Peter Lebegerns große Reise. Max Geißler

Peter Lebegerns große Reise - Max Geißler


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— aber: dieser Weise, dieser begnadete Einsame, dieser Gütigste unter den Menschen … wie konnte Ferdinand Wurzler eine so verbrecherische Eingebung gehabt haben und dennoch so fröhlichen Gemütes geblieben sein? Selbst wenn ihm Valentine dies grosse Opfer angetragen hatte in leichtsinniger dankbarer Kindesliebe und in holdseliger Unbewusstheit vor den Wundern des Lebens … Ferdinand Wurzler kannte diese Wunder! Er hätte ihr also nicht davon geschwiegen; denn Ferdinand Wurzler hatte Herz und Geist hell gemacht in diesem Mädchen — es war eine Herrlichkeit!

      Die faltete sich in den letzten Sonnentagen des Herbstes langsam und absichtslos auf. Aber es gehörte wohl ein Mann wie Peter Lebegern dazu, die Seltenheit dieser jungen Menschenblüte zu erkennen. Valentine war nun zwanzig Jahre — schön hatte sie ihres Wissens noch keiner gefunden. Und ganz und gar nicht eingefallen war es einem jungen Mann, in den Schätzen ihres Herzens und Geistes eine begehrenswerte Mitgift zu finden … Mit Valentinen begann ein neuer Abschnitt im Buche von Peters Leben. Über diesem Abschnitt stand in grossen Lettern ‚Das Weib‘. Es war ein Kapitel — gewiss nicht ohne Lockungen, nicht unnachdenklich, nicht ohne Ausblicke und Hoffnungen für einen Mann, der auszog, sein Reich zu suchen, aber von Anfang an ein Kapitel der Enttäuschungen. Über Statistenrollen schienen Frauen für ihn nicht hinauszukommen.

      Deshalb ist von Peter Lebegerns Verhältnis zum Weibe noch nicht die Rede gewesen. Natürlich hatte er seine Erlebnisse. Ja, diese Erlebnisse drängten sich schon an ihn heran, als er im Begriffe war, in jener Dachstube zu hausen. Als Journalist artete das Studium dieses Kapitels vorübergehend aus zu einer zeit- und ruheraubenden Nebenbeschäftigung. Aber zuletzt blieb von all dem Feuer nichts als ein Häuflein Asche.

      Da er von seiner Reise aus dem Lande der Mitternachtsonne zurückkehrte, waren jene Seiten im Buche seines Lebens sozusagen unbeschrieben. Gott ja, er erinnerte sich einer harmlosen Schülerliebe; und dann hatte er als Schulmeister von Bogenbach am Rotwasser eine junge Bäuerin schön gefunden, die das Weib eines anderen war. Dies alles war sein Geheimnis geblieben und hatte sich schliesslich aus ihm hinausverloren wie ein Traum, wenn die jauchzende Sonne sich zum Morgenfenster hereinstürzt über einen Verschlafenen. Aber in der eleganten Stadt und als Peter Lebegern tagtäglich der Welt etwas Gescheites zu sagen hatte, füllten sich die leeren Seiten rasch. Ja, es war so, dass Peter der Lebegern eine Zeitlang aufs Geratewohl hinliebte; denn es ging ein Leuchten von der weiblichen Jugend durch die Rundbogen seiner Brillengläser — ein Leuchten, nicht zu sagen.

      Solch ein Dasein gefiel dem Peter ungemein.

      Er verliebte sich würdig und unwürdig und durchlebte diesen Abschnitt, an dem sehr viele nicht klug werden ihr Tag — er durchlebte diesen Abschnitt in einem halben Jahre.

      Das hatte seine Ursache nicht etwa darin, dass Peter ein Pechvogel gewesen wäre, nicht darin, dass er zwischen Farben und Formen in heiterem Wechsel dahingeschwankt wäre — o nein, er betrieb auch diese Sache — bis auf ein paar flinke Gelegenheiten — mit Gewissenhaftigkeit. Jedennoch — im zweiten Jahre seines Aufenthalts in der Stadt war dies Kapitel ein Kapitel argen Missvergnügens geworden. Seine Zeit, seine Wünsche, seine Manneswürde litten nicht, dass er es um ein paar ermüdende Wiederholungen ergänzte.

      Als Peter Lebegern in der scharfgebügelten Strandhose zu Berge fuhr, hatte er das Heiraten aufgegeben. Und doch sagte ihm sein Dichterherz: ‚Peter Lebegern, wenn du ein Weib fändest, wie es in deinen Träumen ist, du könntest sieben Jahre in Demut um sie dienen!‘

      Einmal, als der Regen böig um seine Gaisenhütte trieb und ein ärgerlicher Gipfelwind darüber pfiff, hatte er sich in die Moosdecke gehüllt und sah dem Feuer auf der Herdstatt zu. Er setzte sich in derartigen Stunden mit mancherlei Fragen auseinander. Das war so wohltätig, dass er beschloss, sich auf dem Berg einschneien zu lassen … Da schlug ihm der flüchtige Gaisbub die Pforte zur Weisheit vor der Nase zu. Sehr ärgerlich war das. Fast so ärgerlich, wie Peter Lebegerns Gedanken über die Frauen.

