Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger
das geht nicht«, stimmte Petra zu.
Auf einem echten Designklassiker sitzt hier nur die Chefin. Das muss sich so eine Galerie nämlich erstmal leisten können. Das Telefon läutet. Jemand erkundigt sich nach den Öffnungszeiten. Petra gibt Auskunft.
Die Kohlen werden heißer. Diese Männer kann Petra nicht so einfach wegkichern. Weglachen fällt ihr schwerer, wenn ihre Mutter nicht dabei ist. Die fängt schließlich immer als Erste an, lauthals zu lachen, und ist dabei so ansteckend. Das Gegenteil einer Spaßbremse.
Petra betrachtet ihre fleckenlose Bluse, kontrolliert im Selfiemodus ihre Zähne nach Essensresten und betrachtet ihre Augenringe. Wieso kommen die jetzt trotz des ultraeffizienten Make-ups so plötzlich hervor? Wer nicht schön ist, hat sich nicht genug angestrengt. Oder nicht genügend Geld in anständige Schminke investiert. Da wurde an der falschen Stelle gespart. Keine gute Grundlage, um zu altern. Darüber muss sich eine dreißigjährige Frau längst Gedanken gemacht haben. Kluge Maßnahmen sollten früh ergriffen werden. Oder es muss mit den Konsequenzen gelebt werden. Keine Frau kommt ungeschoren davon. So viel ist sicher. Mit Sicherheit kann gesagt werden: Andere Mütter haben auch schöne Töchter.
Sie betrachtet ihren Schreibtisch. Ihr Namensschild. Die pflegeleichten Topfpflanzen.
Hier ist sie gelandet, nach einem abgebrochenem Kunststudium in London, einem einjährigen Praktikum in einer Werbeagentur in New York, einem abgeschlossenem Kunstgeschichtestudium in Frankfurt, einer Top-Note auf ihrem Zeugnis, einer Anstellung in einem Museum als kuratorische Assistentin in Amsterdam und nun offiziell als Assistentin in München, tatsächlich jedoch als Aufsichtskraft. In dieser Galerie ist sie nur vorübergehend. Sie sieht gut aus, ist gebildet, ist fleißig, ist idealistisch, ist arm, ist verschuldet und gewillt, sich nach oben zu arbeiten. Wer spärlich lebt, kann bekanntlich schnell die Verbesserung seiner Lebensumstände spüren. Sich durchbeißen können, so wurde ihr beigebracht, ist eine notwendige Charaktereigenschaft, vor allem für Arbeiterkinder. Durchbeißen, Durchhalten, Disziplin, Ausdauer und Geduld. Weil Angeberei wiederum keine gute Eigenschaft von Frauen ist, stapelt Petra eher tief. Wer tief fliegt, fällt nicht so weit. Besonders als eine Frau, deren Fallhöhe immer eine gewaltige sein muss. Petra ist müde. Am Wochenende hat sie wieder ihre Familie besucht. Die lebt praktischerweise nur eine Zugfahrt entfernt.
14:30 Uhr. Die Männer betreten den Innenhof. Endlich. Mit denen wird sie jetzt auch noch fertig. Sie hat schon so viel geschafft in ihrem Leben. Sie muss das hier wie eine sportliche Aktivität betrachten. Es ist anstrengend, verbessert jedoch ihre Kondition. Einatmen, ausatmen und das Gesicht einer Frau aufsetzen, der es wirklich egal ist.
Die Stahltür wird aufgemacht und mit dem ersten Schritt hinein legen sie los.
