Die Begegnung. Vier Erzählungen. Max Herrmann-Neisse

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kitzlig in den Ohren, und die Haare hatte sich das Luder auch abschneiden lassen, die verrückte Person, das soll so was heißen. Das kommt davon, wenn der Vater Theaterfriseur ist, ihm konnte natürlich so was überhaupt nicht passieren mit seinen Kindern! – Halt, was heißt: konnte nicht, wie stand’s um Artur, den Schlingel, irgend was stimmte da doch nicht ganz, kleine Marotten, gottlob, nichts Schlimmes, etwas Lesefieber . . . Aber Worbs betete doch rasend in sich hinein: »Lieber Gott, laß den Artur Jurist werden, alle Examina beizeiten bestehen, laß ihn den Sohn vom Professor Wiedemann überflügeln, krank ärgern sollen sich alle darüber, was aus meinem Sohne wird, laß ihn Staatsanwalt werden, gib ihm einen schönen Sensationsprozeß, laß ihn einen auf den Tod bringen, daß er avanciert!« Dann machte er mit einem Ruck kehrt, wie um dem lieben Gott erst keine Zeit zu einem Nein zu lassen, erledigte die Weihwasserpantomime beim Austritt ganz flüchtig und schöpfte, wieder auf der Straße draußen, tief Atem, als entrönne er eben einer unendlichen Strapaze. Und in einer Art Aberglauben vermied er es, von nun an noch einmal an das Thema Sohn zu rühren. Ohnehin war das Vorhergehende so anstrengend für ihn gewesen, daß es ihm zunächst einmal sehr gelegen kam, eine Weile überhaupt an nichts zu denken. Auch hatte er sich jetzt wohl einen kleinen Imbiß verdient. Er zog also die Wurst aus der Tasche und eine halbe Semmel und biß mit schmatzendem Behagen zu. Am Zaun der halbverfallenen Baracke, die zur Ziegelei gehörte, watschelte ein halbnacktes Kind herum, hielt inne, als es des Klempnermeisters ansichtig wurde, und bewegte sich, ohne einen Blick von seinen Kinnbacken zu lassen, auf den Kauenden zu. Worbs bekam eine fabelhafte Leichtigkeit in seinen Schritt, bloß schnell vorbei, man soll erst kein Herzeleid machen; zu Hause hatte er’s auch nicht gern, wenn sein Sohn merkte, daß dem Vater etwas Besonderes gebraten wurde, »Kinder müssen frühzeitig verzichten lernen«, pflegte er zu sagen. Nun war er sowieso mit der Wurst fertig, Semmel war halt immer zuviel da, von der halben blieb noch ein gut Teil übrig, da er gerade an der Cholerakapelle war, legte er das Stück, es Gott zurückzugeben, in ihre Nische, die für Kinder und Tiere unerreichbar war, und wo schon eine ganze Menge ähnlicher Gaben schimmelte. Eigentlich könnte man mal bei der Gelegenheit auf den Kirchhof gehen, sehen, was das Grab von der Else macht, ob die Gärtner sich auch wirklich darum kümmern, Geld genug lassen sie sich geben. Das war sein erstes Kind gewesen und nach ein paar Wochen wieder gestorben, wie hatte die Frau sich gebarmt und gerungen, Tag und Nacht auf der Erde gelegen und von Gott ein Wunder gefordert, ’s war schon ein exzentrisches Wesen seine Therese, immerhin, warum verzweifeln, man war doch noch jung, hatte sie so wenig Zutraun zu ihm? Das Kind hatte man doch kaum gekannt, es war überhaupt noch kein richtiger Mensch, und Schmerzen hat’s Gott sei Dank auch nicht gehabt, es schlief sich so allmählich hinüber, und nächstes Jahr war der Junge schon da, man muß nur nicht gleich die Büchse ins Korn werfen! Dem Embryo einen Grabstein zu setzen, das war auch so eine Marotte von ihr, aber sie hatte darauf bestanden, kenne sich wer in den Weibern aus, wenn’s nach ihm ginge, würde auch Jahr für Jahr längst nicht mehr die teure Grabpflege bezahlt, aber darin ist Therese komisch, und sie hat einen harten Schädel, was sie sich einbildet, setzt sie auch durch. Er wunderte sich eigentlich immer wieder, nun doch der Junge groß geworden war und sich so gut mit ihr verstand und an ihr hing, leider mehr als an ihm, trieb sie noch weiter den Kult mit dem Grabe. Er schob mit dem Stock den Efeu vom Denkmal, das ein aufgeschlagenes Gebetbuch darstellte, ein paar Käfer trippelten hastig davon, einen erwischte des Mannes Fuß noch: »Verdammtes Ungeziefer!«, dann erinnerte sich Worbs, was die Lage erfordert, nahm seinen Hut ab und stand eine Weile so, jetzt wäre sie sechzehn, siebzehn Jahre, wer weiß, was sie einem für Sorge machen würde, vielleicht auch so eine wie die Friseurstochter, und dann die Plage mit dem Verheiraten, am Ende blieb sie einem auf dem Halse – so ist es schon besser, »Sondern erlöse uns von dem Übel, Amen!«, er setzte den Hut wieder auf. Wie er den Gang zur Pforte zurückgeht, fällt sein Blick auf das Grabmal für den Theaterdirektor, unwillkürlich muß er lachen, das war eine fidele Nudel, ihm fällt ein, wie er im »Weißen Rössl« immer zu sagen hatte: »Det Jeschäft is richtig!