Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger

Spitzenreiterinnen - Jovana Reisinger


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legt den Ratgeber zurück und lässt sich ihre Grundausstattung in Tüten einpacken, schaut gar nicht auf den Preis, reicht nur die EC-Karte, schiebt anschließend den Einkaufswagen über den Parkplatz und kann es kaum erwarten, zuhause anzukommen und Gloria zu beschenken. Wie der Hund schauen wird, wenn sie ihm die Leckerli bringt und das schöne ergonomische Hundebett, das intelligente Spielzeug und die weiche Decke.

      Raus aus dem Parkplatz, blaue Stunde. Sie fährt durch die Ortschaft, wieder vorbei an den unzähligen Einkaufsmöglichkeiten, lässt den Industriepark hinter sich und will auf die Landstraße abbiegen, da wird sie von der Polizei weitergewunken und muss einen Umweg in Kauf nehmen.

      Na sowas, was ist denn jetzt schon wieder passiert? Heute wird es ihr wirklich nicht leicht gemacht, doch sie kann widerstehen, bleibt nicht stehen und fragt nicht nach dem Grund. Auf dem Land kennen sich alle, nicht wahr? Da darf jeder ein bisschen neugieriger sein. Und das kann auch schnell gefährlich werden. Nicht dass der Polizist fragt, was das ganze Hundezeug da soll. Freundlich winken und weiter geht’s.

      Der Umweg beschert ihr einen Blick auf die Berge, die heute viel näher erscheinen, als würden auch sie diesen Tag zu etwas ganz Besonderem machen wollen. Die Greifvögel sitzen erhaben am Straßenrand, und kaum ein Auto kommt ihr entgegen. An was für einem wunderschönen Fleck Erde ich lebe, denkt sich Barbara, das hier ist das Paradies. Kein Wunder, dass die Gloria ausgerechnet zu mir gekommen ist. Logisch!

      Und schon biegt sie ab, in die eigene Idylle und parkt ihr Sportauto vor dem Bungalow. Sie trägt Tüte um Tüte zur Haustür, blickt sich um, niemand zu sehen. Wo steckens denn alle? Und mit dem Öffnen der Haustür kommt auch schon Gloria dahergelaufen und springt eifrig dem neuen Frauli die Beine hoch. Barbara spürt in diesem Moment, dass der weiße Spitz gar keine Intention hat, wieder zu gehen. Die beiden gehören zusammen, das Schicksal hat sie zusammengeführt. Das hier ist nicht die Ausgeburt des Teufels, das ist vielleicht der Hund gewordene D.! Sie bringt die Einkäufe ins Haus und setzt sich erst einmal in die Küche. Verschnaufpause. Der Spitz schnuppert an den Tüten. Fernseher an. Der Spitz springt auf die Eckbank und legt sich hin auf den alten Platz vom D. Das ist ein Zeichen. Aber darüber kann Barbara nicht weiter nachdenken. Jetzt kommen die Nachrichten. So mag es Barbara. Schön stillhalten, wenn die Neuigkeiten verkündet werden und sie sich ordentlich über die Anderen wundern kann.

      Die Ruhe und Entspannung sind nur von kurzer Dauer. Die Moderatorin berichtete soeben noch vom Aktionsplan Wolf, die vom Bauernverein geforderte Tötungserlaubnis, da schwenkt die Kamera auch schon auf ein stattliches Grundstück aus Barbaras erweiterter Nachbarschaft. Freilich, das Haus hinter der polizeilichen Absperrung ist nicht gerade einen Katzensprung entfernt, aber es gehört zum gleichen Landabschnitt, genauer gesagt zum selben Landkreis. Ein schönes Haus, eine alte Villa mit privatem Seezugang, muss ein Vermögen gekostet und jährlich noch eins verschlungen haben. Das Bild zeigt Polizisten, Spurensicherung, eins der Autos, das zum Haus gehört. Typische Tatortaufnahmen. Die Moderatorin spricht von Überfall, Raubmord, Todesopfern, eingeschlagenen Scheiben, Blut, gestohlenen Gütern, gestohlenem Barvermögen, bittet um Informationen. Sie zeigen ein Archivfoto: Mann mit breitem Lächeln und Escada-Golf-Käppi. Dann ein anderes: Frau im Kostüm mit Hut und, jetzt erschrickt sich Barbara, mit einem weißen Schoßhündchen. Um dringende Tathinweise wird gebeten, schließlich handelt es sich bei dem Paar um ruhige, angenehme Nachbarn, die seit Jahren hier ihre Wochenenden und Ferien verbrachten. Hoffentlich, so die Moderatorin, ist das nicht der Anfang einer Überfallserie. So was Tragisches, Mord aus Habgier, aus Eifersucht, aus Tobsucht, aus Versehen? Und das wäre auch in der eigenen Nachbarschaft möglich, hier ist das alte Geld, huch, Barbara wird es ganz klamm ums Herz. Zur Aufmunterung ein Bericht über die Rückkehr der Goaßmaß, der Weltrekord im Maßkrugstemmen und die Frage, warum die Österreicher mehr Rente kriegen. Es folgen Sport, Wetter und ein lustiger Spruch aus dem Bauernkalender. Das waren die Tagesnachrichten, schönen Abend, bis morgen, Mahlzeit, gesund bleiben und nach vorne schauen!

