Kittys Salon: Legenden, Fakten, Fiktion. Urs Brunner
ERGEBNISSE DER RECHERCHEN
Stadtplan von Berlin zur Kriegszeit
Kurzporträts der NS-Größen im Umfeld des „Salon Kitty“
Dokumente
Kitty Schmidt, Aufnahme wahrscheinlich aus den 1930er-Jahren.
EINLEITUNG
Der legendäre „Salon Kitty“ in Berlin wird von vielen Autoren und Filmschaffenden als „das prominenteste Etablissement käuflicher Liebe im Dritten Reich“1, als „Edel-Puff“2 oder als „Spionage-Treff“3 bezeichnet. Kein anderes Bordell soll während und nach dem Zweiten Weltkrieg für so viel Aufsehen gesorgt haben wie der „Salon Kitty“. Zahlreiche Legenden ranken sich bis heute sowohl um dieses geheimnisumwitterte Nazibordell in der Giesebrechtstraße 11 in Berlin-Charlottenburg als auch um dessen Besitzerin Kitty Schmidt.
Glaubt man etwa dem Schriftsteller Peter Norden4, der in den 1970er-Jahren seinen Tatsachenroman5 „Salon Kitty“6 veröffentlichte, so soll die weltgewandte Dame dieses hochklassigen Freudenhauses zu Kriegsbeginn von Hitlers Schergen erpresst worden sein, mit Staat und Partei in geheimer Sache zu kooperieren. Sollte sie dazu nicht gewillt sein, würde man sie in ein Konzentrationslager stecken, so lautete angeblich die Drohung. Im Auftrag von Reinhard Heydrich, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, sei das Edelbordell damals in ein Spionagezentrum umfunktioniert worden. Es sei die Absicht der Nazis gewesen, dort ausländische Diplomaten, aber auch Funktionäre aus den eigenen Reihen durch eigens dafür ausgebildete Prostituierte à la Mata Hari auszuhorchen, wozu im Keller extra eine Abhörzentrale eingerichtet worden sein soll. Die Intimgespräche in den Liebesgrotten seien über Wanzen von SS-Offizieren im aufwendig verkabelten Keller auf Wachsplatten aufgezeichnet worden, so Nordens Behauptungen.
Über unsere Filmfirma „Angel & Bear Productions Ltd.“ in Thailand sind wir zum ersten Mal um das Jahr 2011 bzw. 2012 herum auf dieses spannende Thema gestoßen. Mark Boot, ein in Bangkok beheimateter, befreundeter Produzent und Agent für Einkauf und Verkauf von Spielfilmen, trug sich damals mit dem Gedanken, diese Geschichte filmisch neu aufzuarbeiten. Dazu musste zuerst abgeklärt werden, welche Rechte zu erwerben waren, und Boot suchte einen Geschäftspartner für die Entwicklung und Produktion. Marks zentrales Argument war stark: Er hatte den Verkauf der Lizenzrechte von Tinto Brass‘ Spielfilmen, darunter auch für den Soft-porno „Salon Kitty“ aus dem Jahre 1976, in seinem Portfolio, und wann immer die jeweilige Frist für die Rechte für „Salon Kitty“ in vielen Ländern Europas und in Japan ablief, wurden diese fast ausnahmslos erneuert, das heißt die Lizenzen zum Vertrieb konnten auf weitere drei bis fünf Jahre erworben werden. Tinto Brass‘ „Salon Kitty“, der von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem zweifelhaften Etikett „Kultiviertester aller Schundfilme über den Nationalsozialismus“7 versehen wurde, genoss also de facto den Status eines „Klassikers“, denn nur bei Klassikern lässt sich nach so vielen Jahren mit dem Verkauf von Vertriebsrechten noch gutes Geld verdienen und einzig solche „Evergreens“ können es sich leisten, so kurze Lizenzdauern wie drei oder fünf Jahre einzuräumen.
Hinzu kam das Faktum, dass das Berlin der Zwischenkriegszeit sowie der Zweite Weltkrieg in der Film- und TV-Welt wieder vermehrt thematisiert wurden und so etwas wie eine neue „Blütezeit“ erlebten, und zwar diesmal mit einem etwas nuancierterem Bild von den Nazis als zuvor. Nationalsozialisten hielten nicht mehr nur als permanente Parade-„Bad Guys“ für Actionstreifen oder als Perverslinge in Sexploitationfilmen her, sondern wurden neuerdings auch zu Protagonisten im Oscar-aspirierenden Weltkino und im deutschen Fernsehen. Letzteres begann eifrig Qualitätsserien zur NS-Zeit und deren Inkubationsperiode, die 20er-Jahre, zu produzieren, die sich ebenfalls global gut verkaufen ließen − denken wir hier nur an TV-Serien wie „Unsere Mütter, unsere Väter“8 (2013) oder „Babylon Berlin“9 (2017). Auch viel beachtete amerikanische Produktionen wie „Valkyrie“10 (2008) oder etwa Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“11 (2009) zählen zu den prominenten Vertretern dieses Genres.
Bei der Abklärung der Rechte zu „Salon Kitty“ stellte sich für uns sofort und vordringlichst die Frage, was an dem Stoff historisch belegt und damit öffentlich und uneingeschränkt zugänglich ist und was daran auf Sekundärquellen und Literatur beruht, wofür Rechte erworben werden müssten. Also gingen wir auf die Suche nach dem geschichtlich verbrieften „Salon Kitty“ und jenen Personen, die damals gelebt haben und in die Geschehnisse involviert waren. Doch schnell machte sich Erstaunen und Ernüchterung bei uns breit: Wirklich hieb- und stichfest belegt war zum „Salon Kitty“ nämlich so gut wie gar nichts, zumindest lautete so unser Fazit erster − eingestandenermaßen noch oberflächlicher − Recherchen. Stattdessen hörten wir – manchmal bis zum Überdruss – eine Fülle von Legenden und wilden Gerüchten, meist gepaart mit einem gehörigen Maß an abenteuerlich-lustvoller Fantasie und kommerziellem Flair. Wir konnten daher zunächst einmal der nüchternen Bilanz der Tageszeitung Die Welt nur beipflichten. In einem Feuilleton zu dem umstrittenen Roman „Endstufe“ von Thor Kunkel (2004) hatte sie auf einen ganz einfachen Nenner gebracht, was wir heute über dieses sagenumwobene Etablissement de facto wissen:
Das Bordell in der Giesebrechtstraße hat es tatsächlich gegeben: die dort beschäftigten Frauen lieferten vielleicht Berichte an die Polizei – alles andere über den „Salon Kitty“ dürfte Erfindung sein, gespeist aus einer Kombination von historischem Halbwissen, schmieriger Fantasie und Analogien zu den Methoden jüngerer Geheimdienste.12
Diesem Befund steht jedoch das oben erwähnte Buch von Peter Norden entgegen. Es ist gewissermaßen