Die Ordnung der Worte. Pål H. Christiansen
Küche zu streichen, hatte sie falsch gedacht. Für mich gab es wichtigere Dinge zu tun, und das musste ich ihr auf eine nette und freundliche Weise klarmachen.
»Hab ich mir doch gedacht, dass ich dich hier finde«, sagte sie.
»Ach ja?« sagte ich, »ihr zwei beiden denkt ja eine Menge schräges Zeug, was? Hirsch denkt auch so Sachen über mich. Er behauptet, er hätte gewusst, dass ich ein großes Bier wollte.«
»Reiner Glückstreffer«, sagte Hirsch.
»In Wirklichkeit will ich direkt nach Hause und SCHREIBEN«, sagte ich, »ich habe da einen Roman, der geschrieben werden muss, und wenn ich ihn nicht schreibe, was glaubst du, wer ihn dann schreibt?«
»Ich will nach Huk«, sagte Helle.
»Nach Huk?« sagte ich, etwas freundlicher gestimmt. Ich beugte mich vor und küsste sie auf die Stirn. Ich legte einen Arm um sie und zog sie an mich heran. Sie roch frisch und gut, nur ein schwacher Hauch von grüner Seife und alten Pausenbroten kündete davon, dass sie direkt von der Arbeit kam.
»Wir können am Strand grillen«, sagte Helle.
Ich warf einen Blick in die Tüte. Darin lagen Farbe, Schleifpapier, Spachtel und Spiritus, und ganz unten einige Malwerkzeuge zwielichtiger Herkunft.
»Ich hab erstmal anderthalb Liter gekauft«, sagte sie.
»Schlau«, sagte ich und wühlte in der Tüte herum.
»Die wollten mir zehn Liter aufschwatzen, aber ich hab nein gesagt«, sagte Helle.
»Braves Mädchen«, sagte ich.
Jetzt hatte ich die Werkzeuge gefunden und nahm sie für eine nähere Begutachtung heraus. Es handelte sich um einige jämmerliche Exemplare mit Plastikgriff und struppigen Borsten. Das waren ehrlich gesagt die unbrauchbarsten Malerwerkzeuge, die ich je gesehen hatte.
»Was ist das?« fragte ich.
»Pinsel«, sagte Helle.
»Ein paar Scheißpinsel, wenn das so ist«, sagte ich, »weißt du denn nicht, dass solche Billigpinsel schlimmer haaren als räudige Straßenköter?«
»Wird schon gehen«, sagte Helle.
»Nein, das wird es nämlich nicht«, sagte ich, »davon verstehst du offensichtlich höchst wenig. Hirsch kann sicher bestätigen, was ich sage.«
Aber Hirsch hatte sich verdrückt und sich irgendwo ganz hinten in der Küche versteckt, von ihm war also keine Hilfe zu erwarten.
»Zwei Dinge sind wichtig im Leben«, sagte ich, »zum einen, reichlich Wasser zu trinken. Zum anderen, beim Streichen ordentliche Pinsel zu benutzen.«
Jemand war in der Wohnung gewesen. Ich merkte es am Geruch. Eine unbestimmte Mischung aus Schweiß, Mundspray und irgendetwas noch Schlimmerem. Hatte die Verrottung meines eigenen Körpers jetzt ernsthaft eingesetzt? Darauf wartete ich schon seit meinem vierzigsten Geburtstag.
Die Unordnung war ansonsten schlimmer als gewöhnlich: Überall standen Stapel aus Bücherkisten, die Bettwäsche lag in einem Knäuel auf dem Boden. Es sah aus, als ziehe jemand gleichzeitig ein und aus. Und das Sofa, wo war das hin?
Ich suchte überall, ohne Erfolg, stolperte dabei aber reichlich über die Bücherkisten. Einige hundert Exemplare von Der Brief waren an der Wand entlang nebeneinander aufgestellt, vor dem Bett lehnte Harry war nicht ganz bei Sinnen, während Auf Abwegen in einer einsamen Kiste unter dem Küchentisch lag. Die Bücherkisten waren ebenso von Nutzen wie höchst lästig, um es mal so auszudrücken. In der Küche konnte ich alles Heiße darauf abstellen, im Badezimmer über sie drüberlaufen, wenn der Fußboden nass war.
Hatte ich Besuch, dienten die Kisten als Hocker.
»Es geht doch nichts darüber, den Arsch auf ein ordentliches Stück Poesie zu betten«, sagte Higgins immer, bevor er furzte, so als wollte er der hochfliegenden Poesie einen Hauch des Weltlichen verleihen.
