Oben, unten, vorne, hinten. Garrison Madden

Oben, unten, vorne, hinten - Garrison Madden


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      War es die Aufregung der Reise? Beinahe verzweifelt überlegte Gay, daß dieses neue Leben vielleicht doch schwieriger sein könnte, als sie es sich vorgestellt hatte. Würde sie damit fertig werden können?

      Dieser vulgäre Akt, den sie vorhin im Hintergrund des Flugzeugs beobachtet hatte . . . jede auch nur annähernd anständige Person hätte doch bestimmt diskret weggesehen! Aber sie hatte es nicht getan . . .

      „Wir werden in etwa zwanzig Minuten landen“, hörte sie plötzlich Harry neben sich sagen. Er war aufgewacht, hatte auf seine Uhr gesehen und rieb sich nun die Augen. „Und ich nehme an, daß Ihr Freund Sie abholen wird, nicht wahr?“

      „Ja“, antwortete Gay. „Wir wollen unser neues Leben natürlich in Los Angeles beginnen, aber ich werde Todd schon in Las Vegas treffen, weil er dort angeblich eine große Überraschung für mich bereithält.“

      Sie bemerkte plötzlich den merkwürdigen Ausdruck in Harrys Augen. Er schien an etwas sehr Wichtiges und Komisches zugleich zu denken, denn er blinzelte heftig.

      „Sagen Sie . . . Ihr Freund heißt Todd?“ fragte er. „Ja. Warum?“ fragte Gay und sah ihn beinahe besorgt an.

      Er strich sich mit einer Hand übers Kinn und blickte verwundernd drein. Doch dann lächelte er, als wäre er mit einem Gedanken, den er eben gehabt hatte, sehr einverstanden.

      „Oh, nichts“, sagte Harry. „Nichts Wichtiges.“

      Gay sah Todd schon von weitem mitten in der großen Wartehalle des Flugplatzes stehen.

      Ihre Blicke begegneten sich über eine Entfernung, die Gay wie mindestens dreihundert Meter vorkam, dann rannte Todd auch schon los und direkt auf sie zu. Sie ließ ihr kleines Gepäckstück einfach fallen und lief Todd entgegen. Sie umarmten und küßten sich. Gay glaubte in diesem Moment, noch nie in ihrem Leben glücklicher gewesen zu sein.

      „Du verrückter Idiot!“ sagte Todd lachend zu ihr, „du liebst mich so sehr, daß du sogar dein Gepäck verloren hast! Na, komm . . . holen wir’s! Und dann machen wir uns sofort auf den Weg zu meiner großen Überraschung.“

      Gay war jetzt so aufgeregt, daß sie nicht einmal auf den Gedanken kam, Todd danach zu fragen, worin denn nun eigentlich diese Überraschung bestehen sollte.

      Sie fuhren mit einem Taxi nach Downtown. Todd legte einen Arm um Gays Schultern und zog sie dicht zu sich heran. Er blickte dabei aber ernster drein, als Gay ihn je gesehen hatte. Dann küßte er sie langsam und leidenschaftlich.

      „Wie war doch gleich die genaue Adresse, Sir?“ fragte der Taxifahrer.

      „Eins-eins-null-sieben Wright Street“, antwortete Todd.

      „Was gibt’s denn dort?“ fragte Gay neugierig.

      „Du wirst schon sehen“, sagte Todd, dann zog er sie erneut fest an sich und legte ihren Kopf an seine Schulter.

      Gay fühlte sich sicher und geborgen. Und natürlich war sie neugierig auf Todds Überraschung.

      Das Taxi hielt an.

      Todd war Gay beim Aussteigen behilflich, dann bezahlte er den Fahrer.

      Gay blickte Todd in die Augen, die vor Erregung funkelten. Plötzlich empfand Gay Entsetzen, Ärger, Besorgnis und sogar Angst, als ihr Blick auf ein riesiges Neonschild mit der Aufschrift Bel-Air Chapel fiel. Hinter ihrer Stirn jagten sich die Gedanken. Das kann doch unmöglich Todds Überraschung sein! dachte sie.

      Todd griff forsch nach ihrer Hand und führte sie direkt zur Eingangstür der Kapelle.

