Nachdenken über Corona. Группа авторов

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Thesen, sondern in erster Linie durch die Genauigkeit und Sorgfalt aus, mit der diese Thesen dargelegt, begründet und mit anderen Überlegungen in Zusammenhang gebracht werden. Wo Philosophie verblüffen will, verspielt sie ihre Stärken. Steile Thesen sind oft vor allem eines: falsch.

      Was nun den Einwand betrifft, die Philosophen seien mit ihren Wortmeldungen sehr spät gekommen, so erinnert er an Hegels berühmte Bemerkung über die Eule der Minerva, die erst in der Dämmerung ihren Flug beginnt. Ja, das Nachdenken braucht etwas Zeit, und die Philosophie kommt meistens etwas spät. Doch kommt sie immer noch früh genug zu spät: Philosophen tragen zu gesellschaftlichen Debatten idealerweise etwas bei, das eine längere Halbwertszeit besitzt als Einlassungen zur Tagespolitik. Philosophinnen sind gut beraten, auf diejenigen Aspekte des Umgangs mit der Pandemie abzustellen, die nicht so schnell durch Tagesereignisse überholt werden. Dies ist im Falle der Corona-Krise durchaus eine Herausforderung. Die Jury war jedoch vorausschauend genug, ausnahmslos Beiträge zu Fragen in den Band aufzunehmen, die uns noch länger beschäftigen werden.

      Der Wettbewerb

      Auf die Ausschreibung hin wurden mehr als hundert Essays eingereicht. Eine divers besetzte Fachjury hat in einem blinden Begutachtungsverfahren die drei Preisträgerinnen sowie sechs weitere Beiträge ausgewählt, die in diesem Band versammelt sind. Besonders freuen wir uns, dass Texte von Philosophinnen und Philosophen aller Qualifikationsstufen für den Band ausgewählt wurden. Die Jurymitglieder waren Susanne Boshammer (Osnabrück), Elke Brendel (Bonn), Daniel Cohnitz (Utrecht), Simone Dietz (Düsseldorf), Anna Goppel (Bern), Tim Henning (Stuttgart), Geert Keil (Berlin), Peter Schaber (Zürich), Ralf Stoecker (Bielefeld), Eva Weber-Guskar (Bochum), Markus Wild (Basel) und Héctor Wittwer (Magdeburg). Für den ehrenamtlichen Einsatz der Jurymitglieder möchten wir uns an dieser Stelle im Namen der GAP bedanken.

      Der erste Preis des Wettbewerbs ist Christian Budnik (Zürich) für seinen Essay »Vertrauen als politische Kategorie in Zeiten von Corona« verliehen worden. Der Beitrag nimmt die Corona-Krise als Krise des Vertrauens in den Blick. Budnik ruft zunächst die Gründe dafür in Erinnerung, dass wir in dieser Krise unterschiedlichen Akteuren vertrauen müssen: politischen Entscheidungsträgern, Medizinern und Epidemiologen, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. In den Protesten gegen die verhängten Maßnahmen wurden allerdings Exzesse des Misstrauens sichtbar. Angesichts der damit verbundenen Gefahren plädiert Budnik dafür, die moralisch und emotional aufgeladenen Begriffe des Vertrauens und des Misstrauens in sozialpolitischen Kontexten mit Vorsicht zu verwenden. Tatsächlich wird etwas von Vertrauen Verschiedenes gefordert: Wir verlassen uns bis zum Beweis des Gegenteils darauf, dass auch andere das Gebotene tun und dass Regierung und Wissenschaft keine finsteren Ziele verfolgen. In der Pandemie gilt nach Budnik: Vertrauen ist gut, sich verlassen ist besser.

      Mit dem zweiten Preis ist der Beitrag »Das Samariterprinzip: Politische Legitimität und Covid-19« von Luise K. Müller (Dresden) ausgezeichnet worden. Der Beitrag nimmt seinen Ausgang von dem Slogan »Nicht ohne uns!«, mit dem besorgte Bürgerinnen und Bürger gegen Beschränkungen ihrer individuellen Freiheiten demonstrieren. Müller sucht zu zeigen, dass die Einschränkungen durchaus mit einem wohlverstandenen Liberalismus vereinbar sind. Wie schon John Stuart Mill argumentiert hat, findet unsere Freiheit dort eine Grenze, wo ihre Ausübung andere schädigt. In der Corona-Pandemie müssen die Handlungen vieler so koordiniert werden, dass große Not vermieden wird. Diese Rolle kann einstweilen nur der Staat übernehmen. Der Essay verteidigt ein »Samariterprinzip«, nach dem der Staat seine Bürgerinnen in Notsituationen zwingen darf, ihren Teil zur Rettung beizutragen. Auch aus liberaler Perspektive lässt sich nach Müller rechtfertigen, dass wir kein moralisches Recht haben, von solchem Zwang verschont zu bleiben.

