Das irdische Paradies und andere Legenden. Emmy Ball-Hennings

Das irdische Paradies und andere Legenden - Emmy Ball-Hennings


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Aufenthalt im Paradies gebeten, doch ließ ihre Bescheidenheit dies nicht zu. Sie waren nur sehr traurig, daß sie sich verabschieden mußten. Elias und Henoch versuchten sie zu trösten:

      «Es gibt ein noch schöneres Paradies als dieses, in das ihr bald eingehen werdet. Dieses hier ist nur das irdische Paradies, aber noch ein anderes, ein noch seligeres hat Gott uns bereitet. Und ihr werdet die Erben des himmlischen Reiches sein.»

      Obwohl dies eine himmlische Hoffnung war für die Mönche, konnten sie sich gleichwohl schwer zum Abschied entschließen. Sie fragten auch:

      «Wie kann nur die Zeit so rasch vergangen sein? Ein Menschenleben währet doch nur siebenzig oder achtzig Jahre. Und warum nur fühlten wir uns mit siebenhundert Jahren so jung?»

      «Gott ist es, der die Jugend froh macht auch in hohen Jahren. Ihr aber habet die Frucht vom Baum der Jugend gekostet und vom lebendigen Wasser getrunken. Nun aber geht mit Gott in euer Kloster zurück.»

      «Wie wird man uns dort nach siebenhundert Jahren aufnehmen? Niemand wird uns dort mehr kennen. Wer wird uns glauben, daß wir Mönche sind, die in das Kloster am Nil gehören? Wer wird uns dort glauben, daß wir im irdischen Paradiese waren? Woran werden die Brüder im Kloster erkennen, daß wir zu ihnen gehören?»

      Die heiligen Väter sprachen:

      «In der Kirche auf dem Altar wird ein Buch liegen, in welchem seit 1000 Jahren alle Namen der Mönche eingetragen sind. Nennt den Brüdern eure Namen und man wird sie in dem Buche verzeichnet finden. Ihr sollt euren Brüdern auch sagen, daß ihr nach vierzig Tagen alle drei am gleichen Tage zum ewigen Leben eingehen werdet.»

      Da machten sich die Mönche auf den Rückweg, und so schwebend leicht, wie sie den Berg hinangekommen waren, kamen sie auch wieder zu Tale, und wieder bei ihrem Kloster angelangt, begaben sie sich zunächst in die Kirche, um Gott für die große Gnade zu danken, die ihnen widerfahren war.

      Als nun die andern Mönche zum Gebet in der Kirche erschienen, waren sie recht erstaunt, die drei fremden Brüder zu Füßen des Altars vorzufinden. Sie fragten die Fremdlinge nach dem Woher und Wohin. Wie aber erstaunten sie, als diese Auskunft gaben! Die fremden Brüder nannten ihre Namen, und der Abt des Klosters fand sie im Buche, das auf dem Altar lag.

      Da wurden die drei Mönche mit großer Freude von ihren Brüdern aufgenommen und alle beteten und sangen miteinander im Chor das Lob Gottes.

      Nach vierzig Tagen aber wurden die Seelen der drei Mönche von Engeln hinweggeführt und durften eingehen zu den ewigen Freuden. Den zurückbleibenden Brüdern jedoch war dieses Wunder ein mächtiger Ansporn, Gott noch eifriger zu dienen denn zuvor.

      SANKT JULIAN, DER GASTFREUNDLICHE

      Der heilige Julian stammte von königlichen Eltern und zeigte sich schon im zarten Kindesalter sehr fromm und gottesfürchtig. Es beglückte den schönen Knaben, wenn seine reichen Eltern den Armen Gutes erwiesen, oder wenn sie Obdachlose in Schutz nahmen. Weil er nämlich im elterlichen Schlosse selbst ein solch freundliches, vornehmes Heim hatte, wünschte er das gleiche für die armen Nächsten, die er als seine Geschwister ansah. Obwohl nun Julian ein überaus gütiges, mitleidiges Herz besaß, neigte er gleichwohl zum Jähzorn, der sich bemerkbar machte, wenn er etwas Unrechtes sah, das seinem Empfinden für Gerechtigkeit widersprach.

      Als er älter wurde und zu einem stattlichen Ritter herangewachsen war, zeigte er sich seinen Feinden gegenüber leicht aufbrausend und von stark leidenschaftlicher Natur. Er wußte wohl um diesen Fehler und suchte ihn zu bekämpfen.

      Er hatte drei Nächte nacheinander den gleichen Traum: er sah, wie er seine eigenen Eltern mit dem Schwert tötete. Dieses Traumgesicht schreckte ihn so sehr, daß er heimlich sein Elternhaus verließ, um niemals in die Versuchung zu kommen, eine solch unselige Tat zu begehen. So floh Julian selbst vor der Möglichkeit einer Sünde.