Ich setzte mich an den Schreibtisch und konzentrierte meine Gedanken auf das Schreiben. Der erste Schritt im komplizierten Ritual des Schaffens war normalerweise, die samtene Rauchjacke anzuziehen, aber die hatte ich schon seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen. Schritt zwei, das eigentliche Nachdenken, erledigte ich für gewöhnlich auf dem Sofa. Verflixt! Das mit dem Sofa war ein derber Schlag ins Gesicht.
Also: Mein neuer Roman sollte von jemandem handeln, der seinen Traum verwirklichte, nämlich die perfektesten Nistkästen zu bauen, die die Welt je gesehen hat. Er brauchte Jahre seines Lebens, um das Handwerk zu erlernen. Dann fertigte er einen Kasten nach dem anderen, um sie anschließend im Wald anzubringen. Würde er es schaffen? Oder nicht? Es war zu früh, etwas darüber zu sagen.
Oder muss ich den Schluss schon jetzt wissen? dachte ich. Sollte ich meinen Helden so gut kennen, dass ich wüsste, wie es enden und ob er seine Träume komplett in die Tat umsetzen würde?
Die Antwort war: nein. Eine Geschichte aufzuschreiben, deren Schluss der Autor schon kannte, war doch witzlos. Das war meine Meinung dazu, und an ihr hielt ich fest.
So weit, so gut. Es war Zeit, sich in die richtige Stimmung zu versetzen, und so leitete ich Teil drei des Rituals ein, indem ich an das Bücherregal ging und a-has Hunting High and Low herauszog. Gewöhnlich hörte ich mir Morten Harket mit »Take On Me« als Auftakt zu einer beseelten und inspirierten Schreibphase an. Der Mann hatte ein gottbegnadetes Talent, das war klar, und wenn er sich in »Take On Me« zum Falsett aufschwang, dann musstest du dich einfach hingeben und alle irdischen Pflichten wie AUFRÄUMEN oder WÄSCHE WASCHEN oder alten Bekannten POSTKARTEN SCHREIBEN vergessen. Dann musstest du einfach drauflos dichten, bis der Bleistift zerbarst und du alle warst.
Ich hielt vor dem Regal an. Hier war seit dem letzten Mal etwas passiert! Mein alter Plattenspieler war durch eine mächtige CD-Anlage ersetzt worden, mit großen Lautsprechern und bunten Knöpfen. Und meine alten Vinylscheiben waren nirgendwo zu sehen.
Nicht zum ersten Mal stieß ich auf Widerstand. Tatsächlich war ich an Widerstand gewöhnt. Wenn Widerstand adelt, bin ich mindestens schon Graf, dachte ich und setzte mich wieder an den Schreibtisch und griff nach meinem letzten Strohhalm: dem Bleistiftanspitzer.
Das Bleistiftanspitzen hatte so manch einem Dichter aus der Klemme geholfen. Nimm zum Beispiel Hemingway, niemand geringeren als Ernest Miller Hemingway, geboren 1899 in Oak Park, Illinois, USA. Hemingway musste eine bestimmte Anzahl fertig angespitzter Bleistifte vor sich liegen haben, bevor er morgens mit dem Schreiben anfing. Dabei konnte es sich, je nach Stimmung, um fünf bis siebzig Bleistifte handeln. Für einen kurzen Zeitraum, während er in Key West in Florida wohnte, soll er sogar jeden Morgen 133 Bleistifte angespitzt haben. Als es ihm wirtschaftlich besser zu gehen begann, hatte er natürlich seine Leute für die Sache mit den Bleistiften, aber in seiner Anfangszeit als junger und unbekannter Autor in Paris war das bestimmt eine ganz schöne Plackerei.
Eine Kuriosität an Hemingway war übrigens, dass er im STEHEN schrieb, fiel mir nun ein. Wie ihm so etwas Albernes in den Sinn gekommen war, wusste ich nicht, aber wenn es funktionierte, funktionierte es eben. Ich war nicht der Typ, der sich in die Arbeitsgewohnheiten von Kollegen einmischte.
Ich warf einen Blick auf das Bett. Da das Sofa weg war, könnte ich doch die Notlösung benutzen und mich aufs Bett legen? Es wirkte normalerweise genauso gut wie Hemingways Gestehe. Ich begab mich zum Bett und machte es mir unter der Decke bequem.
Das Telefon klingelte, bevor ich richtig in Gang gekommen war.
»Was treibst du so?« fragte Haagen.
»Genau in diesem Augenblick treib ich im Bett«, sagte ich, »falls dir diese Ausdrucksweise gefällt.«
»Du schläfst?« fragte Haagen.
»Nenn es, wie du willst«, sagte ich, »ich nenn’s schreiben.«
»Und sonst geht’s voran?« fragte Haagen.
Redete er jetzt von meinem Roman? Oder spielte er auf meinen Neujahrsvorsatz an, einige Eigenheiten der Sprache abzulegen, die ich seit