Die Begegnung. Vier Erzählungen. Max Herrmann-Neisse
devoten Grußes zu würdigen, der einer so guten Kundschaft zukam. Er ging trotz des schönen Wetters hinein ins Gastzimmer und setzte sich an das kleine Tischchen direkt am Büfett, das mehr eine Art Privatbleibe für den Wirt und seine Familie war. Die Frau Restaurateur Kaps, eine rundliche, adrette Person, stand gerade hinterm Schanktisch und fertigte die Kellnerin ab, das heißt eine Kutscherfrau, die Bedienung zu machen pflegte und während der Sommernachmittage hier zur Aushilfe beschäftigt war. »Weidmanns Heil« war ein stilles Geschäft, im Winter ließ sich manchmal tagelang kein Gast blicken, nur im Sommer sprachen an bestimmten Terminen der Woche die verschiedenen Kaffeegesellschaften vor, gaben sich abends Liebespaare ein Stelldichein, und machten Ausflügler ins nahe Wäldchen die erste oder letzte Station. Bisweilen kehrten auch Soldaten auf dem Wege zu den Schießständen ein, vor allem solche besserer Herkunft, die sich in der Kantine des Übungsplatzes nicht wohlfühlten, aber hier unbelästigt von der Gegenwart ihrer Vorgesetzten wieder Mensch dünken durften. Frau Kaps war die einzige Tochter des verwitweten Besitzers von »Weidmanns Heil«, Kaps, ein Bauernsohn aus dem nächsten Dorfe, hatte, wenn er von der Jagd kam, immer da verkehrt, ein so prompter Gast war des Vertrauens würdig erschienen, auch sparte man gern an Petroleum und machte so spät als möglich Licht, kurzum: als sein Aufgebot mit der Gastwirtstochter erfolgte, soll es die höchste Zeit gewesen sein. Schließlich hatte er keinen schlechten Handel dabei gemacht, den Bauernhof erbt doch sein älterer Bruder, nun war er hier weich und wohl gebettet. Um den Restaurationsbetrieb kümmerte er sich so gut wie gar nicht, Schwiegervater und Frau besorgten Geschäft und Wirtschaft, so konnte Kaps noch besser als früher seinen Jagdgelüsten frönen und hatte überdies Gelegenheit, einen stets bereiten Kreis von Gefährten nach vollbrachtem Pirschgang durch freigebige Gelage an sich zu fesseln. Auch der Name »Weidmanns Heil« stammte von ihm, und er hatte ihn erfolgreich gegen die, wie ihm schien, farblose frühere Firma »Tobschirbels Garten-Restaurant« durchgesetzt. Freilich war seine Jägerei ein kostspieliges Vergnügen, und der alte Tobschirbel und seine Tochter hatten zu tun, den so schwer belasteten Etat allemal wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Worbs schätzte die tüchtige Frau und hatte sich deshalb dazu verstanden, für eine größere Reparaturrechnung einen Wechsel in Zahlung zu nehmen, seiner Therese aber wagte er das nicht einzugestehn, weil er im allgemeinen auf Barzahlung drängte. Auch war er sich bewußt, so gehandelt zu haben aus einem ihm nicht ganz klaren Motiv, an dem das Gefühl beteiligt war, und dessen er sich eigentlich schämen sollte. Jetzt war der Wechsel bald fällig, und Worbs kam also, die Sache ins reine zu bringen. Frau Kaps hatte der Kellnerin die gewünschten Portionen Kuchen und Gläser Wasser, wovon draußen die Kaffeetanten immer noch nachverlangten, ausgehändigt und begrüßte nun den Worbs mit den Worten: »Na, Meister, lassen Sie sich auch mal wieder bei uns hier draußen sehen?« »Ich käme schon öfter, wenn ich bloß könnte. Sie wissen ja, wie’s uns Geschäftsleuten geht; Sie kommen ja selber nicht raus aus Ihrer Tretmühle!« »Ihre Frau hat aber doch Zeit, die könnte uns auch mal das Vergnügen machen . . . « »Ich glaube, der ist das ein bissei zu weit. Die hat ihr Kränzel in der ›Erholung‹. Bis dorthin kann man’s sogar im Winter bringen; da bleiben sie dem Lokal auch im Sommer treu.« »Aber Sonntags könnten Sie doch ’ne Ausnahme machen und mal mit Frau und Sohn bis zu uns gehn. Jetzt ist das doch ein schöner Spaziergang.« »Sonntags fahren wir meistens aus. Nach Österreich in die Berge hinüber. Das tun wir schon unserm Jungen zuliebe. Der hockt sowieso zuviel in der Stube.« »In welcher Klasse ist er denn jetzt?« »In Sekunda, gottlob, ’s geht aufs Ende zu.« »Ja, ja, die Kinder wachsen heran. Er lernt wohl gut?« »Immer der Erste!« »Da gratulier’ ich.« »Nur nicht zu früh krähn! Das Schwierigste kommt erst noch: das Examen. Und dann fängt er erst recht an, Geld zu kosten. Das lange Studium . . . « »Was soll er denn werden?« »Ich möchte gern, daß er Jura studiert.« »Na und warum nicht?« »Ich glaube, meine Frau säh’s lieber, wenn er mal Pfarrer würde.« »Das hat der Sohn vom Herrn Worbs doch nicht nötig. Das ist was für armer Leute Kinder!« »Die Franziskaner reden ihr’s ein; es stecken doch immer welche bei ihr.« »Meister, da nehmen Sie sich nur in acht! . . . « »Nee, liebe Frau Kaps, so wie Sie meinen, nicht! Dazu ist die doch viel zu stolz!« »Den Kutten, den trau ich alles zu!« »Kapsen, Sie lästern ja wie’n Ketzer!