Michael Endes Philosophie. Alexander Oberleitner

Michael Endes Philosophie - Alexander Oberleitner


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und damit letztlich auch seine Lebenswelt zum Positiven zu verändern. Warum dies in seinem Falle, im Gegensatz zu jenen kläglich Gescheiterten in der Alten Kaiser Stadt, deren Schaffenskraft sinnlos vergeudet wurde, auch tatsächlich gelingt, ist wohl die zentrale Frage, welche die vorliegende Arbeit an Die unendliche Geschichte zu stellen haben wird.

      Wir sehen, daß Die unendliche Geschichte insofern als thematisches Gegenstück zu Momo gelten kann, als sie die Bedingungen der Möglichkeit eines kreativen, sinnerfüllten Menschseins auslotet, während der Märchenroman in erster Linie jene Strukturen zum Thema hat, die ein solches verhindern. Damit hätten wir, wenn die oben geäußerte These zutrifft, beide Seiten von Endes Grundthematik vor uns – und zwar in exemplarischer Weise. Eine philosophische Betrachtung anderer Werke Endes muß deshalb natürlich nicht etwa fruchtlos verlaufen; die Konzentration der vorliegenden Untersuchung auf seine beiden zentralen Romane scheint aber in jedem Falle geboten. Ich möchte hierbei die beiden nächsten (und zentralen) Teile dieser Arbeit primär der Darstellung des Endeschen Denkens im Spiegel von Momo und Die unendliche Geschichte widmen, bevor der vierte Teil die Untersuchung mit einer »kritischen« Rückschau abschließt.

       5.Ergebnisse

      Eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse dieses Kapitels (C) soll dieses abschließen. Es sind dies gleichzeitig Arbeitshypothesen für den weiteren Fortgang der Untersuchung.

      imageEine philosophische Interpretation poetischer Texte ist möglich, vorausgesetzt, daß die prinzipielle Andersartigkeit poetischer gegenüber logisch-begrifflicher Sprache respektiert wird.

      imageDa jene These, die Endes künstlerisches Schaffen als einen Versuch zur »Überwindung des abstrakt-begrifflichen Denkens« deutet (Kowatsch122), nicht zu halten ist, gibt es keinen Grund, sein Werk von dieser Möglichkeit auszunehmen.

      imageEndes Werk weist in erster Linie durch seinen reflexiven Charakter (der es etwa von den Werken Tolkiens unterscheidet) auf das eigene philosophische Denken des Autors hin. Diese Reflexivität fordert nicht zuletzt auch den Leser zu weiterführender Reflexion heraus.

      imageDas Grundthema von Endes Kunst dürften die Bedingungen der (Un-)Möglichkeit von Kunst überhaupt sein. Sein philosophisches Denken ist also, wenn dies zutrifft, seinem Wesen nach Kunsttheorie – freilich im weiteren Sinne. Da nämlich für Ende das Künstlerische (Schöpferische) im Menschen dessen ureigenes Wesen ausmacht, hätten wir es mit einer Reflexion über das Menschsein überhaupt zu tun.

      imageEndes philosophisches Denken schließt, soweit wir bis jetzt sehen können, eine starke ethische Komponente mit ein, insofern nämlich, als die Frage nach den gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen, welche schöpferisches Menschsein ermöglichen, einer Aufforderung an den einzelnen gleichkommt, diese Bedingungen real entstehen zu lassen.

      imageKonkret versucht Ende vor allem in Momo jene Strukturen aufzuzeigen, welche das Schöpferische im Menschen zu ersticken drohen und die er selbst als Ausdrucksformen des Kapitalismus verstand – also in erster Linie die Bedingungen der Verhinderung von Kunst.

      imageIn der Unendlichen Geschichte hingegen rückt die menschliche Schaffenskraft selbst in den Blick, welche den einzelnen ermächtigt, jenen Strukturen auch und vor allem in sich selbst erfolgreich zu begegnen und so zu einem sinnvollen, d. h. kreativen Menschsein zu gelangen. Indem gezeigt wird, wie dies konkret gelingen kann, werden so letztlich die Bedingungen der positiven Möglichkeit von Kunst zum Thema.