      Auf seiner Wanderung kam er an den Hof des Königs von Ägypten, dem er als Ritter seine Dienste anbot. Der König fand sogleich großes Gefallen an Julian, machte ihn zum Schatzmeister und später zum Befehlshaber über eine Provinz. Dann aber bewies er ihm noch größeres Vertrauen, indem er Julian seine junge, schöne Tochter zur Gemahlin gab, und als der König bald nach der Hochzeit starb, kam Julian als Herr von Ägypten auf den königliche Thron.

      Hier waltete er nun überaus umsichtig seines hohen Amtes, so daß überall Ordnung und Wohlstand im Lande herrschte. Seiner Gemahlin war er in inniger Liebe treu ergeben, während sie in ihrem Gatten das reinste Glück ihres Lebens erblickte.

      In jenem Lande nun, wo Julians Eltern lebten, brach eine große Hungernot aus und viel Volk flüchtete nach Ägypten, in die reiche Kornkammer des Orients. Auch Julians Eltern kamen nach Ägypten, und da sie vernahmen, daß ihr eigener Sohn dort König geworden war, begaben sie sich an den königlichen Hof, um ihren Julian nach langer Zeit einmal wiederzusehen. Das Schicksal wollte es, daß Julian nicht anwesend war, als die Eltern im Schlosse nach ihm fragten. Sie wurden aber von der Königin liebreich empfangen, die sich ungemein freute, die Eltern ihres Gatten kennenzulernen. Diese waren entzückt von der reizenden, jungen Schwiegertochter, die sie aufs freundlichste bewirtete, und da die alten Eltern von der Reise ermüdet waren, wurde ihnen, um sie besonders zu ehren, das eheliche Schlafzimmer zum Ausruhen angewiesen.

      Unterdessen befand sich Julian auf der Jagd, einsam den Wald nach Beute abspähend. Da gesellte sich unversehens der böse Feind zu ihm, den Julian als solchen nicht erkennen konnte, weil dieser die Gestalt von Julians Lieblingsdiener angenommen hatte. Der Diener näherte sich mit devoten Verneigungen und bat höflich um Gehör für eine angeblich dringliche Mitteilung. Julian, der sich im Jagdvergnügen nicht gerne stören ließ, erwiderte etwas ungehalten:

      «Sprich rasch, was hast du mir zu sagen?»

      «Mein Herr, die betrübliche Kunde, die ich Euch zuüberbringen habe, ist freilich rasch gesagt, doch steckt leider eine Begebenheit dahinter, die sich nicht in wenigen Worten sagen läßt. Es ist übrigens eine recht undankbare Aufgabe, einen Mann von der Untreue seiner Frau zuüberzeugen, aber meine Ergebenheit Euch gegenüber, edler Herr, gestattet es mir nicht, länger zu schweigen. Vielleicht hätte ich schon früher sprechen sollen, aber ich habe stets daran denken müssen, wie sehr es Euch betrüben würde, zu erfahren, daß die Königin, mit Verlaub zu melden, sich nicht so verhält, wie es einer guten Ehefrau geziemt.»

      Julian brauste auf:

      «Was erlaubst du dir, frecher Bursche? Du wirst deine Unverschämtheit mit dem Leben zahlen.»

      Schon wollte Julian sein Schwert aus der Scheide ziehen, um auf den vermeintlichen Diener einzudringen, als dieser geschickt zur Seite wich und Julian zurief:

      «Gnädiger Herr, es mag Euch jederzeit frei stehen, mich zu töten. Ihr wisset, ich bin Euer Diener und Untertan. Mein Leben sei Euch gern verfallen, wenn ich die Unwahrheit spreche. Doch werdet Ihr nicht unnütz eine unüberlegte Tat begehen, die Euch reuen könnte. Verzeiht, daß ich also zu Euch spreche. Aber es ist nur die Liebe zu Euch, die mich treibt, Euch die Augen zu öffnen Eurer Gemahlin gegenüber. Während wir nämlich hier miteinander sprechen, ist wahrlich anzunehmen, daß Eure Gemahlin einen stattlichen, bekannten Ritter, ihren Liebhaber in jenem Zimmer empfängt, in das nur Ihr, edler Herr, als Gatte und König eintreten dürft.»

      Julian hatte genug gehört. Er hatte den Dolchstich glühender Eifersucht im Herzen empfangen, bestieg, ohne noch ein Wort mit dem Diener zu wechseln, sein Pferd und stürmte nach Hause, wo er in später Abendstunde anlangte. Ohne Überlegung eilte er in sein Schlafgemach, das in tiefe Dämmerung gehüllt war und nichts erkennen ließ.

      Julian tastete sich bis an sein Ehebett, wo er zwei Schlafende fühlte, einen Mann und eine Frau. Da spürte Julian sein Blut in heißen Wogen rauschen und nur vom wilden Verlangen erfüllt, seine verletzte Ehre zu rächen, zückte er sein Schwert, tötete die beiden Schlafenden, und eilte fort in ein anderes Zimmer.

      Etwas später betrat er mit einem Licht noch einmal den Schauplatz seiner unglückseligen Tat, vielleicht um zu sehen, wer sein Nebenbuhler gewesen sein mochte. Da er aber seinen geliebten Vater und seine geliebte Mutter erblickte, stieß er einen gellenden


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