Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger

Spitzenreiterinnen - Jovana Reisinger


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so oft mit anschauen müssen. Frauen haben die Prozedur internalisiert und erkennen frühzeitig die Zeichen. Sie wissen, was geschieht und wie eine sich zu verhalten hat in so einer Situation. Das Kramen in der Tasche, Schmuckschachtel, freudestrahlender Mensch, der die Schmuckschachtel hält, ein Kniefall und schwups: verlobt.

      Jetzt sitzt Laura in einem Café und erzählt ihrer besten Freundin Verena davon, die artig nickt und die Hand auf ihrem Knie ablegt und monoton über eine Stelle streichelt. Beide Frauen strahlen sich an.

      Was bedeutet das, fragt sich Verena, bin ich unfähig, mich an eine Person zu binden, um es auch mal schön zu haben? Sie kriegt wieder alles, was sie will. Und ich kriege nichts. Jetzt hat sie einen Mann. Unfair! Klammheimlich wird Verena von gewaltigen Gefühlen übermannt. Sie ist geübt darin, diese nicht zu zeigen. Es muss ja nicht jeder wissen, was im Inneren so los ist.

      Verena nippt an ihrem Glas, während Laura von Kleidern plaudert und schon Termine arrangiert. Verena zermartert sich hinter ihrer rosigen Fassade das Hirn. Das ist eine Niederlage. Laura gewinnt im Frauengame. So ein Debakel muss mit Fassung getragen werden. Würdevoll nimmt Verena noch einen großen Schluck und schenkt sich nach. Beide wissen in diesem Moment: Laura wird es jetzt schön haben. Noch schöner als ohnehin schon. Beide haben Tränen in den Augen.

      Verena greift nach dem Glas, will den Kloß im Hals hinunterschlucken und prustet stattdessen drauf los. Dabei spuckt sie ihrer besten Freundin ins Gesicht. Schnell lachen, einen Witz aus eigenem Scheitern machen, weil es dann erträglicher ist. Gemeinsam über das Unvermögen gackern. Wer will gerade jetzt eine traurige beste Freundin haben? Außerdem sind weinende Frauen in der Öffentlichkeit kein Augenschmaus. Welche weinende Frau sieht denn bitte schön und begehrenswert aus? Und begehrenswert wär Verena gern. Muss sie sein. Schließlich lacht sie ihrer eigenen erfüllten Zukunft nicht eben entgegen.

      »Also doch ein Happy End!«

      »Gerade noch, würde ich sagen. Schließlich wirst du dieses Jahr fünfunddreißig!«

      »Ich werde siebenunddreißig.«

      »Wir werden noch mal fünfunddreißig.«

      »Hochzeit zehn Jahre später als geplant. Mehr Prosecco?«

      »Ja. Den Schampus kann sich nur dein Mann leisten.«

      »Wie das klingt, hihi, mein Mann.«

      »Ja, gewöhn dich dran. Du hast jetzt einen Mann. Und du bist seine Frau. Da kommen jetzt alle niederen Besitzansprüche hoch! Gehörst jetzt ihm. Er gehört dir. So schön. Wo ist der überhaupt?«

      »Termin. Notfall. Irgendwas musste sofort erledigt werden. Kaum waren wir verlobt, Telefonterror. Typisch. Aber ich hab ja auch noch dich. Du rennst mir ja nicht davon.«

      »Eher nicht.«

      »Eben.«

      »Na, er wird’s schon wieder gut machen.«

      »Oh, ihm fällt bestimmt was ein.«

      »Ist er gut im Sich-entschuldigen?«

      »Bisher schon.«

      Beide kichern, und obwohl keine so genau weiß, worüber, werden sie lauter, bis die anderen Gäste verstummen und irritiert herüberschauen. Für andere Gäste haben sie allerdings keine Zeit. Laura betrachtet den Ring an ihrem Finger. Verena betrachtet den Ring an Lauras Finger und dazu ihre eigenen Hände. Beide Frauen sind gleich alt, sie gingen auf das gleiche Gymnasium, studierten in der Hauptstadt, sind zurück in die heimatliche, gemütliche, niederbayerische Kleinstadt gekommen, um dort in den Büros zu arbeiten, die ihre Eltern aufgebaut hatten. Sie hatten die gleichen Startvoraussetzungen und große Hoffnungen. Eine von ihnen hat jetzt zumindest einen Mann. So hatten sie sich das nicht vorgestellt.

      Laura fühlt sich erlöst. Laura schaut in eine neue Zukunft. In eine schöne. Eigenheim, Ehemann, Erbe.

      Verena stürzt das nächste Glas. Hilft jetzt alles nichts. Das Leben geht schließlich weiter. »Mehr Prosecco bitte. Ja, noch eine Flasche!«

      Andere Gäste schütteln die Köpfe. Ihnen fehlt das Gespür für die Besonderheit dieses Moments. Schade. Gemeinsam feiert es sich noch schöner. Sich für andere freuen können ist eine erstrebenswerte Eigenschaft.

