Dem Licht entgegen. Liane Sanden

Dem Licht entgegen - Liane Sanden


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Aber offenbar“ — er fügte es etwas spöttisch hinzu — „haben Sie in dieser Hinsicht keinen Einfluss!“

      Ambarzum sah: seine Worte trafen. Meredith war noch nie im Leben gewöhnt gewesen, dass ihm jemand entgegen war, und vollends die eigene Frau. Merediths erste Frau, Margarete, die drei Jahre neben ihm gelebt, war ein verängstigtes, kleines Geschöpfchen gewesen, das kaum zu atmen wagte ohne ihres Mannes Erlaubnis. Den Eindruck eines verprügelten kleinen Hündchens hatte diese Margarete gemacht.

      Als sie plötzlich gestorben war, wurde behauptet, sie wäre einfach aus Angst vor ihrem Manne gestorben. Dann hatte Meredith diese Beate Hollings aus dem rheinischen Fürstengeschlecht geheiratet. Sie war von anderer Art wie die kleine Engländerin aus Wales. In der hatte Meredith seinen Meister gefunden. Wenigstens schien es so. Er verstand es offenbar nicht mit ihr. Um diese Frau zu zähmen, waren andere Methoden nötig. Die europäischen Männer waren dumm. Sie versuchten es mit Halbheiten; mal zärtlich, mal brutal, mal nachgebend. Eine Frau parierte, oder sie parierte nicht. Etwas dazwischen gab es nicht.

      „Unsinn“, sagte Meredith schroff, „ist das mit dem Einfluss. Meine Frau tut, was ich will. Es liegt nicht die geringste Abneigung gegen Sie vor, Ambarzum! Es ist ein kühler Schlag, der dort aus Deutschland. Sie kennen solche Frauen nicht“, fügte er etwas hochmütig hinzu.

      „Gewiss nicht“, stimmte Ambarzum höflich bei, und in Gedanken fügte er hinzu: Aber ich werde sie kennenlernen.

      Zweites Kapitel.

      Joachim von Retzow sass, den Stenogrammblock aufgeschlagen, wartend da. Neben der Schreibmaschine häuften sich die Briefe, die Meredith ihm diktiert hatte. Das gab wieder eine Post — kein Gedanke, dass er damit bis zum Diner fertig war. Und seine geheime Hoffnung, Beate zu sehen, war also wieder einmal vorbei.

      Wie habe ich eigentlich früher gelebt?, dachte er bei sich. Es waren doch erst wenige Monate, seit er die Stellung als Privatsekretär bei Meredith hatte. Beate kannte er noch kürzere Zeit. Als Meredith ihn engagierte, war Beate Meredith auf Reisen gewesen. Er war schon ein paar Wochen in seiner Stellung, da kehrte sie zurück. Aber seitdem war sein Dasein gleichsam in zwei Leben gespalten. Das eine war das Leben eines Sekretärs Merediths und spielte sich ab zwischen Schreibmaschine, Akten, Telephonen, Schlafwagen, Hotelzimmern — immer in Arbeit und vielfältiger Anspannung. Mit einem innerlichen Widerstand gegen Meredith, dessen Art ihm oft genug unerträglich geworden wäre, wenn er nicht hätte Gott für die Stellung danken müssen.

      Nach zwei Jahren beinah der bittersten Sorge endlich eine Stellung, noch dazu bei einem Millionär und Gewaltigen der internationalen Oelindustrie! Jeder andere an seiner Stelle hätte sich glücklich gepriesen. Ihm aber sass die instinktive Abneigung gegen das Emporkömmlingshafte Merediths im Blute. Und dieser Mann hatte diese Frau! — Schmerz war dies Wissen. Und doch in allem Schmerz ein bitteres Glück. Denn das Leben schien erst begonnen zu haben, seitdem Beate einem begegnet war.

      Ganz verborgen allen anderen Menschen, nur ihm selbst bewusst, lebte in Joachim von Retzow ein zweiter Mensch — der wusste nichts anderes als Beate.

      Um Beates willen hätte er es bei dem Teufel in der Hölle ausgehalten. Wie er innerlich auf jede Minute des Zusammenseins mit ihr wartete! Er wollte ja nichts von ihr. Von einer Beate Meredith wollte man nichts, auch wenn man mehr gewesen wäre als ein kleiner Sekretär. Nur wissen, sie war da. Man konnte sich beim Morgengruss über ihre Hand beugen. Ueber diese schöne, schmale Hand, die so kühl und adlig war wie ihr ganzes Wesen. Ein schwacher Duft von frischen Wiesenblumen strömte von ihr aus. Er passte zu ihr, wie alles zu ihr passte. Nur das eine nicht: Meredith. Er begriff nicht, dass sie diesen Mann hatte heiraten können. Was man von ihr sagte und von ihm — er wollte es nicht glauben.

