Liebe ist die größte Macht. Anny von Panhuys

Liebe ist die größte Macht - Anny von Panhuys


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zweiunddreißig Jahre war. Ein Mann wie er, früh an die Spitze eines großen Unternehmens gestellt, hatte an anderes zu denken als ans Küssen und Lieben. Sie lächelte: Die Hauptsache war doch, er liebte sie.

      6.

      Heute ging es sehr vergnügt am Abendbrottisch von Arnsdorf zu. Der Gutsherr hatte die zwei letzten Flaschen Sekt aus dem Keller holen lassen und gemeint: „Jetzt wollen wir auf Waltrauts Wohl anstoßen. Sie ist doch nun einmal die Brücke gewesen, über die Fred gekommen ist, uns aus der verflixten Patsche zu helfen.“ Er atmete tief auf. „Kinder, ich kann euch gar nicht sagen, wie quietschvergnügt ich bin über die Rettung. Waltraut, kleine Weißköpfige, los, stoß mit deinem ollen Onkel an auf deine Zukunft.“

      Wenn Ferdinand von Arnsdorf Waltraut „kleine Weißköpfige“ nannte, war er immer in seiner glänzendsten Stimmung; aber er verlangte dann auch von den anderen Vergnügtsein und gute Laune.

      Inge stieß sehr lässig mit Waltraut an.

      Er rief ärgerlich: „Was machst du für‘n miesepetriges Gesicht, Inge! Grollst du noch, weil dir Fred durch die Lappen gegangen ist? Solltest dich eigentlich damit abfinden, daß er Waltraut liebt. Wir haben uns eben alle in Fred geirrt, und du hast ja vorher, wie Mutter mir erzählte, erklärt, du liebst ihn nicht. Also gib dich zufrieden. Einen Flunsch ziehen, wenn wir alle Grund zum Freuen haben, das gibt es nicht.“

      Inges Augen hingen wie gebannt an der herrlichen Perlenkette Waltrauts, die sie noch trug, und an dem funkelnden Verlobungsring an ihrer Linken.

      Ihr war abscheulich zumute. Heller Neid auf die Kusine erfüllte sie, und sie stürzte ihr Glas Sekt hinunter, lachte laut: „Vater, du redest doch von lauter verschollenen Dingen. Mein Ärger ist längst vorbei. Ich bin sogar sehr froh, daß Fred Ulrich nicht um mich angehalten hat. Ich gebe zu, erst war ich bitter enttäuscht, aber dann habe ich eingesehen, es ist nicht gut, wenn Liebe nur einseitig ist.“

      Sie hatte schon ein Glas Sekt getrunken, und das schnelle Hinunterschütten war ihr nicht bekommen in der überreizten Stimmung, in der sie sich befand.

      Waltraut wandte ihr den Kopf zu.

      „Du hast recht, Inge, einseitige Liebe kann nicht guttun. Aber da du Fred nicht geliebt hast, wäre nicht einmal einseitige Liebe zwischen euch gewesen, weil Fred dich ja auch nicht liebte.“

      Ein flirrender Blick traf sie, und dann tat Wut, im Verein mit den paar Gläsern Sekt, ihr Werk. Ehe Frau von Arnsdorf, die das Unheil nahen sah, sich auch nur besinnen konnte, wie Inge an einer großen Torheit zu verhindern wäre, erwiderte Inge schon mit flammenden Wangen:

      „Ich liebe Fred Ulrich nicht, nein, ich ihn nicht, aber er hat mich geliebt, und er kam, um mich zu werben. Dich nahm er als Ersatz, als Lückenbüßer, weil du gerade so bequem zur Hand warst, weil er mir eins versetzen wollte.“

      Die Worte überstürzten sich fast, und Waltraut, die eben ihr Glas zum Munde hatte führen wollen, stellte es mit hartem Ruck auf den Tisch zurück. Ihr Gesicht war zum Erschrecken bleich.

      Frau von Arnsdorf legte Inge eine Hand auf die Schulter.

      „Du weißt nicht mehr, was du sprichst. Geh‘ nach oben, lege dich schlafen. Morgen werde ich dich erinnern, welchen Unsinn du geredet hast.“ Sie wollte die Tochter hochziehen von ihrem Stuhl. „Ich bringe dich in dein Zimmer. Du hast ja schon einen Rausch.“

      Inge wehrte sich gegen die Hand der Mutter.