      Die Gärten seiner Seele, in denen die Liebe einmal feuerrot geblüht hatte oder sanft und berückend wie der Nachtschatten, der die tiefen Dämmerungen der Wälder erleuchtet — jene Gärten seiner Seele waren nun verödet. Die Mädchen seiner Wahl hatten nichts, das dem Einsatze Peters in diesem freundlichernsten Spiele des Lebens entsprach. Sie hingen an Kleidern und Äusserlichkeiten; wenn man ihre Werte gegen die Sonne prüfte, waren sie wie ihre Hüte: ein Drahtgestell ein bisschen Flitter und ein bisschen Nichts. Sie passten sich mit verirrter Absichtlichkeit den Forderungen der Zeit und den Erwartungen der Männer an. Ja, so war es mit ihnen. Und die Endsummen? Glücklose Ehen. Glücklos wie das Leben der Menschen aus dem Durchschnitt.

      Freilich hatte Peter Lebegern das Spiel anfänglich auch wohl ein wenig zu ernst betrieben.

      So fragte er die schöne dunkeläugige Philine gleich bei der Begegnung in der Dämmerung eines berückenden Sommerabends: „Was halten Sie eigentlich von dem ägyptischen Saal im Pantheon, Fräulein Philine?“ Denn er gedachte von der Kunst der alten Ägypter in ihrer Monumentalität und Bedeutung für die Gegenwart geschickt hinüberzuleiten zu dem Plan einer Hochzeitsreise in das Land der Pharaonen. Jedennoch — Philine, die sehr schön angezogen war und beinahe so hübsch aussah wie sie wollte — selbige Philine war zwar ein gewandtes und wachsinniges Frauenzimmer, aber an den ägyptischen Saal und selbst an das Pantheon, welches als eine der berühmtesten Sammlungen des Landes galt, hatte sie sehr wenige Stunden ihres vergnügten Daseins vergeudet. Also erklärte sie in gefährlicher Unbekümmertheit: von derlei Dingen halte sie gar nichts, weil sie sich einen Nutzen für das praktische Leben nicht herausrechnen könne …

      Nun — es fiel ein Reif in jener Sommernacht. Sehr erfroren langte Peter Lebegern daheim an. Es war ein niederträchtiges Gefühl. Zu anderen Malen — als aus der Philine eine Margaretha oder eine Elisabeth, ja sogar eine Karoline geworden — war es ihm wie einem, der in der Hitze der Hundstage in folgenschwerer Zerstreuung den Winteranzug angelegt hat …

      Peter Lebegern fühlte sich in der braunen Strandhose und Bergeinsamkeit wohler. Ja. Was sich auch daraus ersehen lässt, dass er mit dem Frohgefühl des Genesenen an jene Zeit zurückdachte.

      Nicht in mehr oder weniger gefälligen Einzelerscheinungen zogen die Freundinnen der anderen Zeit durch seine Erinnerung. Nein. Er ging der Sache auf den Grund. Und ritterlich, wie er war, gab er nicht so sehr der weiblichen Jugend, sondern dem materialistisch eingestellten Zeitalter die Schuld an der erschreckenden Veräusserlichung. Je werktätiger er in dies Zeitalter hineingeraten war, desto gewaltiger riss die Kluft auf, die ihn davon trennte.

      Solchermassen war die Erkenntnis aus der Gaisbubenhütte.

      Erkenntnisse verleihen innere Festigkeit. Es erklärt sich daraus sein Verhalten gegen Valentine Wurzler, die ihre Tage nicht darauf anlegte, zu gefallen. Ihre Einfachheit blendete nicht. Und Peter Lebegern hatte noch nichts von ihr gefordert, weder dass sie nett zu ihm sei, noch einen Aufwand an Schönheit und Klugheit mache.

      So lebten sie ein paar sorglose Reisetage nebeneinander hin. Auf schmalen Wandersteigen blieb sie oftmals ein Stück zurück. Sie fand in angelegentlichen Gesprächen der Männer keine Vernachlässigung; denn der kleine Doktor liess sie oft tagelang allein im Hause, und auf Landfahrten pflegte er Wegstunden weit stillschweigender Meditationen. Da trollte Valentine nachdenklich und herzfroh hinterdrein.

      Nun hatte der Doktor von ihr gesagt: sie sei das einzige Wunder, das er getan habe.

      Er pflegte seine Worte zu wägen. Und wahrlich: die durchaus einfältige Art Valentines schien ohnegleichen. Es war gar nichts verbügelt an ihr; weder durch das äusserlich gerichtete Bestreben der Zeit, noch durch eine verrückt gewordene Erziehung.

      Ihre Stimme hatte eine dunkle Klangfarbe und war warm wie veilchenfarbener Samt. Peter Lebegern horchte auf, wenn sie sprach. Aber sie sprach selten.

      Peter dachte: es ist nun doch so — ihr Herz ist fest in den Händen eines Bräutigams.

      Hm. Dann war das eine merkwürdig verschwiegene Liebe! — Und noch abseitiger hielt er sich. Der Sinn stand ihm nicht nach Abenteuern mit jungen Mädchen und es reizte ihn nicht, zu erproben, ob er von zwei Liebhabern der stärkere sei.

      Aber natürlich begegneten sie einander auf diesem Wege doch. Daran war


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