Mann 1: »Ciao Bella!«
Mann 2: »Hast du was für uns?«
Mann 1: »Petra, Petra, Petra, willst du nicht an diesem zarten Frühlingstag mit uns einen Kaffee trinken gehen?«
Mann 2: »Wir haben noch ein bisschen Zeit.«
Mann 1: »Wär doch schade, wenn du den ganzen Tag hier sitzen müsstest.«
Mann 3: »Bessere Idee, du machst uns Kaffee, und wir setzen uns zu dir?«
Mann 2: »Du schaust so aus, als würdest du richtig guten Kaffee machen.«
Petra: »Hier sind eure Pakete.«
Mann 1: »Oh, schon wieder so zickig.«
Mann 2: »Waren wir schon wieder nicht sensibel genug?«
Petra: »Ich würde gerne, muss aber weiterarbeiten.«
Mann 3: »Deine Arbeit hätte ich auch gern. Sieht so entspannt aus.«
Mann 2: »Musstest du dafür eigentlich studieren, um während der Arbeit Bücher zu lesen?«
Petra: »Ja.«
Mann 3: »Du, stell dir vor: Unsere Putzfrau ist plötzlich nicht mehr aufgetaucht. Weißt schon, die mit dem Alkoholproblem. Wenn du also nichts zu tun hast, könntest du auch für unsere Büroatmosphäre sorgen. Kriegst auch ihren Stundenlohn.«
Mann 2: »Was meinst du, ist das mehr als dein regulärer?«
Mann 1: »Hahaha.«
Mann 3: »War ja nur ein Spaß. Die Petra versteht das, oder?«
Mann 2: »Klar, die Petra ist eine von den Coolen. Nicht so spießig wie die Anderen.«
Mann 1: »Aber grab nicht meine Freundin an, gell? Scherz!«
Mann 3, Mann 2, Mann 1: »Also, tschüss Petra. Bis morgen.«
Unbesonnen und von jeglichen Sorgen befreit schlendern die Männer durch die Ausstellung, tragen dabei ihre Post mit sich und die Aura blanker Unbekümmertheit. Einer streckt sich kurz, die Wirbel knacken. Petra schlägt ihr Buch auf. Sie beneidet diese Selbstsicherheit. Mit dem Zufallen der Tür, die aus der Ausstellung in die oberen Stockwerke führt, fällt ihr ein Stein vom Herzen oder die Anspannung von den Schultern. Es fühlt sich gut an, etwas weggearbeitet zu haben. Für heute sind die Männer erledigt. Auf zum nächsten Punkt im Tagesablaufplan.
Petra macht das hier nicht mehr lange. Das ist nur die Notlösung. Sie hat einige Bewerbungen offen, in anderen Städten, in anderen Ländern, sie ist flexibel, kann überall hin. Sie erfüllt, was von ihr gefordert wird, keine Bindung, kein Ballast kann sie von dem richtigen Jobangebot abhalten. Petra ist hoffnungsvoll und hoffnungslos unterbeschäftigt. Neun Stunden am Tag, zehn Euro pro Stunde, fünf Tage die Woche und das im teuren München.
»Du weißt, Schatzerl«, schiebt da die Tante Bella hinterher, »es hat jede noch so dumme Situation auch immer etwas Positives. Du kannst nicht wissen, wofür diese Erfahrung einmal gut sein wird. Wirst schon sehen. Wenn es dann so weit ist, denkst du an mich. Weil du was gelernt hast und feststellen musst, dass ich Recht hatte.« Die Tante hat so oft Recht. Die Tante Bella kennt das Leben und die Leute. Die Tante Bella ist eine Frau, mit der gern geplaudert wird. Denn die Tante Bella kann gut zuhören. Und das ist schließlich das A und O, wenn etwas herausgefunden werden will.
Ein weißer Defender fährt in den Innenhof. Petra weiß, was jetzt kommt. Ihre Chefin. Genauer: die Frau vom Chef. Die scheint jetzt die Fäden endgültig in der Hand zu haben. Ihr Mann ist schon länger nicht mehr aufgetaucht. Es gab keine Mitteilung, kein Teammeeting, nicht einmal ein öffentliches Statement. Er blieb plötzlich aus, sie räumte sein Büro um, und jetzt macht sie die Ansagen. Gut für sie, denkt sich Petra. Mehr Frauen in Führungspositionen. Vor allem im Kulturbetrieb. Da will Petra schließlich auch mal hin. Immer dranbleiben. Immer nach den Möglichkeiten Ausschau halten.
Der Motor verstummt. Die Chefin steigt aus, öffnet die Hintertür, ein kleiner Dackel springt aus dem Auto und läuft direkt zur Eingangstür, in der mittlerweile Petra steht, weil sie freundlich ist und weiß, dass die Chefin gern begrüßt wird. Die Chefin weiß nicht, dass das ein Automatismus ist. Das Auto, der Hund, der Job, die Stadt. Petra findet das toll. Fehlt nur noch der Jagdschein, die Chefin ist allerdings Vegetarierin.
»Hallihallo Petra! Wie geht es dir heute?«
»Maxi! Gut. Es riefen ein paar Leute an, hier ist die Telefonliste.«
»Ahhh, hmmm, danke. Und sonst?«
»Sonst hat sich wenig getan, später kommen die Akademiestudenten – die führst du durch die Ausstellung, nicht wahr?«
»Ja. Sehr gut. Sehr, sehr gut. Die brauchen wir nämlich.«
»Wen?«
»Die Kunststudenten!«
»Aha.«
»Petra, Liebes, die Kunststudenten sind unsere Zukunft. Sag, kannst du Grazia nehmen? Sonst zieht sie wieder die ganze Aufmerksamkeit auf sich und das mag Mami nicht, wenn sie gerade eine Führung gibt, nicht wahr?«
»Natürlich, wir können eine Runde gehen.«
»Stell auch das Telefon stumm, nicht dass es läutet, während ihr fort seid. Wär auch blöd. Die Leute können