Wer die Leidenshaft flieht. Barbara Cartland

Wer die Leidenshaft flieht - Barbara Cartland


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Sie verstehen.«

      »Tatsächlich?«

      »Ja. Ich habe nun das Recht, mich Comte de Sardou zu nennen, aber wir von der jüngeren Generation machen uns ja nichts aus solchen Nebensächlichkeiten. Ich ziehe es vor, Monsieur genannt zu werden. Ich bin Demokrat wie Sie sicher auch, Madame?«

      »Natürlich.«

      »Ich bin entzückt, das zu hören. Ich sehe schon, wir haben vieles gemeinsam. Haben Sie das Testament von Madame la Comtesse schon gesehen?«

      Diese Frage traf Fleur wie ein Pfeil. Sie ließ sich mit ihrer Antwort Zeit, ordnete ein paar kleine Schnupfdosen aus Porzellan, die auf einem Tischchen standen, und es gefiel ihr, daß sie ihren Inquisitor zappeln lassen konnte. Sie wußte, daß Madame Sardous Vermächtnis ihn am meisten interessierte.

      »Nein, ich weiß nichts davon«, antwortete sie schließlich. »Wenn sie ein Testament gemacht hat, dann wird es beim Notar liegen.«

      »Natürlich.«

      Sie hörte, daß Monsieur Pierre erleichtert aufatmete. Er ging ein paar Schritte zur anderen Seite des Zimmers, kam dann zurück.

      »Darf ich rauchen, Madame?«

      »Natürlich - bitte. Es tut mir leid, daß ich vergaß, es Ihnen vorzuschlagen.«

      »Das kommt wahrscheinlich daher, daß Sie lange Zeit in einem männerlosen Haushalt gelebt haben.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Waren Sie hier, als Lucien fiel?«

      »Ja, ich war hier.«

      »Wo wurden Sie getraut?«

      Fleur fing an zu zittern. Das war die Frage, vor der sie sich gefürchtet hatte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er alles herausgefunden hatte.

      »In Paris.«

      »In Notre Dame?«

      »Nein, in Madeleine.«

      Sie wußte nicht genau, warum sie ihm widersprach, vermutlich machte es ihr einfach Spaß.

      »Das ist allerdings merkwürdig! Alle Sardous haben in Notre Dame geheiratet.«

      »Lucien wollte eine Ausnahme machen.«

      »Verzeihen Sie mir, Madame, aber wie lautet Ihr Mädchenname?«

      Fleur lächelte. Jetzt befand sie sich wieder auf sicherem Boden und mußte nicht mehr lügen. Sie konnte den Namen ihrer Großmutter angeben - den Namen einer großen Familie.

      »Fleur de Malmont.«

      »Aber natürlich - ich kenne die Familie.«

      Jetzt lag so etwas wie Respekt in seiner Stimme, aber Fleur wußte, daß ihn diese Neuigkeit ganz und gar nicht erfreute. Er war noch immer mißtrauisch, möglicherweise war er jetzt sogar noch argwöhnischer als zuvor.

      Zu spät begriff Fleur, daß die einzig mögliche Erklärung für eine heimliche Hochzeit darin gelegen hätte, daß Lucien ein Mädchen von zweifelhafter Herkunft, dessen Familie nicht akzeptiert worden wäre, zur Frau genommen hatte.

      Jetzt konnte sie ihre Worte nicht mehr ungesagt machen und nichts weiter tun, als auf die nächste Frage zu warten. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als die Tür geöffnet wurde. Für einen Augenblick zumindest war sie gerettet.

      Marie brachte den Kaffee, oder vielmehr den scheußlichen Ersatz, mit dem sie sich seit über einem Jahr begnügen mußten.

      »Kaffee, M’sieur?«

      »Danke. Ich werde mich in ein paar Minuten selbst bedienen.«

      Fleur bemerkte, wie er bei dem Geruch die Nase rümpfte. Zweifellos hatte Monsieur Pierre die Möglichkeit, sich durch Beziehungen wohlschmeckendere Getränke zu besorgen als seine weniger glücklichen Landsleute.

      Marie wandte sich um, um das Zimmer zu verlassen. Als sie die Tür erreichte, wandte Monsieur Pierre sich in scharfem Ton an sie.

