Ulrike Woytich. Jakob Wassermann

Ulrike Woytich - Jakob Wassermann


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oft zu besuchen.“

      „Ich danke Ihnen,“ sagte Christine; „das war ein gutes Wort. Gute Worte hör ich selten. Kommen Sie nur. Kommen Sie jeden Tag, so oft Sie können. Ich freue mich darauf.“

      Sie gingen ein Stück über den Flur, an dessen Wänden Etageren mit Zinnfiguren angebracht waren. „Etwas müssen Sie gleich erfahren“, begann Christine wieder mit vorsichtig gedämpfter Stimme, „sonst könnten Sie am Ende doch der Ansicht sein, dass Mylius das Opfer seiner Familie ist: so sind die Verhältnisse nicht, wie er sie in seinem Pessimismus schildert, das kann Ihnen jeder Mensch in der Stadt bekräftigen. Sein Antiquitätengeschäft ist in ganz Europa bekannt, H. O. Mylius, erkundigen Sie sich, bei wem Sie wollen. Ich weiss natürlich nicht, ob Vermögen da ist und wieviel; darüber spricht mein Mann nicht mit mir, das geht gegen seine Grundsätze, die ich zu respektieren habe. Ich weiss nicht, ob er grosse Gewinne hat oder nicht, ich frage ihn nicht. Nur soviel weiss ich, dass er mich und die Kinder über das Gebührliche knapp hält. Solche Auftritte wie heute kommen ja selten vor, aber ganz zu vermeiden sind sie nicht. Er kann nicht anders, der arme Mann, es ist stärker als er, und ich sage es Ihnen nur, weil es leider nicht zu verhehlen ist und weil Sie noch manches davon erleben werden, wenn Sie nun trotzdem noch Lust haben sollten, zu uns zu kommen.“

      „Das wär noch schöner, wollt ich mich durch so was abschrecken lassen,“ sagte Ulrike mit ihrer tiefen, Zutrauen erweckenden Stimme; „im Gegenteil, mir scheint, ich kann Ihnen da in vieler Beziehung nützlich sein. Erstens bin ich selber nicht auf Eiderdaunen gebettet; zweitens bin ich der geborene Blitzableiter; drittens bin ich entschlossen, für Sie durchs Feuer zu gehen, wenn Sie mich ein bisschen liebhaben wollen.“

      Christine griff gerührt nach ihrer Hand, und sie betraten auf Zehen das Zimmer der schlafenden Josephe.

      Es hätte der schüchternen Aufklärung Christines nicht bedurft. Ulrike hatte ihre Zeit nicht verloren. Ihre Beobachtungen hatten ihr die Gewissheit verschafft, dass sie sich nicht bei armen Leuten, nicht in einem wirtschaftlich sinkenden Wesen befand. Des Herrn Mylius Standrede konnte sie nicht irreführen; in dem Punkt besass sie untrügliche Witterung.

      Zuerst allerdings hatte ihr die Wohnung den Eindruck der Kleinbürgerlichkeit gemacht. Wäre es dabei verblieben, so hätte sie die Flucht ergriffen; Kleinbürgertum war eben das, was sie zu meiden gesonnen war. Da stand und lag alles so eng und so dicht und so gezählt; die Räume dumpf und niedrig; es fehlte Bequemlichkeit, Freiheit, generöse Absicht. Zier und Behänge waren da, weil sie da sein mussten, nicht weil man sie schätzte oder hütete. Etwas Liebloses lastete über den Dingen.

      Aber Ulrike sah, dass die Möbel, ohne gerade prunkvoll zu sein, solid und stattlich waren; keine Dutzendstücke, keine Vorstadterzeugnisse; die Teppiche: echtes Material; das Linnen: feinste Qualität; das Tischbesteck: massives Silber; die goldgerahmten Gemälde an den Wänden: Originale von Künstlern und alt. Sie sah da und dort Gegenstände von unbezweifelbarer Kostbarkeit: eine Nippesfigur, eine Bronze, einen Leuchter, eine Kristallschale, eine chinesische Vase. Freilich konnte sie der Alte aus seinem Laden hergeschleppt haben, um sie allenfalls hier feilzubieten und so auf billige Manier zu einer Ausschmückung zu gelangen, die dann wieder wandern musste. Doch den Gedanken verwarf Ulrike; er dünkte ihr nicht vereinbar mit dem Charakter des Mannes; der lieh nicht, auch sich selber nicht; der mogelte nicht; bei dem war alles unverfälscht und an der richtigen Stelle.

      Täuschung war kaum möglich: hier war Wohlhabenheit, jene Gediegenheit des Besitzes, die man bei bescheidener äusserer Gebarung nur selten antrifft.

