Die Begegnung. Vier Erzählungen. Max Herrmann-Neisse
hartnäckig immer wieder dasselbe Signal, klopfte auf das Regenblech der Parterrewohnung und jaulte zwischendurch langgezogen »Ma . . . thil . . . de . . . !«, ohne Gehör und Einlaß zu finden. Worbs vergewisserte sich schadenfroh, daß er seine Schlüssel in der Tasche trug. Mit einem Male ernüchterte ihn das Schuldgefühl, über dem ganzen Gerede in »Weidmanns Heil« den eigentlichen Zweck seines Besuches, die Erledigung der Wechselangelegenheit, vergessen zu haben. Kleinlaut geworden, wagte er nicht einmal, sich in die »Goldene Wiege«, aus der eben verstohlen ein Häuflein Nachtschwärmer entlassen wurde, Einschlupf zu verschaffen, obwohl er gerade einen brennenden Durst auf ein abschließendes Glas Pilsner verspürte. Er wußte nun gar nicht, was er den Vorwürfen seiner Frau entgegnen sollte – daß er sie ja überhaupt in die Wechselsache nicht eingeweiht hatte, konnte er sich jetzt nicht vorstellen. Aber als er das gemeinsame Schlafzimmer betrat, blieb der erwartete peinliche Empfang aus. Seine Therese lag ganz friedlich im Bett und las in einem Buche. Sein schüchterner Gruß wurde voller Gleichgültigkeit erwidert, so verschlug es ihm die weitere Rede. Dieses Nichtbeachtetwerden kränkte ihn tiefer als je eine zornige Beschuldigung vermocht hätte; er kam sich aus der Welt verstoßen, wie tot vor. Der noch nicht sichere Wert dessen, was er heut so unerwartet geschenkt erhalten hatte, sank nun vor dem bekannten Werte des Besitzes, den er eben jetzt als völlig verloren glaubte buchen zu müssen. Er hätte weinen mögen, zog sich schweigend aus, in seiner Nervosität verhedderte er sich dabei, und es dauerte länger als gewöhnlich. Die Frau klappte das Buch zu, löschte das Licht und drehte sich auf die andre Seite. Sein »Gute Nacht« gab sie ihm tonlos zurück und schnarchte schon mit regelmäßigen, geruhigen Takten. Er hätte gerade jetzt furchtbar zärtlich werden wollen, getraute sich aber nicht, sie zu stören. Er verglich seinen jetzigen Zustand mit einer schlaflosen Nacht seiner Kindheit: damals hatte er gebangt, durch ein schlechtes Schulzeugnis, das er am andern Morgen unterschreiben lassen mußte, seines Vaters Obhut zu verlieren. Er bemitleidete sich selbst unbändig, kam dabei ganz von seinem zärtlichen Betätigungsdrange ab, erschöpfte sich an der eignen Wehleidigkeit, entschlummerte und hatte bis zum Morgen einen ununterbrochen gesunden und traumlosen Schlaf. Am Frühstückstisch kramte er seine Begegnung mit der Friseurstochter aus, ohne damit Anklang zu finden. Da unterließ er es, von dem übrigen auch nur andeutungsweise etwas verlauten zu lassen.
Er lebte nun so automatisch dahin, war noch eifriger als früher im Geschäft tätig, so daß er abends immer wie tot ins Bett sank. An die Entscheidung über seinen Sohn zu rühren, vermied er geflissentlich. Lange nachher fiel ihm zufällig einmal die Visitenkarte des fremden Herrn aus der Tasche. Der Sohn hob sie auf, las sie und fragte schroff: »Wie kommst du zu dieser Karte?« Worbs behandelte den Fall ganz nebensächlich: »Eine gelegentliche Wirtshausbekahntschaft.« Da brauste der Jüngling unerwartetermaßen auf: »Und das sagst du mir erst heut? Hermann Karst war also hier in unsrer Stadt! Und du hast ihn sogar persönlich kennengelernt. Und hast mir nicht einmal was erzählt! Konntest du mich ihm denn nicht vorstellen? Sagen, was für ein begeisterter Verehrer von ihm ich bin!« Und er schrie erbost: »Mutti, Mutti, Papa hat Hermann Karst kennengelernt, Karst war hier, und Papa hat’s uns verschwiegen!« Die Mutter kam erregt dazu. Worbs hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte. »Wer ist denn das eigentlich?« »Das weißt du nicht? Wo wir sämtliche Werke von Karst besitzen, gerade vor der Nase stehn sie dir! Gott, hätte ich das bloß geahnt! So eine Gelegenheit kommt nie wieder!« »Mit so was verheiratet zu sein, ist doch wahrhaftig ein Unglück! Hast du denn nie in der Zeitung von Karst was gelesen?« »Ich habe doch wirklich anderes zu tun.« »Wann war er denn da? Vielleicht blieb er noch –« »Er ist gleich am nächsten Tag weitergefahren. Mittwoch vor sieben Wochen war es.« »Aha, als du so bockig heimkamst und nicht ein Wort über die Lippen brachtest! Deine Hinterhältigkeit kennen wir ja.« »Wie soll man denn zu etwas kommen, wenn man so einen Vater hat!« Worbs hätte sich damit rechtfertigen können, daß er den Karst gebeten hatte, sie zu besuchen: aber nach der Aufklärung, die er nun über den Fremden empfangen hatte, war ihm der ganze Mann verdächtig, die Begegnung mit ihm entweiht und alles, was er sich damals daraus gefolgert hatte, hinfällig.
Nach vier Jahren setzte des Klempnermeisters Sohn ohne Kampf durch, daß er weder Jura noch Theologie zu studieren brauchte, sondern in die Deutsche Bank als Volontär eintrat. Er verachtete Vater wie Mutter gründlich, wurde aber jeden Sonntagabend von den beiden als der Stolz der Familie ins Stadthauscafé mitgenommen, wo er so viel Courtoisie für die alten Herrschaften an den Tag legte, daß man sie allgemein um den wohlerzogenen Sprößling beneidete. Aus Mädchen machte er sich nichts, sondern hatte kostspielige Sportleidenschaften.
Die Mutter brachte den ganzen Tag in Kirchen und Klöstern zu, nahm an jeder Wallfahrt teil und ging jede Vesper hinaus auf den Rochuskirchhof zum Grabe der kurz nach der Geburt gestorbenen Tochter Else.
Der Klempnermeister Worbs hatte seit geraumer Zeit nun ein stadtbekanntes Verhältnis mit der Blumenladnerin Kutsche, der er im besten Viertel ein Geschäft eingerichtet hatte, war als stets fideler Stammtischkumpan allenthalben beliebt und als unübertrefflicher Erfinder neuer Vergnügungsmöglichkeiten und Festarrangeur angesehenes Mitglied fast all der vielen Vereine, die seine Vaterstadt aufwies. Als er zum Stadtverordneten gewählt wurde, besaß er nicht einen einzigen Gegner und erhielt das Theaterdezernat anvertraut. Nun beneidet er auch den toten Direktor nicht mehr, und wenn er mit den Schauspielern zusammenkommt, verfehlt er nicht zu erwähnen, daß er mit dem großen Dramatiker Hermann Karst befreundet sei.
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