«, er hört ordentlich die Komikerstimme, und Zoten wußte der, da war man die reine Waise dagegen, f reilich, so einer hat es leicht, jede Schauspielerin kann er haben, beneidenswerter Knabe das! der hatte doch wenigstens was vom Leben! Worbs bekommt richtig ein schnelleres Tempo, die Sonne meint es auch heut gut, auf der Wiese ergehen sich Hühner, und der Hahn schmettert einen richtigen Juchzer in die Luft. Zeit, daß man was zu trinken kriegt; eine Droschke hält vor »Weidmanns Heil«, dem Klempnermeister ist’s wie eine gute Vorbedeutung. Komisch, daß er den Unsinn nicht vergessen hat, es war doch wirklich gar nichts Besonderes passiert! Es war leider überhaupt nichts passiert, und doch stand ihm die Episode noch leibhaftig vor Augen. Das war jetzt gut seine fünfundzwanzig Jahre her, mindestens fünfundzwanzig Jahre, er war damals noch beim Vater Geselle und hatte sich mal einen freien Nachmittag gemacht. Er und der Langer Gustav – du lieber Gott, wo mochte der Gustel wohl jetzt stecken? Dessen Eltern waren plötzlich gestorben, da zog er fort und blieb verschollen. Man sagt, er wäre ins Ausland gegangen. Ob der sich wohl auch noch daran erinnerte? Also, er und der Langer Gustav, die waren nach den Schießständen spaziert, genau denselben Weg wie heute. Das heißt, damals sah das ganz anders aus, von all den Villen stand damals noch keine, und die Klosterbrüder waren auch noch nicht da gewesen. Man war mitsachten so hingeschlendert wie junge Leute, die selten frei haben, mit allerlei Gespaß und Gedalber, hatte dort den Stock am Zaune entlang gezogen, um den Hofhund zum Rasen zu bringen, einer Katze, die im Graben schlich, einen Stein nachgefeuert, einem fünfjährigen Hosenmatz den Apfel aus der Hand genommen, getan, als wollte man ihn essen, und als die Jöhre gehörig plärrte, ihr unter Gelächter die unversehrte Frucht wieder in die schmutzigen Pfoten gedrückt. Dann hatte man vom Fahrrad gesprochen, weil dies Vehikel gerade damals mehr in Gebrauch genommen wurde, und just kam eine Kutsche vorüber, in der saß ein schönes, junges Mädchen. Sie kannten doch sonst jedes Gesicht, aber das mußte wohl eine Fremde sein. Und das Mädchen hatte ihm zugelächelt. Ihm ganz allein, dem Erich Worbs, obwohl sich auch Gustav getroffen fühlte. Aber Worbs wußte, es galt nur ihm, das Wissen rann ihm durch den ganzen Körper. Er hatte seinen Hut abgenommen und die Lippen gespitzt. Und als der Wagen zufällig so dicht unter einem Baum der Allee hindurchfuhr, daß dessen Äste den Wagen streiften, da hatte das Mädchen einen blühenden Zweig abgebrochen und mit einer Kußhand ihm zugeworfen. Gustav war gleich losgerannt, ihn zu erwischen, sie waren um die Wette gelaufen, schließlich hatte ihn Worbs doch erjagt, es gab eine kleine Rauferei, aber er ließ sich die Beute nicht nehmen, und als sie nun beide aufgesehen hatten, war die Kutsche um die Ecke verschwunden und im Wäldchen nicht mehr weiter zu verfolgen. Trotzdem hatten sie den beabsichtigten Gasthausbesuch aufgegeben und dem Wege nachgespürt, den das Gefährt genommen haben mußte, und obwohl sie sich nach Kräften geeilt hatten, war keine Spur mehr zu finden gewesen, und schließlich hatte die hereinbrechende Dunkelheit ihre Umkehr erzwungen. Als dann Worbs für seinen Vater einen Geschäftsbrief, der noch mit dem letzten Zuge befördert werden sollte, gegen Mitternacht zum Bahnhof trug, hatte die Kutsche vom Nachmittag am Stationsgebäude gestanden. Aber der Kutscher hatte ihm auch nicht sagen können, wer die Dame gewesen sei, sie wäre mittags von auswärts angekommen, hätte sich dann die ganze Zeit über im Wäldchen herumfahren lassen und sei nun eben in den Zug gestiegen, um ihre Reise fortzusetzen. Worbs war gleich zur Sperre gerannt, da fuhr die Bahn ab, aber ob das Gesicht, das er an dem einen Coupéfenster zu erkennen glaubte, wirklich das ersehnte war, konnte er selber nicht mit Sicherheit beschwören. Er hatte damals schon manche Liebschaft hinter sich und hielt bei einer ernsthaften Sache mit einer Papierhändlerwitwe. Dennoch erregte ihn dies unbedeutende Abenteuer ziemlich tief, und er hatte noch lange mit jeder Post sich ein mysteriöses Lebenszeichen von der Unbekannten erhofft, bis der Vorfall im Gewimmel neuer Alltagsereignisse unterging. Aber in seiner Hochzeitsnacht verwunderlicherweise war das Bild jenes fremden Mädchens mit einem Male wieder vor seinem inneren Auge aufgetaucht, so daß er fast erschrocken war, und es war ihm in dem Moment, der sonst für den Mann der glücklichste sein soll, als wüßte er schmerzlich genau, jene Unbekannte sei seine eigentliche Braut gewesen, die er nun mit einem sehr viel minderwertigeren Ersatz betröge. Den Zweig, der ihm damals zugeworfen worden war, hatte er heimlich aufbewahrt, halb sich selbst verspottend, halb mit einem abergläubischen Vorbehalt, und heut brachte ihn die harmlose Droschke vor dem Lokal mitten in die überlebte und vergangene Episode hinein. Stand ihm, ein neues Wunder bevor? »Wieso denn Wunder?« prustete er selbst heraus, »ein wohlbestallter Klempnermeister und Wunder? Beim Hochzeitsfest werde ich einen übern Durst getrunken haben!« Aber irgend
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