      „Ich glaube, du weißt schon, was ich jetzt sagen möchte, Sheila“, begann er. „Das ist meine große Überraschung für dich. Ich glaube, es sollte jetzt geschehen. Willst du mich heiraten, Sheila?“

      Gay erschrak über diese Überraschung. Es stimmte also. Todd schien entschlossen zu sein, alle ihre bisherigen Pläne durch eine radikale Entscheidung zu ändern. Sie dachte an ihre Familien, die schon so lange eine feierliche Hochzeit in einer Kirche geplant hatten. Sie dachte aber aus irgendeinem Grunde auch an verschiedene andere Dinge. Ein Gefühl, das fast an Rebellion erinnerte, quoll in ihr auf. Sie konnte jedoch nichts sagen und Todd auch keine Antwort geben.

      Ihre Gedanken beschäftigten sich mit ihrer Zukunft in Hollywood. Und dann mußte sie ganz plötzlich wieder an ihre Begegnung mit Harry denken . . . und wie sie die Stewardeß und den jungen Mann im Hintergrund des Flugzeugs beobachtet hatte.

      Verdammt! dachte sie. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich Todd jetzt haben will!

      Todd ließ sie los und blickte sie ernst an. Er war überzeugt, daß sie ein bißchen Angst und Scheu empfand, aber beides würde sie mit ihrer Freude über seine Überraschung bald überwinden. Deshalb stand sie jetzt wohl so regungslos da und sagte überhaupt nichts. Er würde sie nichts mehr fragen.

      „Warte hier“, sagte er.

      Er ließ sie einfach stehen und ging in die Kapelle. Plötzlich brodelten heftiger Trotz und Zorn in Gay auf. Sie reagierte ganz instinktiv, ohne lange zu überlegen. Sie rannte einfach los . . . sie rannte und rannte und rannte . . .

      Jetzt wurde sie nur noch von einem einzigen Gefühl beherrscht . . . von blinder Panik.

      Sie rannte durch die Straßen einer fremden Stadt . . . ließ Todd weit zurück . . . wollte sich nicht mehr umdrehen . . . wollte nicht mehr zurückblicken . . . wollte überhaupt nicht mehr an Todd denken.

      Während sie atemlos weiterrannte, konnte sie nur noch an eins denken.

       Ich muß fort! Ich muß fort! Ich muß fort!

      Wahrscheinlich nicht für immer, aber sie mußte jetzt ganz einfach fort!

      2

      Das Licht in der Halle des Sahara-Hotels beleuchtete die Gesichter von eleganten Männern und Frauen. Gay ging direkt zum Kasino auf der anderen Seite der Halle. Sie betrat den Raum und sah die tiefdekolletierten Kleider, die makellosen Frisuren, die lachenden Gesichter der Frauen rund um die Spieltische. Viele der anwesenden Männer waren im Frack und sahen recht stattlich aus. Sie schienen den Frauen nur wenig Beachtung zu schenken, sondern sich ausschließlich aufs Spielen zu konzentrieren.

      Gay fühlte sich plötzlich entspannt, als befände sie sich am rechten Ort. Sie konnte sich dieses Gefühl selbst nicht erklären.

      Dann fiel ihr Blick auf einen der Spieler. Sie erkannte ihn sofort. Es war Harry Jackson. Sie ging zu seinem Tisch hinüber.

      „Hallo, Honey!“ sagte Jackson, als wäre es für ihn die natürlichste Sache der Welt, daß sie sich hier wiedersahen. „Darf ich Ihnen einen Drink spendieren?“

      Ohne langes Überlegen antwortete Gay: „Sicher.“ Kurz darauf saßen beide in dem angrenzenden Raum an einem Tisch beim Dinner. Harry hatte Hummer und Champagner bestellt. Gay hatte ihm erzählt, was geschehen war, und Harry schien sehr verständnisvoll zu sein.

      „Machen Sie sich nur keine Sorgen, Gay“, sagte er. „Man kann nicht alles immer sofort durchschauen. Aber was meinen Sie? Wollen wir nicht auf mein Zimmer gehen, uns noch etwas Champagner bringen lassen und uns dann ein Weilchen miteinander unterhalten?“

      Gay fühlte sich leicht beschwipst und hätte jetzt beinahe gekichert. Wieder einmal gab sie ohne langes Überlegen die gleiche Antwort.

      „Sicher!“

      Beide mußten laut lachen.

      Harry drückte ihre Hand, stand auf und führte Gay vorn Tisch fort.

      Harry Jacksons Hotel-Suite war groß und elegant, dachte Gay. Ihr fiel vor allem das riesige Bett auf, das den ganzen Raum zu beherrschen schien. Fast die gesamte Einrichtung, sogar Tapeten und Gardinen, war in rotem Farbton gehalten. Gay mußte erneut kichern.

      „So was habe ich noch nie gesehen“, sagte sie zu Harry.

      Harry ging


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