TEIL II »MOMO« ODER DIE KÄLTE DES KAPITALISMUS

       A.Der Weg zum Nirgend-Haus

      Wenn man davon ausgeht, daß Literatur auch eine gesellschaftskritische, politische Aufgabe hat, so kenne ich eigentlich kein Buch, dessen Gesellschaftskritik so tief ansetzt und, wenn man so will, so systemgefährdend ist wie Momo. – Erhard Eppler –

      Beginnen wir mit einer ganz naiven Frage. Worum geht es in Momo? »Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte« – so untertitelte Ende selbst sein Werk. Was liegt näher als die Annahme, im Zentrum des Romans stehe der Begriff der Zeit? So wurde Momo in der Tat interpretiert – zuletzt etwa von Gernot Böhme, dem wir eine der raren philosophischen Annäherungen an Endes Werk verdanken.123 Indes läuft eine solche Lesart Gefahr, den Märchenroman auf eine belehrende Fabel über ein scheinbar abstraktes Thema zu reduzieren, was den Intentionen des Autors wohl kaum gerecht wird. Als gesellschaftskritisches Werk, das »etwas bewirken und verändern [will]« (Hocke/Neumahr),124 warnt Momo vor ausgesprochen realen Gefahren – wie ja auch der Untertitel, genau gelesen, nicht etwa von »der Zeit« als Abstraktum, sondern vom konkreten Verlust von Zeit spricht. In Momo geht in der Tat Dramatisches vor: Unbedarfte Opfer werden auf vampirische Weise ihres Lebens beraubt; eine solidarische Gemeinschaft zerfällt in vereinzelte, verbitterte Individuen; blühende Städte werden zu »endlosen Reihen« (MO 73) seelenloser Wohnsilos entstellt; ja, das Überleben der gesamten Menschheit hängt an einem seidenen Faden. Ein beklemmender Alptraum? Eine apokalyptische Vision? Nein, so versichert uns der Autor, sondern schlicht und einfach – ein »Bild unserer Welt«: ihr »wahres Gesicht«.125 Wie wir sehen, trifft Erhard Eppler ins Schwarze, wenn er Momo als zutiefst »systemgefährdend« interpretiert. Dieses System aber läßt sich – zumal für Michael Ende – ganz konkret benennen. Wenn er im selben Gespräch eindringlich vor den »Krebsgeschwüren« des Kapitalismus warnt,126 so bringt er eine Sorge zum Ausdruck, die nicht nur sein Denken, sondern ohne Zweifel auch sein Schaffen in hohem Maße prägt. Auf welches Werk träfe dies mehr zu als auf Momo? Was ist dieses »Bild unserer Welt«, mit dem uns Ende hier konfrontiert, wenn nicht das einer kapitalistischen Gesellschaft am Rande des Abgrunds? Es wird zu zeigen sein, daß dieser nicht etwa bloß allgemein zivilisations-, sondern explizit kapitalismuskritische Kontext das Werk bis in die feinsten Verästelungen seiner Struktur durchzieht. Werden nun einzelne Elemente – und seien sie so zentral wie der Begriff der Zeit – aus diesem Kontext gelöst, so zerfällt der Märchenroman unter den Händen des Interpreten nur allzuleicht in glänzende Einzelteile. Fragestellungen, welche die systemkritische Grundtendenz des Werkes berücksichtigen, wären hingegen etwa folgende: Worin wurzelt für Ende das Phänomen des Kapitalismus? Welcherart sind die Strukturen der kapitalistischen Ideologie, wie sie sich in Momo zeigt? Was bezweckt sie – und was bewirkt sie praktisch? Was stellt Ende ihr entgegen? Und schließlich: Warum ist gerade der Begriff der Zeit hierbei derart bedeutsam? Man sieht: Wir werden bis zu Meister Horas Weltuhr einen weiten Weg zu gehen haben.

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