Erfüllt. Elke Mölle

Erfüllt - Elke Mölle


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und Gemeinschaft. Dafür sind wir geschaffen, für ein Leben in der Gegenwart Gottes, für Lebendigkeit, Leidenschaft, Glückseligkeit, Kreativität, Schönheit, Liebe. Wir sind für ein Paradies gemacht! Aber wir haben es verloren. Ganz tief in uns ist jedoch immer noch das Wissen um das Paradies, und in bestimmten Situationen ist dies deutlich spürbar. Unser Weltschmerz rührt daher, dass wir intuitiv wissen, dass die Welt, so wie sie ist, nicht so ist, wie sie eigentlich sein sollte. Es ist die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies in uns Menschen, die uns danach streben lässt, glücklich zu sein. In uns gibt es etwas, das uns sagt: Wir sollten eigentlich glücklich sein, dafür sind wir gemacht. Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass dieses Sehnen gottgegeben und gottgewollt ist.

      Die Frage ist nur, welche Idee der Schöpfer hatte, wie unsere Sehnsucht nach Glück und nach dem Paradies gestillt werden soll. Wir Menschen haben ja so unsere eigenen Ideen, wie wir glücklich werden könnten. Aber offensichtlich geht unsere Vorstellung nicht auf, dass wir durch irgendetwas aus der geschaffenen Welt dauerhaft glücklich werden könnten. Denn sonst würden überall strahlende Menschen herumlaufen, die vor lauter Glücksgefühlen Purzelbäume schlagen. Jeder von uns erlebt immer wieder, dass weder Menschen noch Dinge uns anhaltend sättigen können. Nichts Materielles, nichts Menschengemachtes, kann uns das verlorene Paradies zurückgeben. Und trotzdem versuchen wir andauernd, durch Geschaffenes Erfüllung zu finden, Leben zu haben und glücklich zu werden – und scheitern daran.

      Der Neurologe und Psychiater Konrad Stauss formuliert das sehr schön im Blick auf Beziehungen zwischen Menschen: »In sozialen Beziehungen bleibt ein nicht auflösbarer Rest, ein nicht sozialisierbarer Kern, eine Einsamkeit, die keine menschliche Nähe ausfüllen kann, die in der unmittelbaren Beziehung zu Gott begründet ist.«1 Aber nicht nur in menschlichen Beziehungen merken wir, dass uns etwas fehlt, sondern auch in allen anderen Dingen des Lebens. Denn in uns, in unserem tiefsten Inneren, sehnt sich unser Herz nach Leben, Vollständigkeit und einem Happy End. Die Leidenschaft und die Träume, die Ängste und die Wunden, die wir in den Tiefen unseres Herzens finden, geben Zeugnis davon, dass irgendwo noch mehr sein muss.

      Gott hat uns bewusst so geschaffen, mit einem Sehnen in uns, einem Loch, das nur er selbst füllen kann, einem »gottförmigen Loch«, wie es der französische Philosoph Blaise Pascal 1670 beschrieb.2 Im Paradies wurde dieses direkt von Gott gefüllt, dort konnten Adam und Eva unmittelbare Nähe zu Gott erleben und genießen, ohne Angst, ohne Scham sich zeigen, einfach in der Herrlichkeit sein. So war es von Anfang an gedacht. Und danach sehnen wir uns immer noch.

      Das Sehnen in unserem Herzen kann auf Dauer nicht durch Prinzipien oder Programme, durch Aktionismus oder Rationalismus befriedet werden. Wenn wir das versuchen, wird früher oder später etwas in uns sterben. Oder wir werden irgendwann ausbrechen und uns verzweifelt Wege suchen, wie wir uns wieder lebendig fühlen können, ohne Rücksicht auf Verluste. Meistens hinterlassen wir dann einen riesigen Scherbenhaufen. Aber es ist einfach eine Tatsache: Unser Herz will leben. Da ist etwas Wildes, Unzähmbares in uns, das leben will.

      Weißt du, was dein Herz lebendig macht? Was dich dazu bringt, tief aufzuatmen und das, was in dir ist, zu entfalten? Mein Herz wird lebendig durch Leidenschaft, Schönheit, Geheimnisse, Poesie, Kunst und gute Geschichten. Viele von uns haben Geschichten, die sie im Tiefsten berühren. Bei mir ist es zum Beispiel das Aschenputtel-Motiv. Wo immer es vorkommt, in einem Buch oder einem Film, da reagiert mein Herz sehr tief darauf, und oft berührt es mich dann so sehr, dass ich weine. Es lässt in mir eine Ahnung davon anklingen, dass diese Geschichte eine Wahrheit in sich birgt, die für alle Menschen und somit auch für mich gilt.

      Es ist wichtig, dass wir mitbekommen, worauf unser Herz positiv reagiert und wo es sich lebendig fühlt, denn das hat sehr viel mit unserer eigentlichen Bestimmung zu tun. Es lohnt sich, dass wir hier ein Gespür entwickeln, uns Zeit nehmen, uns selbst kennenlernen. Unser Herz ist ein großer Schatz. Ein Geheimnis. Eine Tür, Gott und seine Sicht der Welt kennenzulernen.