      Laura lädt ein Foto von ihrem Ringfinger bei Instagram hoch. Die Likes prasseln darauf wie ein Unwetter.

      Verena aktualisiert ihr Tinder-Profil. Irgendeinen muss es hier doch noch für sie geben. Denn darum geht es schließlich. Einen finden, einen behalten und ihn hoffentlich überleben.

      PETRA

      Petra weiß, was jetzt kommt. Dafür braucht sie keine weibliche Intuition. Lediglich eine Uhr.

      Werktags, früher Nachmittag.

      Da stolzieren die Männer nach ihrer Mittagspause durch die große Stahltür, mitten hinein in die Galerie, an deren Empfang sie sitzt, und fordern ihre Pakete und ihre Post. Weil Petra arbeitet nicht nur in einer der angesagtesten Galerien der Stadt, sie ist auch so etwas wie die Postdame der Männer oben drüber. Quasi ihre private Zustellerin. In etwa so etwas wie eine Assistentin. Eine Regelung, die weit vor Petras Einstellung geschaffen wurde. Die wohl so lange bestehen wird, bis es entweder die Galerie oder das Designbüro im Dachboden nicht mehr geben wird. Wenn sie besonders guter Laune sind, fordern die Männer eine Privatführung – mit Augenzwinkern, versteht sich. Petra wird dafür bezahlt, freundlich zu sein. Manchmal muss sie an ihrer Attitüde arbeiten. Das fällt aber nur anderen Leuten auf. Die helfen ihr dann, ihr Benehmen zu korrigieren.

      Da sitzt sie also, mit dem letzten Rest Rohkostsalat und ihrer angebissenen Vollkornsemmel und wartet. Eine wartende Frau. Doch worauf wartet sie? Sie wartet darauf, mit unmöglichen Männern in einen unmöglichen Dialog zu treten, tagein, tagaus. Eine ewige Wiederholung, bis es irgendwem irgendwann zu öde wird. Petra wird nicht dafür bezahlt, solche Begegnungen zu hinterfragen, sie wird dafür bezahlt, solche Begegnungen stattfinden zu lassen. Und das ist hier schließlich ein Begegnungsraum. Kunst bringt die Leute zusammen.

      14 Uhr. Jetzt wird’s Zeit. Sie schlägt ihr Buch auf und ihr MacBook zu. Überlegt. Vielleicht wäre es schlauer, das Buch zuzuschlagen und das MacBook auf, um Gespräche über das Buch zu vermeiden. Ein prüfender Blick in den Innenhof. Andererseits, es spielt schon gar keine Rolle mehr, was sie anhat, was sie in der Hand hält, was sie in der Galerie zeigen, was die Welt sonst so hergibt, die Typen finden immer was. Vorkehrungen treffen. Maßnahmen im Vorhinein ergreifen, damit es nicht so schlimm wird. Das wurde ihr ebenfalls beigebracht. Was getan werden muss, damit nichts passiert. Oder: Was getan werden muss, damit möglichst wenig passiert. Dass irgendwann etwas passiert, ist schließlich Voraussetzung für das Leben als Frau. Tragisch. Aber so ist das. Frauen wissen bereits als Mädchen, dass es anstrengend wird. Schulterzuckend schaut Petra durch die großen Fenster. Zumindest ein paar Vögelchen tollen davor herum.

      »Nicht einmal ignorieren«, findet Petras Mutter. »Die spür’n halt, dass du lesbisch bist, das regt die auf. Madl, Männer sind so. Du bist so fesch, die können das nicht verkraften.« Wenn Petras Mutter so etwas sagt, stutzt sie zugleich über die Unwissenheit ihrer Tochter. »Was regen sich die jungen Frauen immer so auf?«, murmelt sie in ihrem bayerischen Dialekt und schüttelt amüsiert den Kopf. »Warum regst dich überhaupt so auf? Freu dich doch über die Aufmerksamkeit! Ist nicht das Schlechteste! So ein Flirt am Arbeitsplatz? Ich werd schließlich nicht angeflirtet. Schau, wie traurig ist das bitte!«

      Dann lachen sie beide. Den Schmerz weglachen. Die Enttäuschung. Die Zumutung. Wie oft haben Elle und Petra schon so miteinander gelacht? Es wurde zu ihrer praktischen Methode. Ein Allheilmittel. Damit lässt sich tagtäglich der nackte Mann im angrenzenden Garten weglachen, der Elle beim Gärtnern beobachtet und gleichzeitig die Hilflosigkeit der betrachteten Gärtnerin. Lachen ist die beste Medizin, sagt Elle. Und Petra weiß, das stimmt.

      14:15 Uhr. Petra sitzt wie auf heißen Kohlen. »Auf heißen Kohlen sitzen« ist so ein Satz, den ihre Tante gerne sagt. Tatsächlich sitzt sie auf einem Ikea-Stuhl der nach Eames aussehen soll. Billige Kopie. Sonderpreis.

      »Kann


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