Der Kaiser und das "Dritte Reich". Jacco Pekelder
Beziehungen des Kronprinzen sowie anderer Familienmitglieder mit den Nationalsozialisten belegen, waren nun allgemein zugänglich. Für die Hohenzollern war der Schaden groß, der Ruf der Familie litt darunter.
Zudem war die Rückgabe- bzw. Entschädigungsforderung durch die ungewollte Publizität zum politischen Streitthema geworden. Vor allem die Partei Die Linke wurde aktiv: Sie stellte Anfragen im Bundestag und reichte im Sommer 2019, im Vorfeld zur Landtagswahl in Brandenburg, eine Petition gegen eine mögliche Restitution ein. Das sorgte dafür, dass der politische Spielraum schwand, um zu einer pragmatischen Lösung der Frage zu gelangen. Die Verhandlungen gerieten in eine Sackgasse.
Die Angelegenheit aus Sicht des Museums Huis Doorn
Das Museum Huis Doorn, der Exilsitz des letzten Hohenzollernkaisers, versteht es als seine Aufgabe, ein breites Publikum über die oben genannte Debatte zu informieren und sie ihm deutlich zu erklären. Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass das Museum seit Jahr und Tag mit Fragen zur Beziehung zwischen Wilhelm II. und dem Nationalsozialismus konfrontiert wird, andererseits ist dem Museum Huis Doorn sehr wohl bewusst, dass es der Debatte mit seiner eigenen Sammlung und dem einzigartigen niederländischen Blickwinkel wichtige Aspekte hinzufügen kann.
Die vorliegende Veröffentlichung Der Kaiser und das »Dritte Reich« resultiert aus dieser Aufgabenstellung. Sie ist das wichtigste Ergebnis einer in den Jahren 2019 und 2020 durchgeführten Untersuchung des Museums Huis Doorn zusammen mit zwei Historikern und drei Geschichtsstudentinnen bzw. -studenten der Universiteit Utrecht.
In der Untersuchung ging es zum Ersten um die Frage, welche Beziehungen zwischen den Hohenzollern und der Ideenwelt, den Führungsfiguren und der breiteren Bewegung des Nationalsozialismus in den Jahren 1919 bis 1945 tatsächlich bestanden. Zweitens haben die Forscher nach Dokumenten gesucht, die Auskunft darüber geben, ob die Hohenzollern Adolf Hitler auf seinem Weg zur Macht unterstützt haben. Lassen sich beispielsweise Hinweise darauf finden, dass sie den Nationalsozialisten explizit und öffentlich ihre Unterstützung bekundet oder ihnen symbolisch, finanziell oder organisatorisch Beistand geleistet haben? Natürlich dürfen dabei die Hinweise nicht ignoriert werden, die auf das Gegenteil schließen, also Rivalität oder Feindseligkeit den Nazis gegenüber erkennen lassen. Schließlich geht es auch um die Motive der Hohenzollern bei ihrer eventuellen Unterstützung Hitlers und dessen Handlangern. Waren sie ausschließlich durch Opportunismus geprägt, etwa den Wunsch nach einer Wiederherstellung der Monarchie? Oder lässt sich auch von einer gewissen ideologischen Überzeugung und somit einer ideologischen Verwandtschaft zum menschenverachtenden Gedankengut der Nationalsozialisten, einschließlich des genozidalen Antisemitismus, sprechen?
Einordnung und Quellen
Die Forschungsfragen sind eingebettet in eine Reihe breiterer geschichtswissenschaftlicher Debatten. Das betrifft erstens den Aufstieg Hitlers vor 1933. War er vor allem die Folge des Wahlerfolgs der Nationalsozialisten und des von ihnen geschickt betriebenen Dehnens der demokratischen Spielregeln? Oder gelangten sie hauptsächlich auf Betreiben der alten antidemokratischen Eliten an die Macht, Eliten, die – zu Unrecht – glaubten, Hitler vor ihren Karren spannen zu können? In letzterem Fall geraten die Hohenzollern als Repräsentanten der alten, autoritären Ordnung ins Blickfeld.
Zweitens geht es um die Zeit der Festigung der nationalsozialistischen Herrschaft. Lange haben Historiker den Terror und die Indoktrination betont, mit denen das Regime die Bevölkerung unter der Knute hielt. In jüngster Zeit hat sich der Blickwinkel jedoch auf die eher freiwillige Unterstützung des Naziregimes durch breite Bevölkerungsschichten verschoben. Aus einer bei jedem Einzelnen unterschiedlichen Mixtur aus Überzeugung und Opportunismus begrüßten sie die nazistische Idee einer »Volksgemeinschaft«, für die sie fast wie selbstverständlich einzutreten bereit waren. Inwieweit spielten Terror und Indoktrination einerseits und das Volksgemeinschaftsdenken andererseits eine Rolle bei der Positionierung der Hohenzollern gegenüber dem Nationalsozialismus?
