Der Ruf der Heimat. Artur Brausewetter

Der Ruf der Heimat - Artur Brausewetter


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Male.“

      „Ich kam nicht freiwillig.“

      „Ich hörte es. Die Mutter liess Sie bitten. Aber Sie sprachen den Vater. Und der enttäuschte Sie auch.“

      Sie weiss, dass er ihr nicht antworten wird.

      „Sie dürfen es ihm nicht übelnehmen. Er kann Geld verdienen. Aber er kann es nicht ausgeben. Das ist sein Schicksal, und das tut mir immer so leid.“

      Er freut sich ihrer Offenherzigkeit. In dieser Weise ist sie ihm bisher nicht begegnet.

      Aber der Widerstand, den er im Geheimen gegen sie hegt und der wohl in der Verschiedenheit, ja, im Gegensatz ihrer Weltanschauung begründet ist, lässt sich auch jetzt nicht zum Schweigen bringen.

      „Komisch“, erwidert er, „dass sich im Leben der meisten Menschen immer alles um das Geld dreht. Wenn ich von mir sprechen darf, mich interessiert es wenig. Es ist mir etwas völlig Nebensächliches, das mein Denken und Tun nicht im leisesten berührt.“

      „Dann geht es Ihnen wie mir. Und wir haben bei allem Auseinandergehen unserer Ansichten wenigstens hier den einigenden Punkt.“

      Er lächelt. „Nur dass Ihnen zu jeder Zeit so viel Geld zur Verfügung gestanden hat, wie Sie nur haben wollten. Da ist es vielleicht keine Kunst, ihm mit vornehmer Herablassung zu begegnen.“

      Es kommt schärfer heraus, als es beabsichtigt ist. Aber es liegt einmal nicht in seiner Art, das Wort zu wägen, bevor er es ausspricht, sondern es zu gebrauchen, wie es ihm richtig und gut dünkt.

      Sie aber, die in ihrem gesellschaftlichen Verkehr und im Umgang mit den verschiedensten Menschen, die ihr als der Tochter Friedrich Vandekamps mit einer gewissen Ehrerbietung entgegenkommen, an eine glattere und mehr verhüllende Sprache gewöhnt ist, fühlt sich verletzt.

      „Und doch waren Sie enttäuscht, als mein Vater Ihnen eine kleinere Summe zur Verfügung stellte, als Sie erwartet hatten.“

      „Nicht für mich, sondern für ihn war ich enttäuscht. Weil ich mir dachte, dem Armen in seiner Not zu helfen, das müsste etwas Herrliches sein für den, der im Besitze wohnt.“

      „Es wird überall gesammelt und sehr viel.“

      „Aber lange nicht genug.“

      „Da müssten wir schliesslich teilen.“

      „Gewiss. Das müssten wir.“

      Ihr Gespräch hat die ruhige Bahn verlassen, der Ton an Schärfe zugenommen. Auf beiden Seiten. Die trennenden Gegensätze flackern auf.

      „In diesem Punkte werden wir uns nie verstehen.“

      Es scheint, als wolle sie eine zwecklose Unterredung abbrechen.

      „Nein, das werden wir nicht“, gibt er hart zurück. „Sie wissen, wie hoch ich Ihren Vater einschätze, wie ich seinen klugen Sinn, seinen rastlosen Fleiss bewundere. Er ist für mich die ausgesprochene Kampfnatur. Und darin stehe ich ihm nahe. Aber wenn ich mich frage: Wozu das alles? Wozu dies aufreibende, nervenpeitschende Hetzen vom frühen Morgen bis zum späten Abend? Alles um des eigensüchtigen Erwerbens und Gewinnens halber —“

      „Über meinen Vater und seine Art glaubte ich Sie genügend aufgeklärt zu haben.“

      „Aber geht es mir mit den anderen in Ihrem Hause nicht ebenso? Wenn ich zu Ihrer Grossmutter komme und sage mir: Sie ist eine achtzigjährige Frau, die unmittelbar am Grabesrande steht, mit ihr musst du über Dinge sprechen, die über diese Welt hinausreichen, musst ihren Sinn auf etwas Höheres und Bleibendes richten — gelingt es mir? Sie hört mir nur mit halbem Ohre zu. Immer kommt sie auf das eine, das unablässig Wiederkehrende zurück: Dass sie einmal ein grosses Vermögen, Schlösser und Gärten besessen, prunkhafte Gesellschaften und rauschende Feste gegeben. Und woran klammert sie ihre ganze Hoffnung, das Glück ihrer letzten, kümmerlich bemessenen Jahre? An einen Prozess, der ihr wiedergeben soll, was sie verloren hat und nicht zu verschmerzen vermag.“

