Das irdische Paradies und andere Legenden. Emmy Ball-Hennings

Das irdische Paradies und andere Legenden - Emmy Ball-Hennings


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Strom mitleidiger Liebe ins Herz, daß er seinen Mund dem des Aussätzigen näherte, der sich ihm wie dürstend entgegenstreckte. Kaum aber hatte Julian den Mund des Leidenden berührt, als er die Gestalt, die er umschlungen hielt, sich verwandeln sah. Ein Licht umfing den hl. Julian, und es war der Erlöser, es war Jesus Christus selbst, den er in seinen Armen hielt. Wie zu einem Freunde sprach die göttliche Stimme:

      «Julian, deine Sünde ist dir verziehen. In wenigen Tagen wirst du mit mir im Paradiese sein, und mit dir deine Frau, die deine Sühne treu mit dir geteilt hat. Bei mir werdet ihr die Heimat wieder finden.»

      Es geschah also. Schon nach drei Tagen gingen Julian, der Gastfreundliche, und seine Frau ein zu den ewigen Freuden. Es kamen Engel, jene heimzuholen, die im Leben den Obdachlosen ein Heim geboten hatten. Man sagt, daß jeder Reisende und jeder Pilger, der für seine Eltern zwei Vaterunser betet, eine gute Unterkunft finden wird. Wir wollen aber den heiligen Julian bitten, er möge unser Fürsprecher sein, damit wir Gottes Barmherzigkeit erlangen und die Gnade der einstigen Seligkeit. Wir sollten uns aber auch des leuchtenden Beispiels unseres Fürbitters würdig erweisen, indem wir uns in der Tugend der Barmherzigkeit üben, wo immer uns nur Gelegenheit geboten wird.

      DIE LEGENDE VON DER HEILIGEN THEODORA VON ALEXANDRIA

      Im fünften Jahrhundert nach Christi, zu Kaiser Zenos Zeiten, lebte in Ägypten ein vornehmer Mann mit seiner jungen, schönen Frau Theodora, die gleich einer Sonne sein Leben erwärmte und erhellte. Zwei Jahre erfreuten sich Mann und Frau des reinsten Glückes, bis eines Tages der böse Feind in Gestalt einer Zauberin, die sich als eine Freundin ausgab, Theodora zur Untreue zu bewegen suchte. Es war ein junger Ritter, der Theodora begehrte und durch die Zauberin ihr kostbare Geschenke anbot.

      Theodora wies die Zauberin zurück, indem sie sagte: «Wie könnte ich es über mich bringen, meinem Eheherrn untreu zu werden? Wie könnte ich vor den Augen Gottes eine Sünde begehen, bei der ich mich selbst vor den Augen der Menschen schämen müßte?»

      Die Zauberin jedoch war listig und sagte: «Du irrst dich, Theodora. Gott sieht nur, was am Tage geschieht. Was in der Nacht geschieht, davon weiß Gott nichts, und auch kein Mensch wird je erfahren, wenn du dich dem Ritter, der dich innig liebt, hingibst.»

      Durch diese Worte ließ Theodora sich verführen und wurde ihrem Manne untreu. Doch kaum war sie in Sünde gefallen, als sie auch schon von der heftigsten Reue bewegt wurde. Sie verfiel in eine namenlose Trauer. Der Mann versuchte sie vergeblich zu trösten, und wußte auch nicht warum. Als er jedoch auf Reisen ging, schnitt Theodora sich ihr Haar ab, zog Mannskleider an, und begab sich, um unerkannt zu bleiben, in ein Mönchskloster, wo sie vom Abt aufgenommen, mit dem Habit bekleidet wurde und fortan auf den Namen Theodorus hörte.

      Hier im Kloster wurde Theodora des Ordenslebens gar froh, gab sich den strengsten Bußübungen hin und erregte ihrer großen Frömmigkeit willen gar bald die heimliche Bewunderung ihrer Mitbrüder.

      Ferner war man noch überaus zufrieden mit dem jungen Mönch, weil er sich bei allen vorkommenden Arbeiten im Klosterhaushalt sehr geschickt zeigte und von einem schier unermüdlichen Fleiß beseelt war.

      Dagegen war der Mann von Theodora, als er von seiner Reise zurückkam und seine Frau nicht mehr vorfand, unsagbar unglücklich. Da er sich nun wochen- und monatelang unaufhörlich nach Theodora sehnte, hatte ein Engel Mitleid mit ihm, erschien ihm in der Nacht im Traum und sprach zum Manne also:

      «Gehe morgen früh bei Sonnenaufgang an das große Stadttor von Alexandria. Dort wirst du Theodora wiedersehen.»

      Der Mann tat voller Freude, wie ihm der Engel geheißen, und war sogar schon vor Sonnenaufgang am Stadttor. Nun hatte aber Theodora den Auftrag erhalten, mit einem kleinen Eselwagen in die Stadt zu fahren, um dort Einkäufe zu machen. Als sie durch das Tor gefahren kam, erkannte sie sofort ihren früheren Eheherrn wieder, zog aber rasch die Kapuze ein wenig tiefer ins Gesicht, rief dem Manne mit zwar leiser, doch sehr freundlicher Stimme einen lieben Segensgruß zu, den der Mann ruhig und dankbar erwiderte, ohne Theodora zu erkennen. Der Mann dachte, sie könne sich nach Frauenart verspätet haben, und wartete sogar geduldig bis zum Sonnenuntergang, wo der Mönch mit seinem Wägelchen wieder zurückkam, nochmals ebenso freundlich wie am Morgen grüßte und seiner Wege weiterfuhr.