      „Ich habe keinen Rausch, ich bin vollkommen nüchtern. Das bißchen Sekt hat mir nur den Mut zur Wahrheit gegeben. In einer Ehe mit Fred hätte er mich geliebt. Wenn Waltraut ihn heiratet, liebt sie ihn — einseitige Liebe sowieso.“

      Waltraut fragte mit angstvollen Augen: „Du willst sagen, Fred liebt mich nicht? Aber warum hätte er dann um mich angehalten?“

      Frau von Arnsdorf befahl: „Du gehst sofort auf dein Zimmer, Inge! Ich verbiete dir, den Unsinn weiter auszuspinnen.“

      Inge lachte: „Ich habe Waltraut liebgehabt wie eine Schwester; aber jetzt bin ich böse auf sie, und darum mag sie ruhig wissen, daß Fred sie nicht liebt, sondern mich, und daß ich heute seine Verlobte wäre, wenn ich nicht so dumm gewesen, mich mit Mutter in ihrem Wohnzimmer darüber zu unterhalten, daß ich ihn nicht liebe. Er hat das mit angehört von nebenan, von der Bibliothek aus, die Vater ihm geöffnet, als er ihn ein paar Minuten allein im blauen Zimmer zurücklassen mußte. Gleich darauf erfolgte seine uns alle so befremdende Werbung um dich.“

      Frau von Arnsdorf hatte vergebens versucht, Inge zum Schweigen zu bringen; ebensogut hätte sie versuchen können, einen schnell dahinrasenden Wagen in die Speichen zu greifen.

      Ferdinand von Arnsdorf erhob sich jetzt. Schwer und gewichtig stand er hinter dem Stuhl der Tochter.

      „Na, hast du dich nun gründlich ausgekollert, du Wutnickel? Zeit ist‘s, sonst fahre ich dazwischen, Mädel. Ins Bett! Eins, zwei, drei — marsch! Keinen Widerspruch, und morgen bittest du Waltraut um Verzeihung für den Schwindel, den du losgelassen, weil du dich über die Perlen heute geärgert.“

      Er hatte sie wie ein Kind vom Stuhl hochgezogen und auf die Füße gestellt. „Bist lange noch nicht einundzwanzig, Inge, und wenn ich dir ein paar Ohrfeigen gebe, darfst du noch nicht weglaufen.“

      Inge war zur Tür gerannt. Dem Vater konnte man nicht ganz trauen.

      „‘raus!“ kommandierte der Gutsherr, und Inge lief wie gejagt die Treppen hinauf. In ihrem Zimmer aber überfiel sie mit einem Male das volle Bewußtsein dessen, was sie getan. Sie begriff, sie hatte sich von ihrer Erbitterung zu Äußerungen hinreißen lassen, die Waltraut die Augen öffnen mußten über die Liebe Fred Ulrichs, an die sie fest glaubte.

      Waltraut war Idealistin, und es konnte eine böse Sache werden, wenn sie ihr Glauben schenkte. Oh, der verdammte Sekt, der ihr den Rest von Verstand genommen, den ihr die Wut auf Fred Ulrich und Waltraut noch gelassen!

      Sie hörte die Mutter die Treppe heraufkommen und sah ihr ängstlich entgegen. Mut war nie Inges starke Seite gewesen. Sie fürchtete sich vor der Strafpredigt, der sie nun würde standhalten müssen.

      Frau Berna trat hastig ein und sah Inge ärgerlich an.

      „Eine schöne Suppe hast du uns eingebrockt. Kennst doch Waltraut. Sie ist überempfindlich und glaubte fest an Fred Ulrichs Liebe, so, wie wir auch. Aber Waltraut geht ohne Liebe in keine Ehe. Heute hatten wir die frohe Gewißheit erhalten, daß dem Vater das Geld, um Arnsdorf zu halten, in einer Woche von heute an, zur Verfügung steht, und nun tust du uns das an. Hast du denn vergessen, wer uns das Geld gibt? Noch kann Fred es zurückziehen. In einer Woche kann viel passieren. Wenn die Verlobung gelöst wird, dürfen wir kein Geld von Ulrich verlangen, dann ist er wieder ein Fremder für uns. Und ein Fremder gibt auf das schuldenüberladene Arnsdorf keinen roten Heller. So sieht alles für uns jetzt aus. Waltraut war zufrieden, war glücklich; aber du mußtest dein Mütchen an ihr kühlen. Der Himmel gebe, daß dein Mund kein allzu großes Unheil angerichtet hat. Waltraut ist sehr blaß, doch leidlich vernünftig. Vater macht ihr immer wieder klar, du wärest total beschwipst; er schwört Stein und Bein darauf und quält sie, noch etwas zu trinken, damit sich ihre Gedanken verwirren sollen und sie morgen nicht mehr genau weiß, was du geredet hast. Es geht doch bei uns um zuviel. Denke doch auch an Joachim! Der liebe junge Kerl ahnt nichts von der Gefahr, in der Arnsdorf schwebt. Schlechte Schwester du!“

      Inge fuhr sich mit der Hand über die heiße Stirn.

      „Laß gut sein, Mutter! Ich werde morgen schon mit Waltraut reden. Ich gebe zu, ich habe eine große Dummheit begangen, aber ich will sie wieder null und nichtig machen. Morgen, Mutter, morgen, wenn wir alle ausgeschlafen haben!“

      Sie hoffte, mit Waltraut schnell einig zu werden. Sie mußte eben lügen. Und das Blaue vom Himmel wollte sie herunterlügen, damit ihre Dummheit von heute abend keine Folgen nach sich zöge. Man hing doch nun einmal von dem reichen Freund Fred Ulrich ab.

      Waltraut aber saß unten mit dem Onkel zusammen und ließ ihn reden, nickte immer wieder „ja“, tat, als überzeuge


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