Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger

Spitzenreiterinnen - Jovana Reisinger


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Schmarrn, als würden die sich jetzt mit so einem Schoßhündchen herumschlagen wollen, die haben wirklich was Besseres zu tun. Ins Tierheim? Bist narrisch. Das überlebt doch so ein feiner Hund gar nicht. Wenn du den jetzt sehen könntest, würdest nicht so damisch reden. Ich schick dir jetzt ein Bild, weil ich muss sowieso auflegen. Wir hören uns, gell? Ja, freilich sehen wir uns am Freitag. Na, sofort passt’s mir eigentlich nicht. Heute hab ich wirklich gar keine Zeit für einen Besuch. Na geh! Hör auf. Wirklich? Mei, das ist ja schad. Woher weißt du das? Na, sowas aber auch. Du, das tut mir jetzt wirklich leid, aber ich muss wirklich auflegen, weil der Hund ist jetzt irgendwo, und der kennt sich hier nicht aus. Ja, genau. Alsooooo, bis dann! Ja. Na, eh. Durchhalten, gell? Servus!«

      Barbara ist stolz darauf, wie gut ihr schon wieder die Telefonate gelingen und wie gut sie diese Mitleids-Besuche abwimmeln kann. Sie braucht jetzt kein Mitleid. Sie braucht Abwechslung, und die hat sie jetzt. Dank dem Herrn. Sie lacht. Haha, als würd ich an den Herrgott glauben. Fröhlich spaziert sie durch ihr eigenes Haus und schaut in jedes Zimmer wie an Ostern, wie ein Kind auf der Suche nach der versteckten Süßigkeiten.

      Dann entdeckt sie das süße Unschuldslamm: Der Hund liegt schon auf dem Bett und hebt kurz den Kopf, als Barbara ins Zimmer tritt. Der Hund weiß allerdings eh, dass er nicht vom Bett gestaubt wird, und legt den Kopf wieder ab. Barbara tätschelt sein Köpfchen und da kommt ihr erst, dass sie sein Fell noch gar nicht berührt hat. Meine Güte, ist das weich. Und fluffig. Wo ist denn da der Körper, fragt sich Barbara, der Hund, der ist ja weniger als nichts. Sie legt sich auch auf’s Bett, lässt sogar die Schuhe an. Wozu liegt da denn eine Tagesdecke, wenn nicht dafür. Hündchen und Frauchen schauen sich zufrieden an. Gut ist’s. So könnt’s bleiben. Schade, dass so ein Hund nicht schnurren kann. Irgendein Geräusch der Zuneigung wär jetzt schön. Barbara flüstert Liebkosungen in die Stille. Das Hündchen schmatzt zufrieden.

      Dass Barbara mal einen so prächtigen Zuchthund hätte, das hat wirklich niemand geahnt. Frauchen und Hündchen schließen die Augen und dösen, bis sie beide einschlafen. Den Luxus eines Schläfchens am helllichten Tage hat sich Barbara bis vor D.s Tod kein einziges Mal in ihrem Leben gegönnt. Wie gut sich das anfühlt, einfach himmlisch, denkt sie sich und schlummert ein.

      Dass Barbara nicht im Himmel angekommen ist, wird ihr klar, als sie vom Kratzen an der Terrassentür, in Verbindung mit dem ihr noch nicht geläufigen Winseln geweckt wird und in ihr sofort Alarmbereitschaft herrscht. Der Hund muss pieseln. »Obacht! Jetzt aber raus, sofort, mach mir ja nicht auf den Teppich, sonst war’s das mit uns beiden, Freundchen. Weißer Flokati. Wehe, du scheißt mir in die Bude!«

      Sie springt aus dem Bett, reißt eine andere Terrassentür auf. Der Hund schießt sofort in Richtung des Gebüschs, aus dem er vorhin heraussprang und verrichtet sein Geschäft. »Hast mir eh nicht ins Bett, oh weh, lieber gleich nachschauen.« Sie tastet die Bettwäsche ab. »Puh, Glück gehabt. So ein Braves!« Barbara ist dermaßen erschrocken, erst über eine potenziell nasse Tagesdecke, dann weil sie befürchtet, ihr neuer Begleiter rennt jetzt einfach denselben Weg zurück, dorthin, woher er eben gekommen ist, und sie würden sich nie wieder sehen, so rennt sie in die Küche und greift nach einer Packung Wurst, eilt auf die Terrasse, reißt das Papier auf und lockt das Hündchen so, wie sie einst ihren Mann anlockte: mit dem Versprechen auf eine Gaumenfreude, auf ein bequemes Leben, auf nie enden wollende Bedienung. Auf puren Mittelstandsluxus. Sie raschelt und ruft und müht sich ab, völlig überflüssig.

      Der weiße Spitz kommt dahergetappt und schnappt gierig nach der Wurst, Barbara lässt ihn hüpfen und springen, und es erfüllt sie mit so einer großen Freude, dass sie erst jetzt bemerkt, wie spät es eigentlich ist. Sie manövriert den Hund ins Haus, legt ihm noch ein paar Scheiben unterschiedlichen Aufschnitts auf seinen Teller wie einst D. und verlässt den Bungalow. Seit Langem war sie nicht mehr so motiviert, in die Welt hinauszutreten.

      Heute aber. Endlich eine Aufgabe. Und zwar eine große.