      »Ich möchte eine Nachricht ins Dorf schicken. Gibt es jemanden, der sie überbringen kann?«

      »Mais non, M’sieur. Hier im Haus leben nur Madame und ich selbst.«

      »Aber das ist ja lächerlich! Es gibt doch bestimmt einen Gärtner oder einen Knecht?«

      »Niemand, M’sieur, dem wir Aufträge erteilen können. Vor dem Krieg gab es viele, die froh waren, im Château dienen zu können. Jetzt dienen sie unseren Eroberern.«

      Monsieur Pierre stieß einen Ausruf der Verärgerung aus.

      »Dann muß ich selbst gehen. Ich muß mit dem Priester und dem Arzt sprechen ...«

      Er brach ab.

      Und dem Notar, fügte Fleur in Gedanken dazu.

      »Ja, M’sieur.«

      Marie blieb geduldig wartend stehen, ohne ihm ihre Hilfe anzubieten.

      »Du kannst gehen.«

      »Danke, M’sieur.«

      »Sie sagt vermutlich die Wahrheit«, wandte er sich an Fleur. »Es gibt niemanden, den ich ins Dorf schicken kann. Gibt es eine andere Möglichkeit, diese Leute hierher zu bestellen?«

      »Ich fürchte nicht. Und wir haben auch kein Fahrzeug.«

      »Natürlich. Der Wagen ...?«

      »Den haben die Deutschen schon vor über einem Jahr geholt.«

      »Ja natürlich. Hat man die Comtesse entschädigt?«

      »Ich habe keine Ahnung.«

      Fleur wußte sehr wohl, daß Madame keine Entschädigung für Luciens Auto erhalten hatte. Man hatte angedeutet, daß sie eine Quittung erhalten würde, die ihr später eine Entschädigung einbringen könnte, wenn sie einen Antrag stellen würde. Aber die Comtesse hatte nichts unternommen.

      Fleur hatte den Entschluß gefaßt, nichts zu unternehmen, was Pierre de Sardou einen Vorteil verschafft hätte, und sie wollte unter allen Umständen verhindern, daß er von dem profitierte, was Lucien zugestanden hätte.

      »Nun, dann muß ich wohl selbst gehen - der Prophet zum Berg!« Er lachte gezwungen. »Au revoir, Madame, ich bleibe nicht lange. Ich hoffe, wir essen zusammen zu Abend.«

      »Um welche Zeit würde es Ihnen passen, Monsieur?«

      »Wäre sieben Uhr recht?«

      »Ausgezeichnet.«

      »Gut. Dann also bis später, Madame.«

      Er warf ihr einen Blick zu, der galant wirken sollte. Dann stolzierte er aus dem Zimmer wie jemand, der sich bewußt ist, daß alle Frauen ihn bewundernswert finden.

      Fleur rührte sich nicht. Sie wartete, bis sie hörte, daß die Haustür geschlossen wurde und die Schritte, die auf dem Kies knirschten, leiser und leiser wurden. Dann herrschte nur noch Stille. Sie sank aufs Sofa und preßte die Hände an die schmerzende Stirn. Langsam fühlte sie, wie ihre Spannung nachließ.

      »Ich muß nachdenken«, sagte sie laut.

      Was sollte sie tun? Wie konnte sie dieser Schlinge entkommen, die sich langsam um sie schloß? Warum hatte Marie behauptet, sie wäre Luciens Frau? Es war Wahnsinn - und doch, was hätte sie sonst sagen können?

      Möglicherweise hätte er ihre Papiere sehen wollen, und jede Ausflucht, jede andere Lüge hätte ihn vielleicht noch mißtrauischer gemacht, als er ohnehin schon war.

      Wie konnte sie nur so dumm sein, warum hatte sie diese Entwicklung nicht vorausgesehen? fragte sie sich. Warum war sie nicht schon längst fortgegangen? Aber wie hätte sie die todkranke Comtesse im Stich lassen können?

      Sie hatte die alte Dame geliebt und dennoch gefürchtet, weil sie sie nicht verstand. Sie lebte in einer anderen Welt und gehörte noch dazu einer anderen Nationalität an. Aber für Fleur war sie die letzte Verbindung zu Lucien gewesen, und Fleur war allein schon darüber


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