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den nächsten Wochen sein. So verlängerte man sich die Gnadenfrist, die das Leben immer wieder schenkte. Diese vier Wochen allein, fern von Meredith, nur mit sich selbst und der Heimat — sie gaben Kraft, immer weiter zu existieren, immer weiter zu ertragen. — Sie musste an die Sage vom Riesen Antäus denken. Welche tiefe Weisheit lag darin! Erde war Heimat — und Heimat gab Kraft. Kraft hatte man nötig. Sie hatte nie geglaubt, dass es so schwer werden würde. Aber schwer, oder noch schwerer — man hatte sein Wort gegeben, man musste dies Wort halten.
Sie fuhr auf. Die Tür ging. Meredith kam herein. Auch eine seiner Angewohnheiten, ohne jedes Anklopfen in ihr Schlafzimmer zu kommen. Aber sie hatte es sich längst abgewöhnt, ihn in irgend etwas ändern zu wollen.
„Wie siehst du denn aus?“ Er war immer misstrauisch gegen sie. Er erwartete immer irgend etwas. Das war, weil sie immer in einem stummen Kampf gegeneinander standen.
Sie sah ihn kühl an: „Wie meinst du das?“ fragte sie.
„Na, du siehst so verstört aus. Ach so!“ Er warf einen Blick auf die Bildchen. „Heimweh? — Deutsche Sentimentalität, he? Freust dich wohl schon auf die Idylle in dem kleinen Kaff?“
Achtung!, sagte etwas in Beate. Nicht zeigen, wie man wartete! — Er war imstande und verdarb ihr die Reise, nur weil sie mit allen Fasern sich sehnte.
„Verstört? Ich bin nur abgespannt. Das viele Hin- und-her-Reisen bekommt mir nicht. In den letzten zwei Monaten leben wir ja nur aus dem Koffer. Zeit, dass ich ein bisschen zur Ruhe komme. Wann fährst du? — Ich möchte meine Abreise nach Deutschland danach einrichten.“
„Du kannst nicht nach Deutschland fahren!“
Beate flog auf. „Warum nicht?“ fragte sie atemlos. Ein schmerzhafter Schreck war in ihren Augen.
„Ich wünsche, dass du mich begleitest.“
„Ich wünsche es aber nicht.“ Beates Gesicht war weiss. Ihre Augen brannten. „Du weisst, du hast mir für vier Wochen Urlaub versprochen.“ Sie merkte gar nicht, dass sie „Urlaub“ sagte. Aber Meredith entging diese Wendung nicht.
„Wie sprachst du?“ fragte er finster. „Bist du meine Frau, oder bist du meine Angestellte, dass du von Urlaub sprichst?“
„Wollte Gott, ich wäre in diesem Falle nur eine Angestellte, dann ...“
„Ach so!“ sagte der Mann langsam. „Dann möchtest du mir kündigen — nicht wahr? Aber das geht nun nicht. Du bist meine Frau und hast dich nach mir zu richten. Wir fahren morgen nach Borschom.“
„Erspare es mir! Ich mag diesen Armenier nicht, ich kann nicht wochenlang mit ihm zusammen sein.“
„So, du kannst nicht? Aber ich soll alles können. Ich soll die Geschäfte machen. Mit wem, ist gleich. Ich soll Geld verdienen.“
„Ich brauche es nicht.“ Sie sagte es hart. „Du weisst, ich bin anspruchslos. Für mich brauchst du keinen Pfennig mehr zu verdienen.“
„Wie rücksichtsvoll! Aber es gab eine Zeit, da hattest du andere Ansichten. Soll ich dich erinnern? Wie nötig mein Geld einmal war? Soll ich? Du ...?“
„Nein, nein!“ flüsterte sie. Schmerz und Ekel bogen ihren Mund nach unten. Musste er ihr immer den Schuldschein Vorhalten? Hässlich war das. So hässlich! Aber sie durfte ihn jetzt nicht weiter reizen. Sie schloss die Augen.
Nicht sehen jetzt, nicht das Gesicht vor ihr, das sie hasste und im geheimen fürchtete.
Still sein, sich zusammennehmen!
Meredith sah, wie Beates Lider über die Augen sanken. Wie sie Augen und Herz vor ihm verschloss. Immer flüchtete sie so in sich hinein. Machte sich unangreifbar. Wurde durch diese hochmütige Verschlossenheit nur noch schöner.
„Du“, sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Er riss sie zu sich herüber. „Sei nicht so verflucht hochmütig, du ...!“
Sie öffnete die Augen nicht. Die dunklen Wimpern zitterten wie erschreckte Vögel auf dem Weiss der erblassten Wangen. Der Mund war in einer unsäglich hochmütigen Kurve gebogen und fest verschlossen.