      Eilig marschiert sie zum Auto, steckt sich eine Vogue an, fährt aus der Einfahrt und in Richtung Industriegebiet. Nächster Halt: Haustierbedarf. Im Radio kommen Powerballaden der 80er. Oh, sie fühlt sich gut und singt mit. Wann hat es so etwas zuletzt gegeben? Das fragen sich nicht nur die Nachbarn, die sie so eilig davonbrausen sahen, sondern auch diejenigen, die sie singend an Ampeln angaffen.

      Den Weg kennt sie blind. Durch die Wohngebiete, über die Brücke, an der Gärtnerei, am Möbelhaus mit großem Sonderverkauf vorbei, an den Fast-Food-Ketten entlang zum Baumarkt, dahinter der Discounter, das Back-Center, und da kommt er auch schon, der Laden für Mausi, Katzi, Hundi und alles Mögliche dazwischen, neben dem Schuh-Outlet, dem Mega-Action-Markt und den Billig-Kleiderläden, aus denen der Plastikgeruch über den gemeinsamen Parkplatz weht. Hier reihen sich auf der einen Ortshälfte die Konsumtempel aneinander, damit auf der anderen die Villen mehr Platz und Strahlkraft haben. Diese Verteilung kommt bei den Einheimischen gut an. Auch die Touristen, die sich gar nicht erst in den geschmacklosen Bereich außerhalb des historischen Ortskerns und der guten Viertel mit Seezugang verirren, schätzen diese Klarheit an dem sauberen altbayerischen Städtchen. Doch die, die hier leben müssen, die sind der Hässlichkeit und der Tristesse schonungslos ausgeliefert. Arme Hunde. Arme Säue, hat D. sie genannt.

      Fast am Ziel kommt ihr plötzlich ein Polizeikonvoi entgegen mit Blaulicht, Sirene, allem, was dazu gehört. Barbara weiß, wie sie sich zu verhalten hat. Am liebsten würde sie umdrehen und der Polizei hinterher, schauen, was sich zugetragen hat, wie früher, als D. und sie noch gemeinsam ins Auto gesprungen und der Sirene hinterher sind. Ohne D. macht das Gaffen keinen Spaß, weiß die Witwe und fädelt sich stattdessen in die Linksabbiegerspur ein, um in den Parkplatz vom Mega-Center zu rollen. Die Zeiten sind vorbei, jetzt lebt sie ein neues, ein anderes Leben. Da weht schon der Duft vom Grillhendl-Stand herüber. »Nimm mich mit!«, steht da drauf. Heute nicht, sagt Barbara zu sich selbst.

      Während sie das Auto verriegelt und zur großen automatischen Schiebetür blickt, denkt sie über das Glück nach, das ihr so ein Tier bringen wird. Die unbedingte Liebe, der Gehorsam, die Liebkosungen, die Abhängigkeit.

      Zur Sicherheit holt sie sich einen großen Einkaufswagen und strebt sofort nach Betreten des Tiercenters in die Hundeabteilung. Die Musik ist ausgesprochen gut gewählt, und alle Besucher erscheinen grundsätzlich glücklich. Kinder suchen Spielzeug für ihre Vier-beiner, ein Paar steht vor den Vogelkäfigen, also Vögel im Käfig, das ist wirklich Tierquälerei, und da sieht sie eine sehr elegante Frau, die einen Spitz an der Leine führt. Barbara pocht das Herz. Auch sie wird so aussehen. Die Dame lacht herzlich. Der Hund wird von ihr hochgehoben, beide knuddeln sich, und da bellt der einmal – zuckersüß! – und die Frau wirft einen Ball, das Hündchen läuft los. Das Video über Hund und Frauchen läuft auf einem kleinen Monitor am leeren Info-Counter. Als nächstes wird ein Mann mit einem Bernhardiner gezeigt. Der Hund ist viel zu groß.

      Das Tier braucht ein Schlafkörbchen, eine Decke, einen Fressnapf, Spielzeug. Barbara kann sich bei allem zügig entscheiden und greift stets zur drittteuersten Ausführung. Das ist nicht so protzig und doch besser als der Durchschnitt. Ihr neuer Liebling darf schon was kosten, aber angeben muss sie auch wieder nicht. Vor den Tierfutterregalen bleibt sie zum ersten Mal ratlos stehen. Sie möchte keinesfalls einen Fehler machen, entschließt sich schließlich für eine Marke, die einen weißen Spitz auf ihrer Verpackung abbildet. Die müssen’s ja wissen. Und kehrt noch zwei Mal zurück, um mehr Futter in den Wagen zu werfen, wer weiß, was der frisst.

      Sie stattet sich aus, als hätte sie eine Spitzzucht eröffnet. Erst bei den Halsbändern realisiert sie, dass sie das Geschlecht ihres Hündchens nicht kennt. Barbara ist enttäuscht. Sie wünscht sich so sehr ein Mädel, mit einem rosa Band, einer rosa Leine und für besondere Tage vielleicht sogar das strassbesetzte Exemplar. Sie wählt ein Set in schwarz und eins in braun, wirft im letzten Moment aber das rosafarbene in den Einkaufswagen. Dem Hund is doch egal, was er trägt. Am allerliebsten würde sie auch noch so ein herziges Namensschildchen gravieren lassen, greift stattdessen zu einem Ratgeberbuch für Hundenamen. Kurz soll der Name sein und die edle Ausstrahlung des Wesens erfassen.

      Gloria würde passen, weil der Hund so neugierig ist und Barbaras Rätselheft so heißt. Wahrscheinlich hat der Hund einen saudummen Namen, so was wie Madame, Bella oder Mini. Ich werd den schon umbenennen können. Nur eine Frage der Erziehung.


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