Du bist dran. Mieze Medusa
lüge ich nicht.
»Machen Sie auf Ihrem Bewerbungsfoto kein Duckface.«
Nachdem die Frau aufgelegt hat, befolge ich ihren Rat und google Bewerbungsschreiben und Muster. Dann seufze ich.
Nichts tut sich. Die Tage vergehen. Ich gehe zum Supermarkt. Ich putze die Wohnung. Ich bügle Nikos Hemden. Die γιαγιά ist vor dem Fernseher eingeschlafen. Die Zwillinge spielen. Nikos und Mama sind im »Poseidon«. Nach mir haben sie die ganze Woche nicht gefragt. Ich habe eine seltsame Art von Hausarrest. Will die Mama beweisen, dass sie mich im »Poseidon« nicht brauchen?
Regeln für den Erfolg, frei nach Beyoncé: Arbeite hart. Sei kreativ. Bleib nicht stehen, verschwende keine Zeit. Gib nicht auf. Reiß dich zusammen. Zieh dich schön an, wenn du traurig bist. Sei positiv. Sei im Gleichgewicht. Greif nach den Sternen.
Ich springe auf, ziehe mir irgendwelche Schuhe an.
An den Mülltonnen vorbei führt ein dunkler Gang in den Hinterhof. Die Tür zur Küche des »Poseidon« ist nur angelehnt. Maria ist immer heiß, wenn sie kocht.
»Na?« Maria lehnt schwitzend an der Abwasch aus Edelstahl.
Ich lächle sie an.
»Hab nicht mit dir gerechnet heute.«
Ein paar Schritte bringen mich zur Tür, die in den Schankraum des»Poseidon« hineinführt. Ich schiebe sie vorsichtig und geräuschlos auf, werfe einen Blick ins Lokal. An der Theke zapft Mama Bier. Ich suche nach Nikos. Er steht bei Tisch 10. Er nimmt die Bestellung auf. Sein Blick ruht auf Mama, zufrieden und voller Zuneigung. An Mamas gerötetem Gesicht kann man klar ablesen, dass ihr der Blick bewusst ist. Nikos wendet sich wieder den Gästen zu. Bestätigend legt er die Hand auf die Schulter des Mannes. Was sie reden, kann ich nicht hören. Beide lachen.
Ich lasse die Tür los. Sie schwingt leise hin und her, wie in einem Western die Saloontür, kurz bevor geschossen wird.
Am Arbeitsplatz neben Maria raspelt ein schweigender Fremder Gurken. Ich nehme mir ein Cola aus dem Kühlschrank. Mit dem Kinn zeige ich Richtung Gurken: »Ein Neuer?«
Maria nickt.
»Den hat mir meine Freundin Sophie geschickt. Der hat bei ihr im Betrieb gearbeitet, aber ihm ist das Land zu viel geworden. Er wollte unbedingt in die Stadt. Wenn Sophie jemanden mag, hilft sie, auch wenn es ihrem eigenen Betrieb schadet. Also, wenn der ohnehin schon gekündigt hat.«
Stellt sich raus, Marias Freundin Sophie hat einen Bauernhof, auf dem man Urlaub machen kann.
»Wer hilft denn jetzt in Sophies Küche?«
Maria zuckt mit den Achseln. Dann legt sie ihr Messer weg und schaut mich streng an: »Warum fragst du?«
Übungsmodus
Das Büro des Neukunden liegt im Mezzanin eines Altbaus. Wenig Sonne, hohe Räume, gute Adresse. Ein junger Mann im Anzug bringt mir einen Kaffee. Keine Falten, kaum Barthaare. Er ist so jung, der kennt keine Welt ohne Plug & Play. Durch die offenen Flügeltüren sehe ich drei Arbeitsplätze, einer ist frei. Neben der Tastatur liegt eine externe Festplatte auf dem Tisch.
»Die Festplatte? Ist das Ihre?«
Er nickt.
»Passwortgesichert?«
Er wird ein bisschen rot, nickt aber wieder.
»Ist das Passwort Ihr zweiter Vorname? Enthält es eine Jahreszahl? Sonderzeichen?«
Sein Gesicht verfärbt sich noch mehr.
»Wenn Sie kurz hier warten würden … Herr Berger kommt gleich zu Ihnen.«
»Bringen Sie mir doch schon mal Ihren internen Security-Leitfaden. Schließlich zahlen Sie mich für die Zeit hier. Ich möchte Ihnen gerne die Chance geben, davon zu profitieren.«
Herr Berger hat dünnes Haupthaar und einen besorgten Blick. Er erklärt mir, was seine Firma macht, ich vergesse es sofort wieder. Dann erkläre ich ihm, was meine Firma macht. Ich weise darauf hin, dass mir sein Mitarbeiter den Security-Leitfaden ausgehändigt hat, bevor ich den Vertrag unterzeichnet habe. Herr Berger nickt besorgt und macht sich eine Notiz.