      „Sie sind ein strenger Richter, Herr Pfarrer Wendland. Ja, begreifen Sie denn nicht, dass, was Sie so hart an der alten Frau tadeln, der einzige Halt ist, an den sie sich wie an einen Strohhalm klammert? Dass ihr das Leben unerträglich sein würde, wenn sie dieser schöne Traum nicht aufrecht erhielte, gleichviel ob er einmal Erfüllung werden wird oder nicht? Nehmen Sie einem Menschen die Illusion, und Sie nehmen ihm das Leben. Ja, warum sehen Sie mich denn so an?“

      „Weil ich Ihnen auch hierin nicht zu folgen vermag. Und weil ich bisher nicht wusste, dass Sie ein so tiefgehendes Verständnis für die alte Dame haben könnten.“

      In ihren Augen blitzt es auf.

      „Ich glaube nicht, dass Sie auch hierüber zum Richter berufen sind. Wenigstens erkenne ich Sie als solchen nicht an.“

      „Ich wollte nicht richten, sondern nur erklären.“

      „Und ich vergesse, dass Ihnen Ihr Amt vielleicht das Recht gibt —“

      „Ich sprach nicht zu Ihnen aus meinem Amte heraus, das ich hier nicht auszuüben habe. Als Mensch nur wollte ich zu Ihnen sprechen. Habe ich mich im Ton vergriffen, so halten Sie es meiner Ungeübtheit in diesen Dingen zugute. Ich wollte Sie nicht kränken — nein, wirklich, das wollte ich nicht.“

      Ein fast um Entschuldigung bittender Ton ist in seinen Worten. Sie weiss, dass er ihm nicht leicht fällt. Ihr Blick weilt auf ihm. Etwas wie aufsteigendes Wohlgefallen ist darin.

      „Vielleicht war es die Zeit, in die ich hineingestellt bin, die aus mir sprach.“

      Sie zuckt die Achseln.

      „Die Zeit! Ich fürchte, Herr Pfarrer, auch hier werden wir beide uns nicht verstehen.“

      „Es mag sein. Ich habe nie verstanden, dass Sie an dem, was jetzt die Welt bewegt, mit kühler Teilnahmlosigkeit vorübergehen.“

      „Weil es mich nicht berührt“, gibt sie in hörbarer Auflehnung zurück.

      „Und weshalb berührt es Sie nicht? Warum verschliessen Sie sich einer Sache, die andere fortreisst?“

      „Ich bin immer selbständig meinen Weg gegangen. Diese Zeit, der Sie dienen, sie mag für unbefangene und begeisterungsfähige Gemüter sein. Für mich ist sie nicht.“

      „Und weshalb nicht?“

      „Weil sie der Überlieferung widerspricht, in der ich gross geworden bin.“

      „Also die Aristokratin ist es, die sich auflehnt. Da kann ich freilich nicht mit, der ich von der Mutter her aus Bauernblut, vom Vater aus dem Volkslehrerstande stamme.“

      Einen Augenblick denkt sie nach.

      Und als hätte sie das Gefühl, dass sie in diesem Augenblick irgend etwas tun müsse, ihren guten Willen zu bekunden, geht sie an ihren Schreibtisch, öffnet ein verborgenes kleines Fach in ihm, entnimmt ihm wahllos eine Anzahl von Scheinen, legt sie in sichtbarer Verlegenheit vor ihn auf den Tisch.

      „Ich weiss, dass es kein Opfer ist, wie Sie es fordern. Ich will nur versuchen, gut zu machen, was der Vater vorhin versäumt hat.“

      „Vielleicht ist es doch ein Opfer“, erwidert er, über die Grösse der Gabe verwundert und zugleich beglückt.

      „Ach nein“, wehrt sie mit leicht scherzendem Ton ab, „ich gebe es nur von dem Übrigen.“

      „Aber vielleicht versagen Sie sich manches dadurch: einen kostbaren Schmuck, ein neues Kleid —“

      „Gar nichts. Gesellschaften und Bälle, zu denen man sich neue Kleider machen lässt, gibt es heutzutage ja nicht mehr.“

      „Und Sie bedauern, dass das nun ein Ende hat?“

      „Gewiss bedauere ich es. Man ist doch gern einmal fröhlich, wo seit der Krankheit der Mutter hier im Hause alles so ernst und schwer hergeht. Und man zieht sich gern einmal ein schönes Kleid an, wenn einem die alten, die man zum dritten oder vierten Male trägt, über sind.“

      ‚Seltsam‘,


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