Blutläufer 2: Aufstand der Sklaven. Stefan Burban

Blutläufer 2: Aufstand der Sklaven - Stefan Burban


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Stadt London, einst voller Leben und Kultur, war nun ein Ort des Schreckens und der Verzweiflung. Die Menschen wurden hier lediglich in zwei Kategorien eingeteilt: Täter und Opfer. Und er hatte früher zu den Tätern gehört.

      Hin und wieder schreckte die zwei Wanderer ein Geräusch auf. Immer wenn sie sich in die entsprechende Richtung wandten, war nichts zu sehen – oder lediglich im Halbdunkel schimmernde Augen, die sie aufmerksam und oftmals voller Furcht beobachteten. Die Menschen von London hatten aus bitterer Erfahrung gelernt, sich vor dem Fremden zu fürchten.

      Michael blähte unbewusst seine Brust auf. Falls er hier etwas mitzureden hatte, dann würde sich das vielleicht irgendwann wieder ändern. Nicht nur hier, sondern überall auf der Erde. In ständiger Furcht zu leben, war kein Leben.

      Mit einem Mal bemerkte er, wie Fabian ihn von der Seite her angestrengt musterte. Michael machte eine verkniffene Miene. »Du hast was zu sagen?«, forderte er seinen Begleiter auf.

      Dieser zögerte. »Ich frage mich nur gerade, wie das alles für dich sein muss.«

      »Beschissen«, erwiderte Michael kurz angebunden.

      »Beschissen? Das ist alles?« Fabian verkniff sich ein schmales Schmunzeln.

      »Das reicht doch vollkommen«, erwiderte Michael. »Ein Wort, das alles aussagt.«

      »Das stimmt allerdings«, meinte Fabian immer noch leicht amüsiert. »Ich dachte nur, du willst dich vielleicht ein wenig über deine Eindrücke nach so vielen Jahren der Abwesenheit austauschen.«

      Michael warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Bist du jetzt mein Beichtvater?«

      »Brauchst du denn einen?«

      Michael zögerte einen unendlich scheinenden Moment lang. »Manche Dinge sind unverzeihlich.«

      Daraufhin warf Fabian ihm einen unergründlichen Blick zu. Der Blutläuferoffizier zuckte schließlich die Achseln und entschied offenbar, es dabei bewenden zu lassen.

      Michael hielt das für eine kluge Entscheidung. Manche Dinge sollten besser nicht angesprochen werden. Sie schlenderten eine Weile dahin. Die Hauptstraße wurde gesäumt von unzähligen Fahrzeugen, allesamt verrostet. Der Zahn der Zeit nagte aber nicht nur am Material, sondern auch am Fleisch. An mehr als nur einem Lenkrad saß eine Leiche, die nurmehr die Überreste verrotteter Kleidung am Leib trug. Alles Fleisch war verwest und selbst die Maden, die es verspeist hatten, waren längst zu Staub zerfallen.

      »Warst du schon mal hier?«, wollte Michael plötzlich wissen. »Ich meine, vor der Invasion.«

      Fabian sinnierte ausgiebig über die Frage nach. Michael dachte schon, sein Kamerad würde gar nicht mehr antworten. Als er es doch tat, klang seine Stimme seltsam abwesend. Als wäre es zu schmerzhaft, auch nur die geringste durch die Erinnerung hervorgerufene Emotion zuzulassen.

      »Zweimal. Als ich noch Schüler war. Im Rahmen eines Austausches. London war wunderschön und ich empfand es als sehr exotisch. Voller Leben, Geschichte und vielfältiger, wunderbarer Menschen.«

      Michael nickte. »Der Tower von London, die Tower Bridge, Madame Tussaud’s … alles ist nun weg. Für immer verloren.«

      Voraus kam eine alte Barrikade in Sicht. Ein klobiger Challenger-2-Panzer thronte über zwei schweren MG-Nestern. Der verrostete Geschützturm deutete nach Norden und drohte einem Feind, der diese Verteidigungslinie bereits vor Jahrzehnten überrannt hatte. Die beiden Blutläufer sprangen ohne große Mühe über die Sandsäcke hinweg. Fabian landete in einem Gewirr ausgebleichter Knochen. Bei einigen von ihnen waren noch britische Uniformen erkennbar. Aber nicht ausschließlich. Andere Soldaten gehörten den USA, Irland, Frankreich und Deutschland an.

