Der Kaiser und das "Dritte Reich". Jacco Pekelder
Vorwort
Der Zusammenhang zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg ist ein vieldiskutiertes Thema. Hätte es ohne den Ersten Weltkrieg einen Zweiten gegeben? Wäre der Nationalsozialismus in den 1930er Jahren derart einflussreich geworden, wenn Deutschland nach 1918 nicht sein Trauma als Verlierer hätte verarbeiten müssen?
Diese Fragen stellen sich regelmäßig in den Gesprächen, die wir in Huis Doorn mit den Besucherinnen und Besuchern unseres Museums führen, dem kleinen Schloss, in dem der abgedankte Kaiser Wilhelm II. von 1920 bis zu seinem Tod im Jahr 1941 lebte. Das Museum Huis Doorn ist der einzige Ort in den Niederlanden, an dem an beide Weltkriege erinnert wird. Von Doorn aus verfolgte Wilhelm die Entwicklungen in seinem einstigen Vaterland, so auch den Aufstieg Adolf Hitlers. Hier empfing er neben seiner Familie zahlreiche Monarchisten, darunter auch aktive Politiker. Mit ihnen wurde über Politik gesprochen. Wie standen der Ex-Kaiser selbst und seine Familie eigentlich zum aufkommenden Nationalsozialismus?
Die Mitglieder seiner Familie waren durchaus empfänglich für den Gedanken, dass der Nationalsozialismus zur Wiederherstellung der Monarchie beitragen könnte, so dass auch das häufig Gegenstand der Gespräche in Doorn war, wie wir aus Tagebuchaufzeichnungen des kaiserlichen Adjutanten Sigurd von Ilsemann wissen.[1] Mit der vorliegenden Veröffentlichung möchte Huis Doorn einen Einblick geben, welche Verbindungen in der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg bestanden und wie sie funktionierten.
Die Frage nach dem Ausmaß der Unterstützung des Nationalsozialismus durch die Nachkommen Wilhelms II. ist auch relevant im Zusammenhang mit der derzeit in Deutschland geführten Diskussion zwischen Georg Friedrich Prinz von Preußen und der Bundesregierung sowie den Ländern Berlin und Brandenburg um die von der Familie geforderte Rückgabe von Kunstgegenständen und dem Wunsch nach einem Wohnrecht unter anderem für Schloss Cecilienhof in Potsdam. Für Huis Doorn besteht kein Grund, in dieser Auseinandersetzung eine bestimmte Position einzunehmen, doch die Fakten, die in dieser Debatte ins Feld geführt werden, könnten im Rückblick auf die Vergangenheit durchaus relevant sein. Deshalb wird im Folgenden hin und wieder auf die zu diesem Komplex veröffentlichten wissenschaftlichen Gutachten zurückgegriffen.
Mit Blick auf eine seriöse Behandlung des Themas und eine wissenschaftlich fundierte Betrachtung des Untersuchungsgegenstands hat Huis Doorn Wert auf die Zusammenarbeit mit einer renommierten wissenschaftlichen Institution gelegt und konnte für dieses Projekt die Unterstützung der Universiteit Utrecht gewinnen. Das Projekt ist nun abgeschlossen, und wir können zufrieden feststellen, dass es gelungen ist, mit der Ausstellung und dem Buch dazu die Öffentlichkeit über die komplexen Fragen rund um die Familie Hohenzollern und das »Dritte Reich« zu informieren.
Museum Huis Doorn, im Sommer 2020
Herman Sietsma, Geschäftsführender Direktor
EINLEITUNG
Der Kaiser, die Prinzen
und das »Dritte Reich«
Eine aktuelle Debatte
»Nur weil ein kaiserlicher Nachfahre Eigentumsansprüche erhebt, darf der Staat Bundesrepublik, dürfen die Länder nicht nachgeben.« (Wolfgang Thierse, SPD, ehemaliger Bundestagspräsident) »Der Prinz ist Bürger der Bundesrepublik. Für ihn gelten die gleichen Rechte wie für uns beiden.« (André Schmitz, SPD, ehemaliger Kulturstaatssekretär von Berlin) »Die Familie Hohenzollern muss lernen, dass die Zeit von Reiterstandbildern für Adelssprösslinge vorbei ist.« (Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke) »Was mich persönlich beunruhigt, ist dies völlig offene antiadlige Ressentiment.« (Alexander von Schönburg, Journalist und Autor)[2]
Vier Zitate aus einer Fernsehsendung über die ehemalige deutsche Kaiserfamilie, die seit 2019 plötzlich erneut im Zentrum einer großen, öffentlich ausgetragenen Debatte steht. Wohlgemerkt, die Abdankung Wilhelms II. (1859-1941), des letzten deutschen Kaisers und Königs von Preußen, liegt inzwischen ein ganzes Jahrhundert zurück.