Schließlich geht es auch um die entscheidenden Debatten über die Art und die Auswirkungen des nationalsozialistischen Antisemitismus, der zum größten Verbrechen des Regimes, der Ermordung von Juden in einem nie dagewesenen Umfang, geführt hat. Dabei muss auf die unterschiedlichen Formen des Antisemitismus hingewiesen werden. Zunächst einmal gibt es den traditionellen, vor allem religiös, kulturell beziehungsweise sozial motivierten Antisemitismus, der auf Ausgrenzung zielt. Daneben existiert ein rassenideologisch unterlegter, auf die Vernichtung der Juden gerichteter Hass. Ebenfalls spielt die Diskussion zwischen »Intentionalisten« und »Funktionalisten« über die Ursachen des Holocaust, also des industriell betriebenen Mordes an den Juden, eine Rolle. War der Völkermord gewissermaßen vorprogrammiert, weil die Absicht zur Ermordung der Juden einen so zentralen Platz in Hitlers Ideologie einnahm? Oder war er eher eine Folge der Struktur des Naziregimes und der Funktion seiner Institutionen, die den Holocaust von der politischen Führung bis in alle übrigen Gliederungen des Regimes ausführten? Und wo lassen sich die Hohenzollern auf der Skala antisemitischer Ideen und Taten verorten?
In diesem Buch geht es uns in allererster Linie darum, den aktuellen Kenntnisstand über die Verbindungen zwischen der Hohenzollerndynastie und den Nationalsozialisten darzustellen: Was ist gesichert, und worüber gibt es noch Diskussionen? Dabei stützen wir uns vor allem auf bereits erschienene geschichtswissenschaftliche und journalistische Werke beziehungsweise Quellenpublikationen zur ehemaligen kaiserlichen Familie und deren Mitgliedern sowie, unter anderem, zu den oben genannten Aspekten des Nationalsozialismus. Schließlich wurden auch Quellen aus der Sammlung des Museums Huis Doorn sowie aus niederländischen und deutschen Archiven zu Rate gezogen. Hier und da fügen diese Quellen dem bisherigen Kenntnisstand neue Akzente hinzu und ermöglichen es, auch frühere Versuche der Hohenzollern, wieder zu ihrem ehemaligen Besitz zu gelangen, kurz zu beleuchten.
Sechs Hohenzollern: von Wilhelm II. zu Georg Friedrich
Im Folgenden wird in vier Kapiteln das Verhältnis der Hohenzollern zum Nationalsozialismus als politisches und später als historisches Phänomen beleuchtet. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit Wilhelm II. und seiner zweiten Gemahlin Hermine, einer Prinzessin Reuß aus der älteren Linie (1887-1947), die aus der Ferne, vom Exil aus, ihre Position gegenüber dem Nationalsozialismus als einer erstarkenden Bewegung und später als beherrschender Kraft bestimmen mussten. Bekannt ist, dass der Kaiser sich lange nicht mit dem Verlust des Throns abfinden wollte, und verschiedene seiner Anhänger in Deutschland unterwegs waren, um seine Interessen dort zu vertreten. Auch wissen wir, dass Hermine mehrfach nach Deutschland reiste, um sich für die Wiedereinführung der Monarchie starkzumachen. Wie sehr brachte das den Ex-Kaiser und seine »Kaiserin« in die Nähe der Nationalsozialisten, und wie reagierten sie später, nach der Machtübernahme durch Hitler, auf die Exzesse des Regimes, soweit diese damals schon erkennbar waren?
Im zweiten Kapitel wird die nachfolgende Generation in den Blick genommen, und zwar in der Person des vierten Sohnes Wilhelms, August Wilhelm (1887-1949), im Familienkreis auch »Auwi« genannt. Auwi trat schon in den 1920er Jahren mit rechtsextremen antirepublikanischen Kreisen in Kontakt und wagte danach, über die obersten Chargen der NSDAP, den Schritt hin zu den Nationalsozialisten. Seine Biographie gibt aus dem Grund auch erhellende Einblicke in das gesamte rechte politische Spektrum im Deutschland der Zwischenkriegszeit: das breite Milieu aus einander teilweise verstärkenden beziehungsweise unterstützenden, zugleich aber auch heftig miteinander rivalisierenden Gruppierungen und Parteien. Obwohl sie im Großen und Ganzen dieselben Feindbilder teilten (Juden, Marxisten, Liberale) und ein vergleichbares Ideal der einen, glorifizierten deutschen Nation pflegten, bedeutete das nicht, dass Hitlers Anspruch auf die Führerschaft von allen in diesem Milieu akzeptiert wurde. Wo stand August Wilhelm in diesem Streit, und wie ging die Sache schließlich für ihn aus?
»Führer kamen, Führer gingen …« Karikatur aus der sozialdemokratischen Tageszeitung »Het Vrije Volk«, 30. Dezember 1946. Otto