Peter Lebegerns große Reise. Max Geißler

Peter Lebegerns große Reise - Max Geißler


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um sie wob, erlag er der Versuchung: er nestelte die Druckbogen aus der Rocktasche und nahm im Wandern Schluck um Schluck von dem Quell des Lebens, der für ihn in seinem Werke sprang.

      Peter und Valentine schlenderten voran. Zuerst lächerte sie der beglückte Eifer des Alten. Weil sie ihn aber nicht aufmerksam machen wollten, dass er zurückbleibe, und sich hüteten, ihm die Freude an dem längst Erwarteten zu vergällen dadurch, dass sie Fragen und Worte nach ihm schossen wie kleine Pfeile, die ihn aus seiner Versunkenheit aufschrecken konnten, so schlugen sie unversehens einen Hakenpfad seitlich in den Wald. Sie liessen den Doktor seine Strasse fahren und betraten diese nach etlicher Zeit so weit hinter ihm wieder, dass er von ihrer List nichts merkte. Sie aber hatten ihn fortan im Auge, konnten sorglos plaudern und mussten dennoch gewahr werden, wenn er in seiner Versunkenheit etwa auf einen falschen Weg geriet.

      Auf dieser Wanderung erkannte Peter Lebegern, welch ein ausgezeichnetes Mädchen Valentine war. Sie war adligen Herzens und von grosser Klugheit. Wenn sie auch keine weiten Reisen unternommen hatte, so besass sie wie Peter doch eine Vorstellungskraft, die ihr die unmittelbare Anschauung ersetzte. Und weil sie ihre Jahre nicht vertändelt hatte mit Fragen des Anzugs, nichtsnutzigen Vergnügungen und jenen Dingen, die dazu da sind, zu gefallen und sich eine Liebe zu sichern, so besass sie auch ein Wissen, das in manchen Fällen zur Gelehrsamkeit wurde. Auch war Valentine von artiger Schönheit. Die entfaltete sich je sichtbarer, je tiefer ihre Teilnahme für den Gegenstand eines Gesprächs erweckt wurde. Dann ging ein Leuchten von innen über ihr Gesicht — Peter Lebegern dachte, es könne davor ein gefrorenes Gemüt zu überraschender Blüte gelangen.

      Das gefrorene Gemüt suchte er in sich selbst. Länger als ein Jahr war sein Herz ohne Regung jungen Mädchen gegenüber geblieben. Nun wurde Valentine für ihn zu einem Erlebnis. Er empfand ihre Nähe wie den Frühling, wenn er den Winter über in der Almhütte verbracht hätte.

      So wanderten sie in durchsonnter Zweisamkeit über die Wälder hinaus zu den herbstklaren. Vorbergen. Da sie am Morgen ein Ziel vereinbart hatten, trafen sie mit dem Doktor an dem Tisch eines hochgelegenen Gasthauses zusammen. Eine Linde breitete ihre Äste über den Tisch im Freien und warf den goldenen Regen ihres Laubes über sie. Das Hochgebirg lag gross und leuchtend ringsum.

      „Wir sind zu früh hierhergekommen,“ sagte Peter Lebegern und sah den Doktor dabei mit eindeutigem Lächeln an. Es fiel ihm ein: er wollte mit Valentinen noch eine Weile da in der Sonne über die Matten fliegen. Er war von übermütiger Fröhlichkeit. Aber es war ihm auch anzumerken, dass es nicht nur die Rücksicht auf den Doktor und seine Korrekturen sei, die ihn trieb. Er sagte, er wolle diesen letzten Reisetag austrinken bis auf die Neige wie einen Becher mit goldenem Wein. Dabei deutete er auf die ragenden Gipfel, die sie nun von allen Seiten einschlossen. In der Tat: ein Riesenpokal aus getriebenem Silber.

      Dem Doktor kam der Vorschlag nicht ungelegen. Bei einem Glase Rotwein nahm er die Lesung der Bogen alsbald wieder auf. Peter Lebegern und Valentine spielten sich indes die Matten empor, auf denen nun die Kühe gingen, weil die Sonne den Reif des Morgens mit einer Raschheit fortgenommen hatte wie die Hüterin des Hauses das Laken vom Tisch.

      Auf einmal geschah mit Peter Lebegern eine grosse Verwandlung. Mitten im Spiel ward er stumm. Er setzte sich an den sonnigen Hang, sah dem Doktor Wurzler noch eine schweigende Minute zu, der tief unten als ein winziges Männlein an einem sehr kleinen Tische sass, hin und wieder ein Lindenblatt von dem Druckbogen schnippte und einmal nach dem Glase griff. Es sah sehr komisch aus. Dann begann Peter zu reden. Auch seine Stimme klang nun ganz verwandelt.

      „Komm einmal her, Valentine!“ sagte er. Sie wunderte sich über die Massen an dieser kecken Rede und blieb auf ihrem Platze stehen als hätte sie Wurzeln bekommen. Dieser Platz war drei Schritte vom Sitze Peters entfernt. „Nein, du musst dich durchaus neben mich setzen! Es ist heute der letzte Tag, mein Mädchen. Morgen rasen wir im Schnellzug heim — es ist da nicht der richtige Ort über diese Dinge zu sprechen. Und übermorgen — wissen wir denn, was übermorgen sein wird?“

      „So reden Sie!“ sagte Valentine. Es klang gefasst.

