Nachdenken über Corona. Группа авторов

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eines ganzen Lebens zu Routinen geworden sind, von einem Tag auf den anderen zu ändern, oder sogar massive Freiheitseinschränkungen zu akzeptieren. Das zweite Merkmal der Krise verweist neben den politischen Entscheidungsträgern also auf eine zweite Gruppe von Akteuren, von denen erwartet wird, dass sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten, um die Krise bewältigen zu helfen, – und das ist die Gruppe aller Mitbürger.

      Die beiden Fragen, welche Erwartungen wir an das Verhalten unserer Mitbürger stellen und wie ein angemessener Umgang der politischen Entscheidungsträgerinnen mit der Krise aussehen sollte, deuten auf eine weitere Dimension der Corona-Krise hin, die für die hier behandelte Problematik rund um Vertrauen wichtig ist. Ob es nämlich sinnvoll ist, in der Öffentlichkeit eine Gesichtsmaske zu tragen oder Schulen und Kindergärten für eine unbestimmte Zeit zu schließen, hängt klarerweise nicht davon ab, wie plausibel sich solche Maßnahmen anfühlen, sondern es handelt sich drittens um eine Frage, die sich auf die Ergebnisse der medizinisch-epidemiologischen Forschung zum Corona-Virus und der Covid-Erkrankung zu stützen hat. Wenn wir von politischen Entscheidungsträgern angemessene Reaktionen zum Schutz unseres Lebens und unserer Gesundheit erwarten, dann erwarten wir, dass es Reaktionen sind, die sich auf die Meinung von Expertinnen stützen, die im Rahmen ihrer Forschung zu evidenzbasierten Einsichten über die Verbreitung des Virus oder den Verlauf der Erkrankung gekommen sind. Analog dazu sollte auch das, was wir von unseren Mitbürgerinnen erwarten, auf die eine oder andere Weise den medizinisch-epidemiologischen Stand der Dinge reflektieren und nicht lediglich auf dem individuellen Bauchgefühl einzelner Bürger beruhen.

      Evidenzbasierte Forschungsergebnisse dieser oder jener Art werden zwar in jedem Typ von Notfallsituation wichtig sein (auch für den Bau von Sandsackdämmen ist Expertise erforderlich), doch im Fall von Corona ist die Abhängigkeit von Expertenurteilen besonders ausgeprägt: Nur bei den wenigsten Dingen, die z.B. die Übertragung von SARS-CoV-2 betreffen, können wir uns auf unseren gesunden Menschenverstand oder eine auf emotionalen Reaktionen basierende Heuristik verlassen. Der Großteil des relevanten Wissens ist hochkomplex, teils Gegenstand laufender Forschungen und greift auf Erkenntnisse aus einer Vielzahl unterschiedlicher Disziplinen zurück. Das dritte Merkmal verweist demnach auf die Tatsache, dass die Hauptakteure der Corona-Krise – politische Entscheidungsträger und alle Staatsbürger – ihre Entscheidungen bezüglich der Pandemie-Situation auf der Grundlage der Ergebnisse der Arbeit einer dritten Akteursgruppe fällen sollten – der Gruppe der Expertinnen in den einschlägigen empirischen Wissenschaften wie der Medizin und der Epidemiologie.

      Vertrauen und Misstrauen in Zeiten von Corona

      Politische Entscheidungsträger sollten also Maßnahmen ergreifen, die das Leben und die Gesundheit der Bürger schützen; die Bürger sollten sich dabei kooperativ verhalten, um die Verbreitung des Virus eindämmen zu helfen; und beide Akteursgruppen sollten dabei die Forschungsergebnisse der relevanten Wissenschaften beachten. Dass sie das ›sollten‹, ist allerdings keine Garantie dafür, dass sie das auch tatsächlich tun werden. Genau an dieser Stelle kommt Vertrauen ins Spiel. Wir wissen nicht mit Sicherheit, welche Entscheidungen unsere Regierungen fällen werden, und wir wissen noch weniger, wie unsere Mitbürger auf bestimmte Situationen reagieren werden. Und weil wir dies nicht wissen, müssen wir darauf vertrauen, dass sie sich auf angemessene Weise verhalten werden.

      An dieser Stelle haben wir es zunächst mit einer allgemeinen Vertrauensproblematik zu tun, die in der Corona-Krise lediglich auf eine besondere Weise in den Fokus rückt. Wir befinden uns nämlich so gut wie immer in einer Situation der Unsicherheit bezüglich der Handlungen von politischen Entscheidungsträgern und von Mitbürgern, einer Unsicherheit, der durch Vertrauen begegnet werden muss, weil, wie oft behauptet wird, anders das Funktionieren einer Demokratie nicht garantiert werden kann. So lässt sich argumentieren, dass die Entscheidungen demokratisch gewählter Regierungen in dem Maße an Legitimität verlieren, in dem Bürgerinnen nicht mehr darauf vertrauen können, dass sie auf kompetente Weise und aus der richtigen Motivation heraus gefällt wurden. Umgekehrt scheint für eine ganze Reihe von Regulierungen und Gesetzen in demokratischen Staaten zu gelten, dass sie nur dann eine Chance haben, befolgt zu werden, wenn man als Bürger darauf vertrauen kann, dass eine hinreichende Anzahl von Mitbürgern sie ebenfalls befolgt.

