte er ihr denn auch sagen können? In ihren Augen war er schuldig und war es auch in seinen eigenen.

      Er sah das Etui an, das die Perlen enthielt, die er ihr erst gestern gebracht hatte, und er sah den Ring an, den funkelnden Ring, den er Inge hatte geben wollen, den er Waltraut an den Finger gesteckt, und der sich nun zu ihm zurückgefunden. Jetzt konnte er ihn wieder in den Schmuckkasten seiner Mutter legen, dem er ihn entnommen.

      Am Fenster stehend, blickte er auf die Land-Straße hinaus, die schnurgerade in der Nähe vorüberzog und die auch nach Gut Arnsdorf führte. Da sah er Waltraut auf ihrem Fahrrad. Die schlanke, straffe Gestalt saß fast regungslos auf dem Rad. Wie schön sie war. Schöner vielleicht als Inge, fiel ihm ein. Er sah ihr nach, so weit er sie sehen konnte, dachte, nun war die Komödie also vorbei, die er Inges wegen in Szene gesetzt.

      Fred Ulrich ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder und stützte den Kopf in die Hand. Er erinnerte sich jetzt mit großer Deutlichkeit, daß Waltraut ihm gestern gesagt, sie liebe ihn grenzenlos, und wie er das aufgefaßt. Heute wußte er, sie hatte wahr und tief empfunden, was ihr Mund gesprochen.

      Ein Gefühl quälte ihn, das er nicht zu deuten wußte. War es Mitleid mit Waltraut, Aerger über Inge, die Waltraut so rauh aufgeklärt, oder war es Aerger über sich selbst? Vielleicht ein Gemisch von allem.

      Weg jetzt mit all den Gedanken! Er mußte froh sein, daß das Schicksal ihn davor bewahrt hatte, die ungeliebte Frau heiraten zu müssen. Nun war er wieder frei. Die schönen Arnsdorfmädchen sollten keine Rolle mehr in seinem Leben spielen.

      Mit diesem Entschluß klingelte er und bat seinen ersten Prokuristen zu einer geschäftlichen Besprechung. Er hatte noch anderes zu denken und zu tun, durfte sich den Kopf nicht verwirren mit Liebesdingen. Arbeit brauchte er, Arbeit, um seine Liebe zu Inge zu vergessen und sein Mitleid mit Waltraut.

      So schob Fred Ulrich das Etui mit der Perlenkette in ein Schreibtischfach, dann streckte er seine Hand nach dem Ring aus und mußte unwillkürlich denken, der glitzernde weiße Stein hob sich von dem dunkelgrünen Tuch des Schreibtisches ab wie eine große Träne.

      8.

      In der Kreisstadt, im Hotel „Zur Post“ — es war zweitrangig, denn auf den ersten Rang hatte nur das „Deutsche Haus“ Anspruch — war eine ziemlich einfach gekleidete alte Dame abgestiegen. Sie hatte schneeweißes Haar, das sich in neckischen, noch dichten Löckchen um ihren Kopf legte. Sehr große Grauaugen bargen sich hinter einer großformatigen Hornbrille. In das Fremdenbuch hatte die Dame sich eingeschrieben als Frau Maria de Hernandez. Der Wirt hatte kopfschüttelnd außer dem Namen noch gelesen, daß die Dame aus Barcelona war. Er tippte sich mit dem Zeigefinger der Rechten an die Stirn und brummte: „Da muß was dahinterstecken. Was will eine Dame von so weither wie Spanien hier in unserem Nest?“ Aber er beruhigte sich mit der Einsicht, daß ihn das eigentlich nichts anginge, wenn die Dame nur bezahlte.

      Und des steckte etwas dahinter. Die alte Dame hieß in ihrer Jugend Maria von Arnsdorf und war die Schwester von Ferdinand von Arnsdorfs Vater gewesen. Um ihrer Liebe willen, die man ihr nehmen wollte, lief sie bei Nacht und Nebel mit dem Mann ihrer Liebe davon. Im Ausland ließen sich beide trauen, und weil Maria ihre bittenden Briefe stets ungeöffnet zurückerhielt und später auf Erkundigungen hörte, ihre Eltern seien gestorben, schlief ihre Sehnsucht nach der Heimat allmählich etwas ein. Aber eines Tages, als ihr Haar, das einst im lichtesten Blond geschimmert, längst schneeweiß geworden, wachte die Sehnsucht nach der Heimat in ihr wieder auf. Maria de Hernandez aber wollte der Qual der Sehnsucht nicht nachgeben. Was sollte sie noch in der Heimat? Sie würde sich dort kaum noch zurechtfinden. Sie hatte nachgezählt. Jetzt war sie fünfundsiebzig Jahre alt, und damals, als sie die Heimat verlassen, war sie einundzwanzig gewesen. Aber ihr Mann, ihr treuer Lebensgefährte, war lange tot, ihr einziger Sohn auch, und ihr Heimweh wurde übermächtig. Kurz entschlossen war sie doch abgereist. Nun war sie am Ziel.

      Am ersten Tag wanderte sie durch die kleine alte Kreisstadt, durch die einst ihre Kinderfüßchen getrippelt. Sie stieß hier auf Schritt und Tritt auf Erinnerungen, denn es hatte sich vieles erhalten von dem Damals ihrer Jugend.

      Heute standen wohl die Enkel derer in den kleinen Läden, die ihr einst Waren verkauft; denn sie las viele der Namen auf den Schildern, die sie von früher in ihrem Gedächtnis aufbewahrt hatte.

      Am zweiten Tage mietete Maria de Hernandez


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