      Jesus war ein Meister im Erzählen von Geschichten, als er als Mensch auf der Erde lebte. Interessanterweise hielt er aber keine Vorträge, um den Menschen Informationen zu geben und den Verstand anzusprechen, sondern er sprach mit bildhaften Geschichten das Herz an. Mit den Fragen, die er einzelnen Menschen stellte, kam er immer direkt auf den Punkt, um den es bei dem angesprochenen Menschen im Innersten ging. Er zielte auf das Herz der Person, das wollte er ansprechen und gewinnen.

      Die Ahnung vom Paradies und die Sehnsucht danach werden für uns in bestimmten Momenten unseres Lebens ganz besonders spürbar. Bei einem Spaziergang durch die Natur, beim gemeinsamen Lachen mit Freunden oder mit der Familie, beim Hören unserer Lieblingsmusik, beim Staunen über einen Sonnenuntergang oder über die Meereswellen, häufig auch bei der Geburt eines Kindes. In Zeiten größten Leides wird uns vielleicht noch mehr bewusst, was wir mit dem Paradies verloren haben: wenn ein geliebter Mensch krank wird oder stirbt, wenn eine Ehe zerbricht, wenn eine Tragödie passiert. Dann kommt die Frage nach der Ewigkeit auf, und wir trauern dem Verlorenen nach, fühlen, dass unser Durst nach Leben jenseits unseres irdischen Lebens gestillt werden muss. Die Sehnsucht ist eigentlich die stärkste Kraft in uns, die uns mit Macht dazu drängt, einen Sinn in unserem Leben zu finden, glücklich zu werden, ganz und heil zu werden, richtig lebendig zu sein. Ich bin überzeugt, die Stimme, die uns erinnert, die uns zurückruft, die uns all diese Wünsche und Bedürfnisse gibt, ist die Stimme Gottes.

      Götze Glücklichsein

      Nun kann es aber auch passieren, dass der Weltschmerz so groß und laut wird, dass wir nur noch unsere Sehnsucht nach dem Paradies spüren und regelrecht darin verloren gehen. Dann wird die gottgegebene Sehnsucht schnell zu einer ungesunden Sucht nach Glück.

      In unserer heutigen Gesellschaft liegt so eine besondere Betonung auf der Suche nach dem Glücklichsein. In anderen Jahrhunderten hat sich die Frage vielleicht viel weniger gestellt, weil es oft um das pure Überleben in Kriegs- oder Hungerzeiten ging. Da war die Frage, die die Menschen bewegte: Wird es morgen noch etwas zu essen geben, werden wir morgen noch leben, oder werden wir vom Kriegsgegner getötet werden? Wird diese Krankheit, diese Verletzung tödlich sein, oder werden wir sie überleben? Heute leben wir in einer Zeit und in einem Land, wo unsere Grundbedürfnisse nach Nahrung, Schutz, Wohnung und Gesundheitsfürsorge in der Regel abgedeckt sind, und dadurch haben wir Zeit und Gelegenheit, über unser Glücklichsein oder unser Unglücklichsein nachzudenken. Manche Menschen in anderen Kulturen haben diesen Luxus auch heute nicht, da geht es immer noch um das nackte Überleben.

      Bei uns, in unserer postmodernen Gesellschaft, ist das persönliche Glück geradezu ein Götze geworden. Ein Götze ist etwas oder jemand, der all unsere Zeit, unsere Aufmerksamkeit, unseren Fokus, unsere Worte, unsere Gedanken und unser Geld in Beschlag nimmt. Daran können wir Götzen in unserem Leben erkennen. Das ist dann unser höchstes Gut, dem jagen wir mit aller Kraft nach. Dem Götzen »Glücklichsein« werden, wie bei jedem Götzendienst üblich, Opfer dargebracht. Ehen sterben auf dem Götzenaltar: Wenn du mich nicht mehr glücklich machst, verlasse ich dich und suche mir jemanden, der mich glücklich macht. Sogar Menschenopfer werden dem Götzen gebracht: Babys, die dem individuellen Glück der Mutter oder des Vaters vermeintlich im Weg stehen, werden geopfert und im Mutterleib getötet. Abtreibung ist weltweit gesehen mit Abstand die häufigste Todesursache; die zweithäufigste sind Herzkrankheiten.

      Man sollte meinen, dass in einer Gesellschaft, in der es weitgehend normal ist, eine gute Ausbildung zu bekommen und auch einen Arbeitsplatz, um sich und seiner Familie ein Leben im relativen Wohlstand zu ermöglichen, der Zufriedenheitspegel hochgeht und die Menschen glücklicher werden. Es ist aber nicht so. Psychosomatische Kliniken sind voll, Psychotherapeuten aller Art haben lange Wartezeiten. Überall hört man von Überforderung und Erschöpfung, Burn-out gilt als Volkskrankheit. Bei uns Christen sieht die Bilanz nicht wesentlich anders aus; wir scheinen uns nicht allzu sehr abzuheben von der Grundbefindlichkeit unserer Gesellschaft.

      Die Suche nach dem verlorenen Paradies

      Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, der Weltschmerz, treibt uns dazu, nach Wegen zu suchen, wie wir glücklich werden können. Das gilt für jeden Menschen überall auf der ganzen Welt.

      Wie versuchst


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