      Nichts entging ihrem spähenden Auge, dessen Ausdruck sie jedoch so zu beherrschen wusste, dass niemand seine unermüdliche Wachsamkeit auch nur ahnen konnte. Sie verglich die Dinge mit den Menschen; sie riet den Dingen die Gewohnheiten der Menschen ab, Eigenschaften und Art. Sie betrachtete die beiden stillen jungen Mädchen, denen sie nur wenige Jahre im Alter voraus war; betrachtete sie in ihren unscheinbaren, fast ärmlichen Gewändern und wie geduckt sie waren, wie man spürte, dass sie um ihre gewürgte Jugend trauerten und sich ergeben durch die Tage schleppten ohne die leiseste Regung von Rebellion; den Sohn mit dem Gesicht eines reizenden Galgenstricks, voll Begehrlichkeit und heimlicher Gelüste, während ihn die Furcht vor dem Vater in Bann hielt und auf den vorgeschriebenen Weg zwang; die jüngste mit den glühend-fragenden Augen einer Schwärmerin; die Mutter, zarte, schüchterne Gestalt, beschwichtigend, versöhnend, verschleiernd, vermittelnd zwischen Mann und Kindern, dabei selbst geknechtet, mit einem Schein von Ratlosigkeit in den schönen Augen; zuletzt den Alten mit seinem pfiffigen Schmunzeln, das er sich wahrscheinlich im Beruf angewöhnt hatte, wenn er Käufer und Verkäufer beschwatzte, seinen vogelhaften Kopfbewegungen, seinem Tyrannengebaren und beständigen Gerüstetsein gegen Lebensdrang und Lebenslust und der verräterischen Angst, die dahinter flimmerte.

      Mit dem Alten ist etwas los, sagte sich Ulrike kampflustig, der Alte hat ein Geheimnis; von welcher Beschaffenheit es ist, darauf zu kommen wird vielleicht nicht schwer sein, aber es ihm zu entreissen und Nutzen daraus zu ziehen, bedarf der Schlauheit und Geduld. Möglich dass sich die Mühe lohnt, überlegte sie weiter; es wäre ein Ziel für mich, endlich einmal was, das einem Spass machen könnte. Wer weiss, wohin es führt und welche Überraschungen einem da bevorstehen. Offenbar betrügt er die ganze Familie und spielt den armen Teufel nur, um sie nicht merken zu lassen, was für Reichtümer er in alter Stille zusammengescharrt hat; dergleichen wäre ihm wohl zuzutrauen; sie müssen darben und vor ihm zittern, indes er auf der gefüllten Geldtruhe hockt und sich ins Fäustchen lacht. Verhält es sich so, mein Guter, dann werd ich dir heimleuchten, dann hat dein Stündlein geschlagen.

      Sie lächelte vor sich hin, in einen Plan verliebt, der sich, ungreifbar noch aber verlockend, in ihr formte.

      In den nächsten Tagen horchte sie viel herum. Das Myliussche Geschäft war in der Himmelpfortgasse; bei gelegentlichen kleinen Einkäufen brachte sie geschickt einige Ladeninhaber in der Nähe über das, was sie von Mylius wissen konnten, zum Reden. Hierbei kamen ihr ihre guten Manieren zustatten, ihre gewinnende Herzlichkeit und Unbefangenheit, vor allem die humorige Art, womit sie insbesondere Leute aus dem Volk zu fassen verstand.

      Eine andere Nachrichtenquelle war ein mit der Familie Mylius seit zwanzig Jahren im selben Haus wohnendes altes Fräulein, von dem sie zufällig erfahren hatte, dass es vorzeiten mit ihrem Onkel, dem Hofrat, bekannt gewesen war; der Bruder dieses Fräuleins von Elmenreich nämlich und der Hofrat waren in den fünfziger Jahren einmal in der gleichen Hofkanzlei gesessen; jetzt lebte der Sohn des verstorbenen Bruders bei ihr, Schulkamerad und Intimus von Lothar Mylius. Ulrike machte Fräulein von Elmenreich einen Besuch, nachdem sie sie am Tag vorher auf der Treppe so freudig begrüsst hatte, als wäre sie seit langem von der Sehnsucht verzehrt gewesen, ihr zu begegnen. Die Anknüpfung war leicht, der Hinweis auf den Hofrat entzückte die einsame Alte, die sofort ihre Erinnerungen auskramte, und da sie sich auch sonst äusserst mitteilsam zeigte, verhehlte sie ihrem jungen Gast nichts, was zu ihrer Kenntnis gelangt war.

      Das erste Ergebnis von Ulrikes Kundschaftertätigkeit war ungefähr dies. Mylius wie auch seine Frau stammten aus dem Rheinhessischen. Er war der Sohn eines protestantischen Pastors, hatte Theologie studiert und dann Kunstgeschichte. Es war ihm nämlich eine kleine Erbschaft zugefallen, die ihm neben der Möglichkeit umzusatteln auch die bot, nach Italien zu reisen und einige Zeit in Rom zu leben. Dort hatte er dann abermals den Beruf gewechselt und war Kunsthändler geworden. In die Heimat zurückgekehrt, liess er sich in Frankfurt nieder und heiratete alsbald. Christine war aus einer alten, obschon verarmten Patrizierfamilie, eine geborene Vollprecht; ihr Vater war vor der Märzrevolution grossherzoglicher Staatsminister gewesen, ein Mann von Bildung und Geist. Als er starb, reichte die Hinterlassenschaft nicht einmal hin, um die Schulden zu tilgen, und Christine durfte sich nicht lang besinnen, als Mylius um ihre Hand anhielt. Doch mit der jungen Wirtschaft wollte es nicht vorwärts gehen, Mylius entschloss sich, die Gegend zu verlassen, und verlegte seinen Wohnsitz nach Wien. Er verzichtete auf den ausschliesslichen Handel mit Bildern und warf sich auf das Antiquitätengeschäft. Das war zu Anfang der sechziger Jahre. Zuerst schien es ihm auch in dem neuen Domizil nicht recht zu glücken, aber eines Tages hatte er den spekulativen Einfall, den ganzen beweglichen Besitz eines unlängst verstorbenen Grafen Zierotin, der der Letzte seines Geschlechtes war, zu erwerben; es gelang ihm unter günstigen Bedingungen, und seitdem hatte er sich langsam und


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