Sein rasendes Verlangen wich einer ebenso rasenden Wut. Beate taumelte zurück. Ein Stoss warf sie gegen die Wand.
„Wir werden ja sehen!“ sagte Meredith heiser. „Vorläufig werde ich Pierre Befehle geben, zu packen. Und dann sage ich dir, wenn du mit deiner verfluchten Ueberheblichkeit meine Geschäfte zerstörst, dann kannst du etwas erleben. Ich habe noch den Bettelbrief deines Bruders. Es ist noch nicht so sicher mit dem ehrenvollen Andenken an den Fürsten Hollings. Wenn die Menschen wüssten ...“ Er lachte hässlich auf. „Also wir reisen morgen.“
Drittes Kapitel.
Joachim hatte seine Arbeit eher noch unterschätzt. Er war noch längst nicht fertig, als es Zeit zum Diner war. Seine geheime Hoffnung, Beate Meredith noch bei Tisch zu sehen, hatte sich nicht erfüllt. Als er kurz nach sieben Uhr hastig aus seinem Zimmer herunterkam, sah er Beate Meredith gerade durch die Halle gehen. Sie hatte ein sehr blasses, verschlossenes Gesicht. Noch blasser schien es ihm als sonst. Aber selbst hier in dem eleganten Hotel, in dem sich die ganze reiche Gesellschaft der Welt ein Stelldichein zu geben pflegte, fiel Beate Meredith auf.
Sehr gross und sehr schlank ging sie, eingehüllt in ein weisses Hermelincape. Sie hielt es mit der Hand zusammen. Darunter schimmerte ein Kleid, das eine Farbe hatte wie Wasser, wenn das Mondlicht darauf fällt. Es war ein unbestimmtes zärtliches Silberblau, etwas Weiches, Rieselndes. Es war etwas Unwirkliches. Es passte zu ihrer herben Kühle, zu diesem blonden Kopf mit den beinah griechischen Zügen. Sehr abwesend und sehr hochmütig sah sie aus, wie sie durch die Halle schritt.
Ein paar Herren, die im Abendanzug durch die Drehtür kamen, machten ihr ehrerbietig Platz. Die Frauen in der Halle, elegante, sehr geschminkte Geschöpfe mit schmalen, getuschten Brauen, getuschten Wimpern und sehr roten Mündern sahen ihr nach.
„Die Frau vom Oel-Meredith!“ hörte Joachim eine Dame der andern zuflüstern.
„Elegant — nicht wahr? Aber gar nicht ein bisschen make up“, gab die andere zurück. „Sie sieht schauderhaft farblos aus.“
Joachim musste lächeln. Dieses geschminkte, auf Puppenschönheit zurechtgemachte Wesen da konnte natürlich keinen Sinn haben für diese Vornehmheit Beate Merediths.
Schnell eilte er Beate nach. Ehe der kleine Boy in der gläsernen Drehtür ihr öffnen konnte, war Joachim an ihrer Seite.
„Gestatten Sie, Mistress Meredith?“
Beate schrak auf. Sie schien mit ihren Gedanken gar nicht hier gewesen zu sein.
„Oh, Herr von Retzow!“ Ihre Stimme war von einer unpersönlichen Freundlichkeit.
„Darf ich Sie an den Wagen begleiten, Mistress Meredith?“
„Danke, Herr von Retzow — ja!“
Sie ging vor ihm her. Er folgte ihr. Zwischen den kleinen Abteilungen der Drehtür lag noch ihr Parfüm wie von frischen Wiesenblumen.
Beates Wagen, langgestreckt, schneeweiss mit dem weissgekleideten Chauffeur, wartete vor dem Portal des Hotels. Es war ein prachtvoller Wagen. Er war erst vor ein paar Wochen gekauft. Joachim war bei dem Kauf zugegen gewesen. Beate hatte einen anderen Wagen haben wollen.
„Der sieht aus wie von einer Filmdiva!“ hatte sie ihrem Mann erklärt. „Du weisst, ich liebe so etwas Auffallendes nicht!“
„Aber ich!“ war Merediths kurze Antwort gewesen. „Ich will, dass man deinen Wagen kennt. Du hast gar keinen Sinn dafür, dass man nach aussen hin auftreten muss.“
Nie im Leben würde Joachim dies ganz leise, unsäglich hochmütige Lachen Beate Merediths vergessen.
„Nein! Dafür habe ich vielleicht keinen Sinn!“ hatte sie gesagt, sich umgedreht und eilig den Verkaufsraum verlassen.
Auf Merediths Gesicht erschien