      Da wurde der Mann recht betrübt, und machte sich etwas mißmutig auf den Heimweg, indem er sich sagte: «Ein Engel hatte mir versprochen, daß ich meine liebe Frau sehen würde. Meine liebe Frau ist nicht gekommen. Was soll man nun von Frauen denken, wenn nicht einmal die Engel Wort halten können?» Kurzum, der Mann war höchst unzufrieden, und legte sich müde und traurig schlafen. In der Nacht aber erschien ihm noch einmal der Engel und sagte ihm:

      «Wie war das mit dir? Du scheinst deine Frau nicht genau zu kennen. Nämlich jener Mönch, den du im Torbogen gesehen hast, das war deine Frau. Sie ist es gewesen.»

      Da war der Mann traurig, daß er Theodora nicht erkannt hatte, und fand zugleich, der Engel hätte ihm doch wahrlich vorher etwas besseren Bescheid geben können. Immerhin war der Mann nicht mehr so sehr unglücklich wie zuvor, weil er jetzt wenigstens wußte, daß er seine Frau an Gott verloren hatte, und nicht an irgendeinen Rivalen, was kein rechter Mann so leicht zu überwinden vermag.

      Indessen machte Theodora im Kloster auf ihrem Wege zu Gott so große Fortschritte, daß der böse Feind in Haß und Neid darüber ergrimmte. Als sie eines Tages einsam in ihrer Zelle betete, vernahm sie eine schmeichlerische Stimme, die ihr verführerisch zuraunte: «Sag, meine liebe Theodora, warum eigentlich ermüdest du dich so sehr mit Beten und Fasten? Warum mißhandelst du deinen Leib, der so schön und edel erschaffen wurde? Warum vertrauerst du deine Jugend im Kloster, während du doch auch in der Welt ein rechtschaffenes Leben führen könntest?»

      «Wer ist es, der solche Fragen an mich zu richten wagt?» entgegnete Theodora erschrocken.

      «Wie? Du kennst mich nicht, da ich doch in dir wohne? In jedem Winkel, in den Falten deiner falschen Seele bin ich daheim. Du kennst mich nicht, da ich doch in den Abgründen deines schwankenden Herzens daheim bin? Ist’s möglich? Du kennst mich nicht? Willst du mich verleugnen?»

      «So sprich die Wahrheit. Nenne dich», forderte Theodora mit bebender Stimme, «ich weiß nicht, wer du bist.»

      «Du weißt nicht, wer ich bin? Ich aber weiß, wer du bist. Bist du nicht jene Theodora, die die Ehe gebrochen hat? Bist du nicht Theodora, die das heilige Gelübde der Ehe verletzt hat? Und hast du nicht als Mönch abermals einen Eid abgelegt? Und weißt du nicht, daß dieses Gelübde schwerer noch zu erfüllen ist als der Treueschwur, den du einst als Ehefrau vor dem Altar geleistet hast?»

      Durch diese Stimmen fühlte Theodora sich schwer bedrängt. Sie suchte sich zu besinnen, daß ein Engel ihr den Weg ins Kloster gewiesen hatte. Sie versuchte, die bösen Einflüsterungen von sich zu weisen. Es gelang ihr in dieser schlimmen Stunde kein Gebet, aber ein Strom von Tränen entrann ihren Augen. Noch einmal begann die Stimme auf sie einzusprechen mit großer Zartheit: «Arme Theodora, du bist von deinen harten Kasteiungen erschöpft und darum weinst du. Geh, mein Kind, geh zurück zu deinem Manne. Er wird dich mit offenen Armen empfangen. Er hat dir deine Sünde längst verziehen, weil er dich liebt. Hörst du, Theodora, dein Mann liebt dich über alles. Geh zu ihm zurück. Du wirst ein leichtes, freundliches Leben neben ihm führen. Glaube mir, dein Mann hat dir verziehen.»

      «Ach, wenn mein Mann mir verziehen hat, wird vielleicht Gott erst recht verzeihen. So hoffe ich, weil meine Sünde mir ewig leid tun wird. Gott wird milde mit mir sein.»

      «Meinst du? Bist du dessen vollkommen sicher? Und wenn Gott dich im Stiche läßt ...»

      Da erkannte Theodora, daß es der Versucher war, dem daran liegt, die Kämpfenden und Kühnen zu Fall zu bringen. Theodora schlug das Zeichen des Kreuzes nach jener Richtung, aus der die böse Stimme kam, und fühlte sich sogleich von aller Anfechtung befreit.

      Als sie wieder einmal in die Stadt mußte, um Öl und Mehl einzukaufen, ergab es sich, daß sie in einem Gasthause übernachten mußte, und dieser an sich geringfügige Umstand sollte die schwersten Folgen für Theodoras ferneres Leben nach sich ziehen. Die Tochter des Gastwirtes nämlich,


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