      Es gab viele Frauen, die sich für Reichtum verkauften. Aber Beate Meredith? In ihm stritt das Wissen um die Wirklichkeit, den Wert des Geldes, die ungeheure Verlockung des Reichtums, wie Meredith ihn besass. Stritt mit dem heissen Glauben: Es musste noch Menschen geben, die nicht geblendet waren von Geld. Und zu diesen Menschen sollte sie gehören.

      „Haben Sie?“ fragte Meredith ungeduldig. Joachim von Retzow fuhr aus seinen Träumen auf.

      „Wir werden die Besprechung wegen der Investierung neuen Geldes in die Oelvorkommen von Baku in den allernächsten Tagen festsetzen“, las er.

      Meredith überlegte:

      „Fassen Sie den Brief ein bisschen diplomatischer. ‚In den nächsten Tagen‘, damit sind wir zu festgelegt. Ich muss Zeit gewinnen. Es wird mir zu viel Oel in der Welt gebohrt. Kommt ein Krieg, dann allerdings wird man Oel brauchen. Dann wird man noch andere Dinge brauchen. Vor allen Dingen Gold.“

      „Aber Gold kann man nicht bohren wie Oel, Mister Meredith“, warf Joachim von Retzow mit einem kleinen Lächeln ein. „Die Goldvorkommen der Welt sind leider in ziemlich festen Händen.“

      „Vielleicht nicht ganz“, sagte Meredith halb mechanisch. Joachims Worte führten ihn wieder zurück zu der Szene an diesem Morgen. Dieser Ambarzum Tschaltikjanz war wie ein Dämon, der die geheimen Schätze der Erde irgendwie geradezu witterte.

      „Wir werden vom Oel abgehen, Retzow — Ambarzum Tschaltikjanz hat ein paar andere Tips. Aber es darf an den Börsen nicht bekannt werden, sonst stürzen meine Oelpapiere noch ins Bodenlose. Machen Sie den Brief recht diplomatisch. Sowas können Sie ja.“

      Er lachte kurz auf:

      „In Formen sind Sie gross, Retzow. Schade nur, dass man damit kein Geld machen kann — nicht wahr?“

      Retzow fühlte diesen leisen Hohn Merediths wieder wie einen Stich. Meredith machte es geradezu ein Vergnügen, auf Joachims Herkunft und seine gute Erziehung anzuspielen, die Erfolglosigkeit von Joachims Leben mit dem zu vergleichen, was er selbst erreicht hatte. Man hätte ja so einiges entgegnen können, dass Reichtum nicht der Massstab war, an dem man Menschen messen konnte und wirklichen Wert. Dass es keine Schande war und nichts bewies gegen eigene Tüchtigkeit, wenn man nach dem ungeheuren Zusammenbruch des Vaterlandes in den Arbeitsprozess nicht hineingekommen wäre.

      Aber es wäre sinnlos gewesen, eine Unterhaltung darüber zu beginnen. Meredith hätte das nicht verstanden. Für ihn war der einzige Standpunkt: Geld zu machen. Immer mehr Geld. Macht zu haben, äussere Macht. Von den feineren Dingen des Daseins wusste er nichts. Joachim von Retzow gönnte ihm alles, das Geld, die Macht, wenn er nur mit dieser Macht sich eines nicht hätte kaufen können — seine Frau!

      Schon an der Tür, wandte sich Meredith um:

      „Haben Sie Mistress Meredith gesehen? Wissen Sie, ob sie für heute abend etwas vor hat?“

      „Ich habe für Mistress Meredith eine Karte zur Oper in Conventgarden besorgt.“

      „Oper? Was gibt man denn?“

      „Ein deutsches Gastspiel, Mister Meredith. Man gibt ‚Die Meistersinger‘ von Richard Wagner.“

      Merediths Mund verzog sich spöttisch:

      „Natürlich, wenn’s etwas Deutsches ist, wird Mistress Meredith nicht fehlen. Für andere Dinge hat sie weniger Zeit. Also erledigen Sie die Post in meinem Sinne, Retzow.“

      Vor den Hotelfenstern von May-Fair war der Lärm Londons. Unaufhörlich blitzte es hinter den schweren Spitzenvorhängen auf. Grün, gelb, rot brannten Reklamelichter an den Häuserfronten. Stopplampen glimmten, erloschen, entzündeten sich neu. Der Schatten der grossen Busse legte sich an die Fensterscheiben. Die Stadt warf die Brandung ihres Lärms bis an das Hotel heran.

      Beate sass am Schreibtisch, ein paar Amateurbilder vor sich. Draussen war London mit all seinem Lärm, seiner Hast, seinem künstlichen Leben. Hier drin war für sie schon die Heimat, aus den kleinen Bildern gezaubert: Der Rhein, breit und ruhig und zwischen gesegneten Hängen, das tiefe Grün bewaldeter Höhen. Der Schimmer grauen Steins in den alten Burgen. Noch acht Tage London, noch acht Tage grosse Stadt. Noch acht Tage mit ihrem Mann. Dann konnte sie heimfahren. Konnte sie sich eigentlich nicht freuen? Sie horchte in sich hinein.

      War sie noch nicht durch das Leid allzu zerrieben? — Nein!, sagte


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