Die Ordnung der Worte. Pål H. Christiansen

Die Ordnung der Worte - Pål H. Christiansen


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      »Ja?« meinte Helle.

      »Hast du dein Scrabble mit?« fragte ich.

      »Hab ich hier drin«, antwortete Helle und klopfte auf ihre Strandtasche.

      Higgins war durch mit dem Butterbrotpapier und fing mit Autos an. Als hart arbeitender Bildhauer hatte er schon seit längerem das Fehlen eines Fahrzeugs beklagt. Da er aus allem, was er an Müll und Überresten der modernen Wegwerfkultur fand, Kunst herstellte, schien ein Müllwagen keine schlechte Investition. Jetzt hatte er endlich das richtige Gerät, um seine ambitionierten Träume zu verwirklichen.

      »Was sagst du dazu?« fragte er und sah mich an, als wir auf der Bygdøy Allé im Feierabendstau standen.

      »Total Klasse«, sagte ich enthusiastisch, »gute Sitze, schöne Linien und nicht zuletzt viel Platz.«

      Ich war nicht der Typ, der einen aufstrebenden norwegischen Künstler mit schlechten Schwingungen herunterzog. Der einzige kleine Haken war der Geruch. Mir schien, als zöge eine schwache Ausdünstung von Müll aus Richtung des Fahrersitzes zu mir herüber. Möglicherweise hatte Hirschs feine Nase etwas aufgespürt, das uns anderen entgangen war.

      »Was verbraucht er auf hundert?« fragte ich.

      »Wie meinst’n das?« sagte Higgins und ging in Habacht-Stellung.

      »Er will wissen, wie viel Benzin er auf hundert Kilometer verbraucht«, erklärte Helle.

      »Verarschst du mich jetzt oder was?«, sagte Higgins, »das is’n Diesel.«

      Helles Handy klingelte. Haagen befand sich am äußersten Rand des Frognerparks und wollte mitgenommen werden. Higgins wuchtete den Wagen aus der Schlange und fuhr eine der Seitenstraßen hinauf.

      Wir fanden Haagen in der Halvdan Svartes Gate. Er stand am Christian-Krogh-Denkmal und wartete. Was die beiden sich zu sagen hatten, war nicht leicht zu erraten. Krogh saß da auf seinem dicken Hintern und sah hochgeistig aus, während Haagen herumstand, in seinem schwarzen Anzug schwitzte und das Saxophon unterm Arm trug. Er musste »Öppna landskap« in Rekordzeit gespielt haben und dann wie der Wind hierher gerannt sein.

      Wir waren nicht die einzigen, denen ein Strandausflug in den Sinn gekommen war. Ein Strom aus Autos und Menschen bewegte sich in Richtung Bygdøy. Die letzte Wärme wurde der Sonne abgerungen, kurz bevor die Körper endgültig in lange Jacken eingehüllt würden, um den beißend kalten Herbstwind abzuhalten.

      Es gab natürlich auch solche, die im Herbst und Winter in den Süden fahren konnten. Dichter und andere mit staatlichen Arbeitsstipendien, die mit ihren Kronen in wärmeren und billigeren Ländern länger auskamen. Da saßen sie dann am Strand und übten sich in Geistreichsein, eingelullt in einen Rotweinsuff vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Die konnten reisen, soviel sie wollten. Ich neidete ihnen keine einzige Krone ihrer Stipendien, obwohl ich selbst nie mehr als Professor Hüttleins Legat erhalten hatte. Dreitausend Kronen, gerade genug, um eine Zahnarztrechnung zu begleichen und einen neuen Bleistiftanspitzer zu erstehen.

      Nach der üblichen Diskussion darüber, wo wir uns niederlassen sollten, entschied Haagen die Sache, indem er mit dem Essen abdampfte. Wir folgten ihm, so gut wir konnten, und fanden ihn kniend unten am Strand damit beschäftigt, den Einweggrill anzufeuern.

      Higgings übernahm, als der Grill soweit war. Er legte unterschiedliche Würstchen in einem ausgeklügelten System auf den Rost, anscheinend, um den Platz optimal auszunutzen. Es gab sowohl Brat- als auch Bockwürstchen. Und noch eine kürzere Sorte? Was war das wohl? Spanische Würstchen aus Santiago de Compostela vielleicht mit Chilipfeffer und frommen Segenswünschen? Nein, waren doch eher etwas geschrumpfte Bockwürstchen, wie mir schien. Das war verdammt verwirrend, dass sie partout Würstchen unterschiedlicher Länge ausliefern mussten, und das sogar in ein und derselben Packung! Darüber würde ich mit Herman bei nächstbester Gelegenheit mal reden müssen.