      Diese Struktur lässt sich sehr einfach in der Corona-Krise wiederfinden: Sollte etwa eine Regierung empfehlen, in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Gesichtsmaske zu tragen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen, ist es nur dann rational, diese Empfehlung zu befolgen, wenn ich davon ausgehen oder eben darauf vertrauen kann, dass ein hinreichender Prozentsatz meiner Mitreisenden dies auch tut. Ansonsten hätte die Mühe, die mit dem Tragen einer Gesichtsmaske nun einmal verbunden ist, nicht sehr viel Sinn. Das ›horizontale‹ Vertrauen in meine Mitbürgerinnen stellt also eine Voraussetzung dafür dar, dass bestimmte kooperative Unternehmungen zur Eindämmung des Virus überhaupt eine Aussicht auf Erfolg haben. Ebenso problematisch ist die Situation aber, wenn es an ›vertikalem‹ Vertrauen der Bürger in ihre politischen Repräsentantinnen fehlt: In dem Maße, in dem ich etwa davon ausgehen muss, dass meine Regierung eigentlich keine Ahnung von den für die Corona-Krise relevanten Sachverhalten hat oder aber Ziele verfolgt, die nur dem Anschein nach mit der Beförderung des Gemeinwohls zu tun haben, werde ich selbst keinen Anlass haben, die Maßnahmen, die die Regierung vorschreibt oder empfiehlt, zu befolgen oder überhaupt zu beachten. Es ist klar, dass auf diese Weise keine epidemiologische Krise und erst recht keine vom Ausmaß der Krise, mit der wir es zu tun haben, gelöst werden kann.

      Von der Warte der Philosophie ist es selbstverständlich nicht ganz einfach, an dieser Stelle eine Lageeinschätzung vorzunehmen und zu bewerten, wie es um die beiden zuletzt angesprochenen Formen des Vertrauens steht. Höchstwahrscheinlich wäre es allerdings verfehlt, im Zuge der Corona-Krise von einer generellen Vertrauenskrise zu sprechen. In vielen Staaten scheint der Ernst der Lage zu einer disziplinierten und (zähneknirschend) solidarischen Haltung bei einem Großteil der Bevölkerung geführt zu haben, und bis auf die bekannten und die Schlagzeilen dominierenden Ausnahmen scheinen die weltweiten politischen Reaktionen auf die Pandemie trotz aller Unterschiede in der Ausgestaltung der Krisenmaßnahmen die Situation auf angemessene Weise ernst zu nehmen. Philosophisch bemerkenswert sind allerdings diejenigen Zusammenhänge, in denen die Formen des Vertrauens, um die es mir geht, brüchig werden, zumal die Situation, die ich möglicherweise allzu optimistisch zeichne, sich mit dem Andauern der Krise verschlechtern könnte.

      Während ich diese Zeilen schreibe, gehen Tausende Menschen in verschiedenen Ländern der Welt auf die Straße, um gegen die von ihren Regierungen verhängten Maßnahmen zu protestieren und ihre ›Freiheit‹ zurückzufordern. Sie machen auf diese Weise deutlich, dass sie politischen Entscheidungsträgern nicht nur nicht vertrauen, sondern ihnen regelrecht misstrauen und sich entsprechend nicht an den kooperativen Anstrengungen zur Bewältigung der Krise beteiligen wollen. Eine banale Erklärung dieses Phänomens könnte lauten, dass die Demonstranten eben gegen anstrengende Maßnahmen demonstrieren, die oft drastische Einschnitte in ihrem Leben zur Folge haben. Ließe sich Corona durch Klicks in den sozialen Medien bekämpfen, würden Demonstrationen wohl ganz ausbleiben. Andererseits überrascht aber die Vehemenz des Protestes, vor allem wenn er über die bloße Bekundung, ›man wolle nicht mehr mitmachen‹, hinausgeht und sich an einer Rechtfertigung versucht. Und dieser überraschende Aspekt hat etwas mit dem dritten Merkmal der Corona-Krise zu tun.

      Wenn die Demonstrantinnen nämlich ihr Misstrauen zu begründen versuchen, machen sie nicht selten darauf aufmerksam, dass SARS-CoV-2 nicht so gefährlich sei, wie die meisten Menschen denken, dass Covid-19 nicht schlimmer als eine normale Grippe sei, dass das Tragen von Gesichtsmasken keinen Sinn habe, oder, im Extremfall, dass die Corona-Krise lediglich einen konzertierten Täuschungsversuch einer finsteren Verschwörergruppe darstelle. Auch wenn man nicht alle Formen dieser Corona-Skepsis gleichermaßen ernst zu nehmen hat, so fällt doch ein Merkmal auf, das sie alle gemeinsam haben, selbst die am wenigsten abstrusen. Es besteht darin, in der einen oder anderen Form den medizinisch-epidemiologischen Stand der Dinge und das dahinterstehende Paradigma der evidenzbasierten Wissenschaft anzuzweifeln. Das Misstrauen gegenüber den von der Regierung verhängten Maßnahmen wird dann im besten Fall darauf zurückgeführt, dass sich die Entscheidungsträger von falschen Annahmen leiten lassen, und im schlimmsten Fall darauf, dass sie im Bunde mit der Wissenschaft


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