Die Ordnung der Worte. Pål H. Christiansen
hast nicht zufällig meine a-ha-Platten gesehen?« fragte ich.
»Hast du unterm Sofa nachgeguckt?« fragte Haagen zurück.
Haagens Stimme klang etwas ausweichend, aber er hatte immerhin eine Idee, das sprach für ihn. Ich warf einen Blick dahin, wo das Sofa gestanden hatte. Da lagen einige einzelne, in Staub vergrabene Socken, und irgendetwas, das wie eine Scheibe Knäckebrot mit Ziegenkäse aussah. Oder doch eher mit Leberwurst? So was hatte ich nicht im Haus gehabt, soweit ich mich erinnern konnte, und ich wollte der Sache im Moment auch nicht näher auf den Grund gehen.
»Fehlanzeige«, sagte ich.
»Hast du dir Hubert & Die Hauskater angehört?« fragte Haagen, »die haben den Nerv der Zeit getroffen.«
»Ich halte mich an a-ha, bis das Gegenteil bewiesen ist«, antwortete ich.
»Ich muss auflegen«, meinte Haagen, »soll hier in drei Minuten ›Öppna landskap‹ spielen.«
»Viel Glück!« sagte ich.
»Wir sehen uns in Huk«, sagte Haagen.
Wie hatte Haagen Wind davon bekommen, dass sich jemand in Huk treffen wollte? Oder um es anders auszudrücken: FALLS ich überhaupt nach Huk wollte, sollte es zumindest ein kleines romantisches Stelldichein mit Helle sein und kein Pfadfinderausflug mit der ganzen Kompanie.
Es war ja nun nichts Neues, dass diese Stadt voller Tratsch und Gerüchte steckte. Das hatte ich persönlich schon einige Male erfahren können. Bekam ich in der Akersgate Schluckauf, konnte ich darauf wetten, dass Haagen oder Higgins vor Ablauf einer Stunde davon hören würden.
Ich schloss die Augen und sperrte die Welt einen Moment lang aus. Ich ließ mich von meinem Tagtraum einfangen und stellte mir den Augenblick vor, wenn meine Schaffenskräfte voll zuschlagen würden. Ich alleine ein ganzes Kraftwerk von Alta! Eine ganze Stadt erleuchten. Ein flatternder Kopf in einem Sturm aus Selbstvertrauen. Grüne Welle und ein Lächeln über beide Ohren.
Mittendrin würde ich dastehen, die Füße fest im Boden verankert und den Kopf halb im Himmel. Meine Texte würden brüllen und beißen wie Klapperschlangenmusik im Sonnenuntergang. Sie würden sich geschmeidig zwischen Baumstämme schmiegen oder aber barsch poltern, wenn das verlangt wäre.
Und das Publikum? Es läge mir zu Füßen, jung und alt wären mir auf den Fersen, wenn ich von Stadt zu Stadt reiste und mich in meinem Erfolg sonnte, während ich vor schnurrenden Frauen in den öffentlichen Bibliotheken des Landes las.
Das Lastenfahrrad von Kaufmann Herman lehnte an der Hauswand draußen vorm Laden und sah übel aus. Der Lenker war schief, und die Kiste vorne dran hatte einen mitgekriegt. Sogar dem handgemalten Schild an der Stange war etwas Unvorhergesehenes passiert, denn darauf stand offenkundig »Hermans Hande« und nicht Hermans Handel, so wie es sich gehörte.
Im Laden war es kühl, und ich bewegte mich langsam zwischen den Regalen hindurch. Normalerweise war ich ein Großabnehmer von 15-Watt-Glühbirnen und weißen Mäusen zum Selbstabwiegen. Aber diesmal stand Mittagessen auf dem Einkaufszettel. Ich hatte einen Bärenhunger und wollte Nudeln mit Tomatensoße, und zwar sofort. Und dann wieder kopfüber in die Literatur.
»Deine Sachen stehen hier«, hörte ich Herman von der Kasse her sagen.
»Ach, tatsächlich?« fragte ich überrascht.
»Grüß deine Frau und sag ihr, blaues Farris-Mineralwasser hatten wir nicht mehr«, verkündete Herman.
»Meine Frau?« fragte ich.
»Hab ich am Telefon vergessen, ihr zu sagen«, sagte Herman.
Erstaunlich, wie gut wir auf einmal miteinander bekannt waren, dachte ich. Woher hatte er das eigentlich, dass ich verheiratet wäre? Da wusste er mehr als ich, und ich hatte keine Lust, mit ihm darüber eingehender zu diskutieren. Ich wollte Dolmio Nudelsoße. Jetzt.