      Barbara schaut abwechselnd den Hund und den Fernseher an. Der Hund döst. Es rattert im Hirnkastl. Der Hund merkt nichts. Dann endlich Freude, Barbaras Mund verzieht sich zu einem Lächeln, wie es schon lange nicht mehr durchkam: Ja, das ist sich jetzt super ausgegangen. Die alten Besitzer sind tot. Keiner wird nach dem Hündchen suchen. Es wurde nicht einmal über dich gesprochen. Außerdem sind’s, was sag ich, waren’s Wochenendler! Des war’n gar keine von uns!

      Es läutet das Telefon, Emmas Name wird angezeigt. Barbara hebt ab, die Freundin redet, Barbara hört kaum zu, Emma hat soeben die Nachrichten gesehen, ist das der Hund?, Barbara schaut den Hund an, Emma sagt, sie müsse den Hund jetzt sogar behalten, sonst käme er ins Tierheim, Barbara stimmt ihr zu, Emma sagt, sie möchte morgen vorbeikommen, Barbara hat nichts mehr dagegen, Emma freut sich für Barbara, Barbara freut sich auch, Emma sagt, der Hund wird ihr helfen, nicht dumm zu werden oder ungeduldig oder gemein. Barbara verabschiedet sich. Barbara ist unermesslich glücklich. Manchmal trifft’s die Richtigen, jawoll! Da gibt’s gleich noch ein Leckerli fürs Hundi.

      Sie setzt sich zu ihrem Hund an den Küchentisch, streichelt das weiße Tier und holt den Erdbeerschnaps aus dem Schrank in der Eckbank. Um ein Glas bemüht sie sich erst gar nicht und trinkt einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Gloria legt den Kopf auf ihren Schoß, Barbara greift nach den schönen Zigaretten und raucht genüsslich. So hat sie sich ihr Leben vorgestellt. Wenn das nur der D. sehen könnte. Wenn der wüsste, was er verpasst. Sie streichelt das Köpfchen des Hündchens und lässt sich das Gesicht abschlecken. Gierig nach Zuneigung, streckt sie sogar ihre Zunge ein Stück weit heraus. Fast wie ein Kuss, denkt sich Barbara und desinfiziert ihren Mund mit einem Schluck Selbstgebranntem. Danke D., denkt sie sich.

      LISA

      Lisa sitzt im Restaurant, weil sie nicht wusste, was sie sonst mit ihrer Zeit anfangen sollte. Sie hat einen kleinen Beilagensalat gegessen, ausführlich die extra kitschige Tischdekoration betrachtet, Bleikristallkerzenständer mit rosa Kerzen, rosa Servietten und in der Mitte eine Vase mit roten Rosen, hat zwei Gläser Prosecco getrunken und bestellt sich jetzt, um diesem Tag irgendeine Art von Schönheit zu geben, ein weiteres Glas Champagner. Es ist 18 Uhr, und heute ist ihr das Geld egal.

      Dem Kellner ist ihr Verhältnis zu Geld ebenso egal, weil hier – im Spezialitätenrestaurant für Meeresfrüchte – immer gut Geld ausgegeben wird. Der Kellner ist das Geld gewöhnt und weiß, dass oft die Leute das Geld haben, die gar keinen Geschmack und Stil vorweisen können. Lisa sieht heute nicht besonders aufregend oder schön aus. Lisa hat heute viel geweint, ihr Gesicht ist verquollen, und bei genauerem Hinsehen ist ihr Outfit abgetragen. Lisa weiß all das und schämt sich, weiß jedoch nicht, wohin mit sich. Das teure und traditionsreiche Spezialitätenrestaurant war der erste Laden, in den einzutreten sie sich entschließen konnte. Sie irrte zuvor ziellos durch die Stadt und wusste nur, dass sie unter keinen Umständen nach Hause will. Es musste ein Etablissement sein, in dem sie noch nie war und in dem garantiert niemand säße, den sie kennt. Und wie kann eine besser eine Fehlgeburt vergessen als in einem Spezialitätenrestaurant für Austern?

      Das Glas Champagner kommt an den Tisch, und Lisa, die gewissenhaft seit Wochen keinen Alkohol trank, ist jetzt – schon vor dem dritten Glas – beschwipst. Der Kellner möchte, dass die Frau etwas Richtiges isst, um nicht zu betrunken zu werden, und empfiehlt daher wärmstens die Spezialität des Hauses: eine Austernplatte. Frische Austern und leckere Saucen, mit köstlichen Schnecken in den unterschiedlichsten Variationen und als kleines Bonbon kommen sogar noch zwei Garnelen dazu: »Dafür kommen die Leute von weit her. Zu den Gästen zählt nicht nur die Prominenz, sondern auch die einfachen Leut, und das ist unserem Restaurant schon immer wichtig gewesen: die Klassenunterschiede einfach ignorieren. Weil, die Preise sind hier unschlagbar, der Service ganz klassisch, wie Sie sehen, und die Lage sowieso: top. Unsere Küche können sich auch die einfachen Menschen leisten.«

      Lisa findet sein Bemühen schön. Lisa schlägt zu. Sie wird sichtlich aufgeregt: »Wenn nicht heute, wann dann? Sie haben Recht! Her damit! Und noch mehr Champagner – ich zahle mit Kreditkarte, schließlich habe ich Geburtstag …«, und so kramt sie auch schon in ihrer Handtasche nach ihrem Portemonnaie und darin nach ihrer Kreditkarte, die irrsinnigerweise mit einem Zebramuster bedruckt ist, und wedelt damit in der Luft herum. Stünde


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