      Der dritte Preis ging an Emanuel Viebahn (Berlin), der in seinem Beitrag »Lob der Vermutung« eine sprachphilosophische Perspektive auf die Wissenschaftskommunikation in der Pandemie einnimmt. In Krisen, so Viebahn, scheinen klare Ansagen gefragt zu sein, bei denen wir wissen, woran wir sind. Vermutungen hingegen stehen im Ruf, unklar zu sein und es dem Sprecher zu erlauben, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Viebahn zeigt mit den Mitteln der Sprechakttheorie, dass vermutende Sprechakte für die Krisenkommunikation in der Corona-Pandemie richtig und wichtig sind. Weder seien Vermutungen anfälliger für Unklarheit als andere Sprechakte, noch seien sie besser dazu geeignet, Verantwortung abzuweisen. Im Gegenteil: In einer Situation, die durch Unsicherheit geprägt ist, sind Vermutungen Viebahn zufolge besonders wertvoll für das Kommunizieren von Annahmen, für die man zwar Gründe, aber keine wasserdichten Belege hat.

      Die sechs zusätzlich ausgewählten Essays beleuchten weitere Aspekte des Umgangs mit der Pandemie.

      Oliver Hallich (Essen) macht in seinem Beitrag »Verhindern oder Vorbeugen?« auf einen oft übersehenen Unterschied im Bereich von Freiheitseinschränkungen aufmerksam: Vorbeugende Maßnahmen setzen früh ein und sollen im Vorfeld ein Risiko minimieren, beispielsweise den Ausbruch einer Epidemie. Steht hingegen die Gefahr schon vor der Tür, bleiben nur noch verhindernde Maßnahmen, die etwa auf das Unterbrechen von Infektionsketten abzielen. Hallich argumentiert, dass vorbeugende und verhindernde Maßnahmen sich in der Stärke der jeweils erforderlichen Rechtfertigung voneinander unterscheiden, und plädiert dafür, für Freiheitseinschränkungen in einer liberalen Demokratie möglichst hohe Rechtfertigungsstandards anzusetzen.

      Ludger Jansen (Rostock/Münster) vergleicht in seinem Beitrag »Masken, Abstand, Anschnallpflicht« die Corona-Maßnahmen mit Regulierungen im Straßenverkehr. Im Juli 2020 war klar: Die erste Welle der Corona-Infektionen konnte erfolgreich gestoppt werden. Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass im Vorjahr die Zahl der Verkehrstoten einen historischen Tiefstand erreicht hatte. Beides wurde durch Maßnahmen erreicht, die die Freiheit der Bürger einschränken, doch nur die Corona-Maßnahmen führten zu empörtem Protest und Demonstrationen. Jansen fragt, woran die unterschiedliche Akzeptanz der Maßnahmen liegen mag und ob wir aus der Analogie mit den Verkehrsregeln etwas über den Umgang mit der Pandemie lernen können.

      Frank Dietrich (Düsseldorf) erörtert in seinem Beitrag »Medizin am Limit« die Handlungsempfehlungen ärztlicher und medizinethischer Gremien zum Umgang mit Versorgungsengpässen in der Pandemie. Was tun, wenn nicht für alle Patienten mit schweren Krankheitsverläufen Beatmungsgeräte und Pflegekräfte zur Verfügung stehen? Wie dann »priorisiert« werden soll, ist eine ethische Frage, keine medizinische. Hinter dem Kriterium der »klinischen Erfolgsaussicht« verbergen sich nämlich unterschiedliche Priorisierungen, die sich vor allem darin unterscheiden, ob sie ältere Patienten benachteiligen. Dietrich diskutiert auch den Extremfall der »Ex-post-Triage«, die bereits aufgenommene Patienten in die Auswahl einbezieht und unter Umständen Therapieabbrüche zugunsten neu eingetroffener Kranker verlangt.

      Sebastian Schmidt (Zürich) fragt in seinem Beitrag »Wie vernünftig sind Verschwörungstheoretiker?«, wie es um die Vernunft derjenigen steht, die einer Verschwörungstheorie über die Corona-Pandemie anhängen. Im Umgang mit Corona scheint sich zu bestätigen, was die Psychologie seit Jahrzehnten lehrt: Menschen unterliegen in ihrem Denken kognitiven Fehlern und Verzerrungen. Doch ist verschwörungstheoretisches Denken, das solche Fehler ebenfalls begeht, deshalb irrational? Schmidt warnt davor, einander zu leichtfertig als irrational zu betrachten, und verweist auf die wichtige Rolle, die intellektuelles Vertrauen in Wissensgemeinschaften spielt. Am Beispiel des sogenannten Bestätigungsfehlers führt er aus, dass Menschen, die ihre Überzeugungen nicht fortwährend kritisch prüfen, in diesem Verhalten durchaus rational sein können.

      Alexandra Tiefenbacher (Zürich) befasst sich in ihrem Beitrag »Das Prinzip der Freiwilligkeit belohnt die Falschen« mit den Nachteilen des Freiwilligkeitsprinzips, das den Corona-Maßnahmen einiger Länder zugrunde liegt. Zwar galten zeitweise die Maßnahmen der Schweiz und Schwedens vielen als vorbildlich, weil sie anstelle von Verboten auf die Souveränität ihrer Bürgerinnen setzen. Das Freiwilligkeitsprinzip hat aber auch gravierende Nachteile: Insbesondere erzeugt es Tiefenbacher zufolge ein Fairnessproblem, denn von freiwilligen Maßnahmen profitieren vor allem diejenigen, die sich nicht an die Maßnahmen halten: die Trittbrettfahrer. Damit werfen die Corona-Maßnahmen ähnliche Probleme auf wie die größtenteils freiwilligen Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise. In beiden Fällen spricht Tiefenbacher sich für verbindliche Regelungen aus,


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