      Michael erinnerte sich noch an die letzten Kriegswochen und -monate. Damals waren gemischte NATO-Verbände an allen Brennpunkten eingesetzt worden. Freunde und Nachbarn hatten einander beigestanden im Augenblick größter Not. Alte Feindschaften und Rivalitäten waren beigelegt worden im Angesicht eines gemeinsamen Feindes. Einheiten der deutschen Bundeswehr hatten bei der Verteidigung von Paris, London, Dover und Straßburg geholfen, Franzosen und Polen beim Kampf um Berlin und Hamburg. Ägypten, Jordanien und Israel hatten gemeinsam Jerusalem verteidigt.

      Michael hielt inne. Es war traurig, dass dieser Anflug internationaler Solidarität nur Monate gedauert hatte, bevor die ganze Welt zurück in einen Zustand permanenter Barbarei zurückfiel. Und er selbst war Teil davon gewesen. Nach all diesen Jahren erneut auf den Straßen von London zu wandeln, hatte etwas Surreales an sich. Was aber noch schwerer wog, es hatte etwas brutal Ernüchterndes.

      Hinter dem Challenger 2 kamen zwei ausgebrannte deutsche Leopard 2 sowie ein zerstörter französischer Leclerc in Sicht. Und etwas die Straße hinab lagen die Gerippe eines imperialen Achilles-Panzers sowie eines Skorpions.

      Fabian lächelte. »Schön zu sehen, dass der Widerstand nicht gänzlich erfolglos verlaufen ist.«

      »Dasselbe habe ich auch gerade gedacht.«, erwiderte Michael. Er sah zum Himmel. »Ich schätze, wir haben noch etwa drei Stunden Tageslicht. Das sollten wir nutzen und so schnell wie möglich in die Innenstadt kommen.«

      Fabian wollte gerade antworten, als sie von einer unbekannten Stimme angesprochen wurden. »Ihr rührt euch nicht von der Stelle!«

      Michael und Fabian erstarrten. Zwischen den Trümmern und Ruinen tauchte eine grobschlächtig wirkende Meute von Männern und Frauen auf. Sie wirkten abgerissen und ungepflegt, aber auch verblüffend gut genährt. Und jeder Einzelne von ihnen war bewaffnet. Es handelte sich um Hieb- und Stichwaffen. Niemand trug eine Schusswaffe. Nun, das war immerhin ein Lichtblick.

      Fabian tastete verstohlen nach dem Schalter für die Rüstung, aber Michael hielt ihn zurück. »Noch nicht. Vielleicht können wir das auch friedlich regeln.«

      Fabians Blick zuckte umher. »Und da bist du dir sicher?«, entgegnete er wenig überzeugt.

      »Nein«, gab Michael zu. »Aber wenn sie die Rüstung sehen, sind sie entweder weg oder fallen über uns her.«

      »Das würde nicht gut für sie ausgehen.«

      »Das wissen sie aber nicht.« Michaels Blick glitt über die Menschenmenge. Es waren mindestens fünfzig. »Lass mich das regeln.«

      Fabian senkte langsam seine Hand. »Es ist deine Nachbarschaft. Aber mach schnell, ich werde gerade so richtig nervös.«

      Michael nickte. Er konnte die Gefühle des anderen Blutläufers durchaus nachvollziehen. Ihre Ausbildung hatte Dinge wie Diplomatie und friedliche Problemlösungsstrategien nicht beinhaltet. Die Ashrakausbilder hatten sie gelehrt, Bedrohungen auszuschalten: schnell, gründlich und endgültig.

      Michael trat vor und stellte sich dem Mann, den er für den Anführer hielt. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, erhob dieser die Stimme. »Diese Straße gehört den Flesh and Bones. Wer hier passieren will, muss Wegzoll zahlen. Was immer ihr bei euch habt, gehört jetzt uns.«

      »Flesh and Bones! Flesh and Bones! Flesh and Bones!«, skandierte die Menge und schwenkte dabei angriffslustig ihre Waffen.

      »Die Flesh and Bones?«, wisperte Fabian ihm zu. »Du hattest gesagt, ihr Territorium ist noch mindestens eine Stunde entfernt.«

      »Meine Informationen sind schon längst veraltet«, gab Michael leise zurück. »Sie müssen ihr Gebiet ausgeweitet haben. Das birgt aber ein paar Probleme für uns.«

      »Nämlich?«

      Michael schluckte. »Um ihr Gebiet bis hier auszuweiten, mussten sie drei andere Gangs entweder schlucken oder vernichten. Das bedeutet, sie sind weitaus aggressiver als noch zu meiner Zeit. Es sind jetzt Expansionisten.«

      »Großartig!«, kommentierte Fabian, dem dicke Schweißtropfen von der Stirn perlten.

      Michael erhob die Stimme. »Wer führt die Flesh and Bones jetzt?«

      »Wer will das wissen?«, fragte der Anführer provokant.

      »Sieh dir mal die Typen an, Justin«, mischte sich ein anderes Bandenmitglied


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