»Suchst du Dolmio?« fragte Herman.
»Ja,« antwortete ich.
»Kommt nächste Woche wieder rein«, sagte Herman.
Ich spürte Wut im Körper aufsteigen. Das war wieder das alte Lied. Kommt bald wieder rein. Kommt morgen wieder rein. Nächste Woche. Immerhin war er ehrlich genug, auf das Bluffen zu verzichten. Das musste man ihm lassen. Abgesehen davon konnte er seine Sachen packen und in die ewigen Jagdgründe der Kaufleute auf Lanzarote ziehen.
»Du willst bei dem schönen Wetter raus nach Huk und grillen, richtig?« fragte Herman, zog eine Tüte hinter der Kasse hervor und setzte sie auf das Band.
»Irgendjemand findet das wohl«, sagte ich.
»Macht 233 Kronen«, verkündete Herman.
Ich warf einen Blick in die Tüte. Darin befanden sich Würstchen unterschiedlicher Bauarten, Farris-Mineralwasser und ein Einweggrill inklusive praktischem Müllsack. Eine typische Tüte für einen Ausflug. Eine typische Huk-Tüte.
»Grüß deine Frau und sag ihr, dass ich kein anderes Farris mehr hatte«, sagte Herman.
»Hast du das nicht eben schon mal gesagt?« fragte ich.
»Sorry«, sagte Herman und wurde rot.
Ich musterte ihn genauer. Fress ich doch einen Besen, wenn er nicht ein Auge auf Helle geworfen hatte! Altes Ferkel.
»Willst du das Wechselgeld bar?« fragte Herman.
Herman ging mit mir die Treppe hoch und nach draußen. Er warf einen Blick auf den Himmel, nickte und zeigte auf das Fahrrad.
»Der Kleine hat sich damit heute auf die Nase gelegt«, sagte er.
Zweimal kurzes Hupen riss mich vom Stuhl hoch und holte mich ans Fenster. Aus dem Augenwinkel erkannte ich durch das Tor im Hinterhof einen blauen Müllwagen, gleich danach klingelte es an der Tür.
»Nimm ein Handtuch für Haagen mit«, sagte Helle durch die Gegensprechanlage.
»Warum das?« fragte ich.
»Beeil dich«, sagte Helle.
Ich setzte mich wieder an den Schreibtisch und sah mir meine Notizen an. Was hatte ich da bloß in den letzten Minuten zu Papier gebracht? Mit den Jahren war meine Handschrift vollkommen unleserlich geworden. Jetzt musste ich mich langsam mal zusammenreißen, sonst würde ich noch als Legastheniker enden.
Ich blieb noch etwas sitzen, lauschte auf das Rauschen in den Ohren und überlegte, ob ich es sein lassen sollte, rauszugehen. Ob ich einfach so tun sollte, als ob nichts wäre, und weiterarbeiten – da ich es nun endlich einmal geschafft hatte, mich dafür hinzusetzen, ohne Sofa, ohne Schreibjacke, ohne rotierende a-ha-Platten auf meinem Plattenspieler.
Es klingelte noch einmal. Ich hab doch dieses hübsche Notizbuch, dachte ich plötzlich. Das hatte ich vom Redakteur Holm zu Weihnachten bekommen. In Kunstleder mit dem Namen der Zeitung, Verdens Gang, in leuchtender Goldschrift und einem kleinen Anhängeschloss. Wenn ich das mit einsteckte, könnte ich immerhin zwischen den Würstchen ein paar Szenen skizzieren.
Als ich nach draußen kam, saß Helle im Auto und plauderte mit Higgins. Sie schienen gerade mitten in einer angeregten Diskussion zu stecken, über die Freuden und Nöte des Pausenbrots, mit besonderem Augenmerk auf das Butterbrotpapier. Ich setzte mich ins Auto und ließ sie ihre Unterhaltung fortführen, während wir nach Bygdøy fuhren.
»Wenn 800 Schüler an fünf Tagen in der Woche jeder einen halben Meter Butterbrotpapier verbrauchen, was kommt dabei raus?« fragte Higgins.
»Exakt zwei Kilometer«, antwortete Helle, »aber da vergisst du ein paar wichtige Details.«
»Was denn?« fragte Higgins.
»Zunächst einmal haben viele Schüler Brotdosen«, sagte Helle, »einige legen allerdings trotzdem Papier zwischen die Brote in der Dose, aber immerhin.«
»Und außerdem?« fragte Higgins.
»Viele Schüler haben überhaupt kein