« »Unsereiner läßt sich nicht dumm machen, dazu sieht und hört man zuviel. Wenn ich reden wollte . . . « »Reden Sie doch mal!« »Die mischen sich in lauter Sachen, die sie nicht für’n Sechser angehn. Damals zum Beispiel bei meiner Heirat, wollten sie mir partout was am Zeuge flicken. Bloß auf das Gerede der Leute hin. Mit allen Klatschbasen sind sie ja immer gut Freund! Beinah hätt’ ich keinen Kranz tragen dürfen. Dann stänkerten sie mir ins Geschäft: ich veranstalte zu viele Tanzvergnügen, da würden die jungen Leute verleitet. Wo ich mir den Sommer doch wahrnehmen muß, lang ist er wahrhaftig sowieso nicht! Die werden die Steuern für mich nicht bezahlen! Sie sollen beten und sich kastein und nicht danach schielen, was andere tun. Und haben Sie schon das Neueste gehört? Jetzt predigen sie gegen den Alkohol, auf einmal soll der an allem schuld sein. Verrückt sind die Kerle, die würden sich wundern, wenn sie alle ernähren sollten, die bisher von Brauereien und Gasthöfen lebten!« Worbs mußte lächeln, wie sie sich so ereiferte. »Wie wär’s, wenn wir ihnen einen Schabernack spielten und den Wasserköpfen zum Possen einen Allasch zusammen tränken?« sagte er jovial und getraute sich, sie dabei begütigend auf den Rükken zu klopfen. Gleich wurde sie sachlich: »Also zwei Allasch. Kleine oder große?« »Zweistöckige natürlich! Wie wir gebaut sind, uns werden die wohl nicht gleich umschmeißen!« Sie stießen an. »Auf Ihren Herrn Sohn, daß er mal ein ganz berühmter Jurist wird!« »Machen Sie’s halbweg! Ich war schon zufrieden, wenn er nur erst mal Jura studierte!« »Das werden Sie doch wohl durchsetzen, Meister! Sie sind doch der Herr im Hause, dächt’ ich!« »’s müßte eigentlich so sein! Aber in Wahrheit – du lieber Gott . . . ! Für meine Frau und für den Jungen, da bin ich so eine Art Störenfried. Gut dazu, ihnen das Geld zu verdienen, aber im übrigen doch bloß ein simpler Handwerker und den feinen Herrschaften lästig!« »Das kann ich gar nicht glauben. So borniert werden doch Ihre Leute nicht sein. Wie ich bin, ich ziehe mir jeden soliden Geschäftsmann einem Beamten vor.« »Meine Therese kann halt noch heut nicht vergessen, daß ihr Mann keinen Titel besitzt. Sie hatte sich was Besonderes erhofft . . . « »Sie soll doch froh sein, daß sie Sie hat! So eine günstige Position hätte ihr keiner sonst bieten können. Solche Mädel sind immer zu anspruchsvoll. Einen Akademiker oder höheren Beamten hätte sie ihrem Stande nach und ohne Mitgift doch nicht bekommen, und die mittleren oder Militäranwärter sind doch Hungerleider gegen Sie!« »Reden Sie ihr das mal ein, Frau Kaps! – Ach was, bringen Sie lieber zwei Allasch!« »Ich dachte, Sie wären der glücklichste Mensch.« »Es hat wohl jeder sein Päckchen zu tragen. Sie sind eben eine vernünftige Frau, eine Geschäftsfrau, die weiß, wie’s im Leben zugeht. Man hat sich manches anders gedacht . . . « Er trank den zweiten Schnaps hastig herunter und seufzte. Die Sorge wegen des Sohnes, die ihn schon unterwegs gequält hatte und die er doch nach dem Gebet in der Klosterkirche abgetan wissen wollte, umdunkelte ihn wieder riesengroß. Er trank nun hastig immer einen Allasch nach dem andern weiter, ohne daß die Gastwirtin noch mit ihm Schritt hielt. »Und nicht einmal mit dem Sohn stehn Sie gut?« fragte sie. »Gar nicht stehe ich mit ihm! Weil ich immer in der Werkstatt und im Laden war, blieb er seine ganze Kindheit über hauptsächlich auf die Mutter angewiesen. Die hatte es auch leicht, stets freundlich zu sein. Ich, wenn ich abends nach Geschäftsschlüß endlich mich den Meinen widmen konnte, war abgespannt, der Ärger des ganzen Tages wirkte in mir nach, und so gab ich natürlich einen schlechten Gesellschafter her. Ich glaube, der Knabe hatte schon immer Angst, wenn ich nach Hause kam, daß ich ihnen die gute Stimmung verderben würde. Ich erinnere mich noch ganz genau einer Enttäuschung, die mir unvergeßlich sein wird. Ich hatte an jenem Tage ein besonders gutes Geschäft gemacht und daher den Laden eher als sonst verlassen. Stillvergnügt dachte ich: wirst den beiden eine freudige Überraschung machen; und kaufte unterwegs für Therese Pralinés und für den Jungen eine Schachtel Bleisoldaten. Leise schließ’ ich das Entree auf, häng’ den Mantel ab und drücke vorsichtig die Tür zur Wohnstube auf. Da steht mein Artur mitten im Zimmer und deklamiert was, hat sich mit einem Federhute meiner Frau und einer Tischdecke kostümiert und spielt Theater, seine Mutter sitzt als Publikum auf dem Sofa und hört ergriffen zu. Ich bleibe mäuschenstill an der Tür stehen, um ihn zu Ende kommen zu lassen, aber wie er mich erblickt, kriegt er einen Wutanfall, reißt sich Hut und Decke herunter und kreischt: ›Gerade war ich im besten Zuge!‹ Mir wurde eiskalt, wie er gar zu weinen anfing,