      »Brat oder Bock?« fragte Higgins, als die Würstchen ein bisschen hatten anbrennen dürfen.

      »Was’ los?« fragte ich.

      »Brat oder Bock?« fragte Higgins.

      »Weißt du denn nicht, dass wir Dichter nicht mehr an der öffentlichen Debatte teilnehmen?« sagte ich.

      Higgins zuckte mit den Schultern.

      »Bull und so Jungs, die haben so was gemacht,« sagte ich, »Bjørnson und Wergeland auch. Und Welhaven.«

      »Es geht darum, was zu futtern, Hobo«, sagte Higgins.

      »Ach, streich Bull«, sagte ich.

      »Warum das denn?« fragte Helle.

      »Der war nur so’n Säufer«, sagte ich.

      »Nur?« fragte Helle.

      »Naja, vielleicht nicht nur,« sagte ich, »Aber behaupte mal nicht, er hätte nicht getrunken.«

      Higgins hob drohend die Würstchenzange, so dass ich mich lieber etwas zurückzog. Ja, und sah es nicht so aus, als ob auch Helle und Haagen etwas näherrückten und mich mit dem blutrünstigen Blick des Mobs fixierten?

      »Ja?« sagte ich.

      »Brat oder Bock?« fragte Higgins.

      »Das ist verdammt schwierig«, sagte ich.

      Nach dem Essen war Zeit für Scrabble. Das war wesentlich leichter gesagt als getan, denn der Boden war voller Wurzeln und Grasbüschel, und es wurde ziemlich schwierig, das Spielbrett flach hinzulegen. Immer lag es irgendwie schief und seltsam, egal, wie ich es anstellte.

      »Mist«, sagte ich, als die Steine vom Brett rutschten und sich zwischen Fichtennadeln und anderem Kram verstreuten.

      »Was ist denn?« fragte Helle.

      »Was für ein Scheißdreck«, sagte ich wütend und fühlte, wie mir der Schweiß ausbrach.

      »Beruhig’ dich mal«, sagte Helle.

      »Das ist, als wollte man einen Flugplatz in einer Schutthalde anlegen«, sagte ich.

      Helle holte ihren Pullover aus ihrer Strandtasche und – schwupp! – lag das Spielbrett gerade, einen Ärmel als Stütze unter der einen Hälfte. Ich küsste sie zärtlich auf die Stirn. Ihre praktische Vernunft war ein Grund dafür, dass ich sie liebte.

      Haagen und Higgins diskutierten irgendwas mit einer Veranstaltung im »Vier Hühner«. Haagen hatte als Idee, dass Higgins’ Auto eingesetzt werden könnte, ich verstand aber nicht ganz, wie und wobei. Ich hörte mit halbem Ohr zu und wartete darauf, dass Helle in die Gänge kam.

      »Eine ambulante Galerie?« fragte Higgins.

      »Nicht ganz«, sagte Haagen.

      »Ein ambulantes Orchester?« fragte Higgins.

      »Auch nicht ganz«, sagte Haagen.

      Ist ja immer alles nicht so einfach, dachte ich. Wenn man nur an sich selber denken musste, gab es nicht so viele Wenns und Abers. Ich warf einen Blick auf Helle. Eine leichte Brise zerwühlte ihr Haar, und sie schien ihre Gedanken ganz woanders zu haben als bei mir, während wir Scrabble spielten. Woran dachte sie? An die Klassenarbeiten, die sie korrigieren musste? An die Küche, die gestrichen werden sollte? Jambus und Trochäus? In ihrem Alltag gab es genug, an das man denken musste, genau wie bei mir.

      »Kannst du vielleicht einen Zahn zulegen?« sagte ich.

      »Haben wir’s eilig?« fragte Helle.

      »Es geht darum, das Tempo zu halten«, sagte ich, »um nicht die Konzentration zu verlieren.«

      »Da hast du den Unterschied zwischen Mann und Frau«, sagte Helle.

      »Ach ja?« fragte ich und witterte den Anfang einer interessanten Diskussion.

      »Ich als Frau begreife Scrabble als einen kontinuierlichen und nicht abgeschlossenen Prozess«, sagte Helle, »Kern der Sache sind die reine Freude am Wort und die Erforschung der Sprache.«

      »Und für den


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