Eine Stunde später verlasse ich das Büro. In der Tasche habe ich die schriftliche Erlaubnis, den Betrieb hacken zu dürfen. Kinderspiel bis Level 1 im Übungsmodus. Bei der Verabschiedung erinnere ich Herrn Berger daran, ein wöchentliches Backup auch außerhalb des Büros aufzubewahren. Verschlüsselt und passwortgesichert. Bitte, danke.
Ich laufe die Stufen runter und staune, wie weit oben das Mezzanin in Wien sein kann. Mezzanin, Hochparterre, in jeder anderen Stadt wäre das schon der zweite Stock. Im Kopf mache ich eine Liste. Wie soll ich vorgehen, um die Zeit bis zur erfolgreichen Penetration zu verkürzen? Müsste ich nicht. Herr Berger freut sich, wenn’s länger dauert, dann fühlt er sich sicherer. So ein Unsinn! Sicherheit ist ein Prozess, kein Zustand. Den Hack möglichst schnell zu machen, ist aber immer noch Ehrensache.
In Gedanken tief abgetaucht in die Welt meines Kali Linux, pralle ich beim Verlassen des Hauses mit voller Wucht gegen jemanden, der ganz klar weder eine 0 noch eine 1 ist. Eher schon eine 10. Ich mache die Augen auf und schaue direkt in ein Gesicht, das ich mir gemerkt habe. Vor mir steht die Technikerin von neulich.
»Hallo«, stottere ich.
Ein Versuch, ihren Gesichtsausdruck zu deuten: nachdenklich, irritiert, mit Spuren eines Lächelns.
»Kennen wir uns?«
»Ja. Eduard. Neulich, von der Fachmesse …«
Ihr Lächeln wird breiter. Sie hat mich wiedererkannt. Ich löse meine Gedanken aus der Welt der Penetrationstests, was mir schwerfällt, oder wie kann ich sonst erklären, dass ich anfange, über das Wetter zu reden. Ich höre die Wörter »Feinstaubbelastung, Allergiewerte, Biowetter« aus mir purzeln und überlege gerade, ob es noch schlimmer geht.
Ihr Lächeln zieht sich wieder zurück. Ihre Hände reiben den Hosenstoff an der Seite ihrer Oberschenkel. Die Zeit dehnt sich. Erleichtert atme ich auf, als ihre Hände den Hosenstoff loslassen und sie sich mit allen Fingern durch die Haare fährt.
Sie schüttelt bedauernd den Kopf. Ihr Lächeln ist entwaffnend:
»Ehrlich gesagt: Das Wetter ist mir heute noch gar nicht aufgefallen.«
Sie heißt Bianca. Ihre Augen sind groß und schwarz wie Magnete. Aus mir völlig unerfindlichen Gründen hat sie schon dreimal gelacht, nachdem ich etwas gesagt habe. Wir sitzen an einem Marmortisch, vor uns stehen zwei Bier. Trotz meines Blackouts ist das Gespräch ins Laufen gekommen. Ich habe meinen Mut zusammengenommen und gefragt, ob wir etwas trinken gehen wollen.
»Warum nicht? Schließlich geht die Sonne bald unter, und die Welt wird es schon nicht tun, nur weil wir heute eine Stunde früher mit der Arbeit aufhören.«
Jetzt sitzen wir da und fachsimpeln über Kollegen, Fachtrottel und DAUs, die dümmsten anzunehmenden User. Bianca grinst mich an.
»Und ich sag ihm noch, er muss das Servicepack deinstallieren. Aber hat er mir geglaubt? Er hat immer mehr geschwitzt und gesagt: Aber auf dem anderen Computer geht er ja, warum geht der Scheiß-Dongle nicht. Schließlich hat er den Dongle einfach in den Mülleimer geworfen. Ich hab ihn rausgenommen und auf ebay weiterverkauft. Weißt du noch, ebay?«
Sie lacht. Ich lache. Läuft gut.
»Ich hab ihm dann die Betriebsrichtlinie für Mülltrennung auf den Desktop kopiert. Er ist nicht lange bei uns geblieben.«
Ihr Lächeln wird nachdenklich.
»Aber ich auch nicht. Ich bin auch gegangen. Der Job war okay, aber eigentlich: Am liebsten arbeite ich selbstständig. Für mich. Und klar, Messetechnik ist nicht gerade meine Erfüllung. Aber ich mach jetzt hier ein paar Aufträge, die Geld bringen, und dort ein paar, die interessant sind, und insgesamt hab ich Zeit und kann’s mir