      „Du musst nun auch du zu mir sagen,“ gebot er, „denn ich habe mich dir vorhin auf dem Wege durch die Wälder versprochen für dieses Leben, mein gutes, kluges Mädchen. Ich will dir gehören mit all meiner Treue und mit meinem Willen, etwas Grosses und Gutes fertigzubringen und ein Glück für uns zu schmieden, so freundlich Menschenglück nur immer sein kann“…

      „Warum hast du denn diesen Entschluss gefasst, Peter Lebegern?“ fragte Valentine.

      „Weil ich erkannt habe: du bist von allen Mädchen, die mir begegneten, die vollkommenste. Du bist eine Einzige, Valentine. Ich weiss, ich würde nie einen Ersatz für dich finden, wenn du dich mir versagtest“…

      „Warum soll ich mich dir denn versagen?“ fragte sie.

      Da stand er auf und riss sie an sein Herz. „Soll ich dich nun nicht hinübertragen zu deinem, zu unserm Vater, du Geliebteste?“ Sie blickten die Steilheit der Matte hinab, auf der sie sich beschwingt emporgespielt hatten. Es war lieblich und schön. „Siehst du, mein Mädchen — ich hatte keine Zeit, das Verlöbnis anders zu betreiben oder auf eine bequemere Stunde zu verschieben“…

      „Du hast es tapfer angegriffen, Peter Lebegern,“ sagte sie — „ich wünsche dir, dass du alles mit so gutem Gelingen erfiegst, wonach dir der Wille steht.“

      Da deutete er auf das Zackenrund der hochgeschwungenen Gipfel: „Ich weiss nicht, wohin mich mein Weg und Wünschen führt. Aber mich deucht: dies Hochgebirg sei ein Abbild meines Lebens in den nächsten Jahren. Was ich suche … mein teures Mädchen, was ich suche, das ist in dieser Zeit und bei den Menschen wohl nicht zu finden. Wäre ich sonst so elend an beiden geworden? Und wäre die Almhütte für mich anders ein so namenloses Glück gewesen? Mich deucht, ich muss hinüber über all diese blinkenden Berge, mein Mädchen! Aber wo ist ein Pfad? Und was ist drüben?“

      Diese Frage stellte sich mit rätselvollen Augen hinter einen Abschnitt in Peter Lebegerns Dasein, der in den letzten vier Wochen ihm Erfüllungen geschenkt hatte, wie sie gemeinhin nur durch Träume verliehen werden.

      Nach der Heimkehr in die Stadt meldete er sich pflichtgemäss bei Pius Heidvogel in der Redaktion der ‚Neuesten Nachrichten‘. Sein Urlaub war zu Ende. — Dass man ihn mittlerweile begraben hatte, war nicht seine Schuld. Er lehnte das Anerbieten, dennoch in dem Verbande zu bleiben, mit fröhlicher Genugtuung ab.

      Nun war er frei, frei!

      Eine Beseligung erfüllte ihn wie damals, als er die Bergsiedelei bezog. Sein Dasein war wieder ein Fest geworden und die Festordnung: sein Name!

      „Mensch, Peter Lebegern, dein Schicksal bist du!“ Für ihn lag alles Glück der Erde in diesem Spruche. Seit dem Beginn seines Einsiedlertums auf der Alm wusste er das besser als je. Valentine glaubte an ihn. Und der kleine Doktor? Nun, auch der war sich längst im klaren, wie es mit Peter Lebegern stand. An das Land, das Gott ihm zeigen werde, ahnte er sich mit der ganzen Heiterkeit seines Gemüts heran.

      Am andern Tage, nachdem alles, was ihm gehörte, in die Wohnung des Doktors gebracht worden war, lief Peter hinaus ins Leben. Etwa so, wie er in die Gaisenhütte gelaufen war — nur der kalten Jahreszeit entsprechend gekleidet.

      Er war von ungeheurer Beschwingtheit des Gemüts. Was sich von Valentinen nicht so ohne weiteres sagen lässt. Doch war sie nicht von wehleidiger Art. Auf ihre Fragen nach Peters Absichten hatte er ihr tausend Wege gewiesen. An jedem stand ein Wunsch und ein Wille. Zuletzt fragte sie nicht mehr.

      „Ich war als Schulmeister in Bogenbach nahe daran, das Leben zu erlernen,“ sagte er, „dann aber hab ich mich von einem aus dem Geleise werfen lassen. Wie konnte ich Pius den Heidvogel solch eine Macht über mich gewinnen lassen?“ Fortan war er auf der Hut vor sich selber.

      An einem Novembertage stieg er in Thüringen, unfern den Ufern der Saale, auf eine Höhe. Es lugten von da oben gespensterhaft die Schattenrisse einer alten Burg durch die Nebel. Ruinenhaft. Ja. Aber der sehr schöne Klang einer Glocke, die da oben geläutet wurde — wie kam der in diesen Traum der Vergangenheit? Es waren die letzten Tage der ziehenden Vögel. In der versponnenen Welt roch


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