Der ungewollte Urheber der ganzen Aufregung war Wilhelms Ururenkel Georg Friedrich Prinz von Preußen (geb. 1976). Das Oberhaupt der Hohenzollerndynastie hatte eine Entschädigungsforderung seines Großvaters an die Bundesrepublik Deutschland weiterverfolgt, bei der es um die Konfiszierung von Kunstgegenständen und sonstigem Eigentum in den Jahren nach der Abdankung ging. Die Forderung betraf vor allem ehemalige Besitztümer im Osten Deutschlands, die nach dem Ende des Krieges 1945 von den sowjetischen Besatzern beschlagnahmt worden waren. Georg Friedrich verlangte eine finanzielle Entschädigung sowie die Rückgabe bestimmter Güter. Außerdem forderte er ein Aufenthaltsrecht in einer Reihe von Gebäuden, die früher der Familie gehört hatten oder die ihr zur Verfügung gestellt worden waren. Darunter befand sich auch Schloss Cecilienhof am Jungfernsee in Potsdam bei Berlin, der Ort, an dem während der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 die Nachkriegsordnung in Europa festgelegt worden war.
Bereits seit 2014 gab es Verhandlungen zwischen der Familie Hohenzollern, der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesländer Berlin und Brandenburg. Dabei ging es unter anderem um einzelne, wichtige Museen, die in ihren Sammlungen viele der zurückgeforderten Gegenstände beherbergen und außerdem Leihgaben der Hohenzollern ausstellen. Beispielsweise werden in Schloss Charlottenburg in einer Vitrine preußische Kronjuwelen präsentiert, von denen sich nur ein Teil in Staatseigentum befindet. Die weitere Präsentation dieser Gegenstände in den Museen hängt vom Ausgang der Verhandlungen ab.
In den Medien und in der Politik war die Empörung über die Forderungen Georg Friedrichs groß. An sich befindet sich der Prinz jedoch im Recht. Ein Gesetz aus dem Jahr 1994 – also aus der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 – macht es im Prinzip möglich, dass Erben Entschädigungen für zwischen 1945 und 1990 konfiszierte bewegliche Güter oder deren Rückgabe fordern können. Das Gesetz gilt allerdings nicht für Schlösser und andere Immobilien. Doch es erhoben sich moralische Bedenken gegen die Tatsache, dass die Familie des abgedankten Kaisers auf die Staatskasse zugreifen wollte. So fragte sich etwa Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, warum der deutsche Steuerzahler für die sogenannten Eigentumsrechte einer Familie aufkommen solle, die bereits vor etwa hundert Jahren üppig entschädigt worden sei.[3] 1926 war tatsächlich mit der Familie eine sehr großzügige gesetzliche Regelung bezüglich der Aufteilung des königlich-preußischen und des kaiserlich-deutschen Erbes zwischen dem Staat und den Hohenzollern getroffen worden.
Außerdem ist noch keineswegs entschieden, ob die Familie überhaupt Restitutionsansprüche hat. Das Gesetz aus dem Jahr 1994 sieht nämlich Ausnahmen vor. Eine Rückgabe soll dann nicht stattzufinden, wenn der Erblasser dem nationalsozialistischen Regime »erheblichen Vorschub« geleistet hat. Im Fall der Hohenzollern konzentrierte sich die Diskussion auf die Haltung Kronprinz Wilhelms (1882-1951), des Familienoberhaupts zum Zeitpunkt der Niederlage Deutschlands 1945. Hatte er Adolf Hitler bei der Eroberung der Macht geholfen oder nicht?
Die Wehrmacht bewacht das Eingangstor zum Landsitz Huis Doorn, dem Exilsitz des Ex-Kaisers Wilhelm II., 30. Mai 1940.
Noch bevor die Angelegenheit an die Öffentlichkeit drang, kam es wegen dieser Frage zum Streit zwischen den Verhandlungsparteien. Unabhängig voneinander suchten sie jeweils die Unterstützung von Fachhistorikern, was zu vier Gutachten führte, in denen die Haltung des Kronprinzen untersucht wurde. Zwei der Gutachten sprachen den Kronprinzen frei von Schuld, die beiden anderen verwiesen ihn dagegen auf die Anklagebank. Ende 2019 beschäftigte sich der Satiriker und Fernsehmoderator Jan Böhmermann in einer seiner