Rembrandt. Hermann Knackfuss
abschloß, eine aus Gerippen gebildete Darstellung des Sündenfalles. Regelmäßig gehörten zur Ausstattung dieser Säle die Bildnisse der Wundärzte, welche in der betreffenden Stadt zu Ansehen gekommen waren; wie im allgemeinen in Holland eine besondere Art der Bildnismalerei, das Genossenschaftsbild, beliebt war, so ließen auch die Chirurgen gern ihre Bildnisse in einem gemeinschaftlichen Bilde vereinigen, dessen Mittelpunkt der an der Leiche oder am Gerippe erklärende Professor bildete. Eine Aufgabe solcher Art war es, die Rembrandt als einem nun schon zu gutem Namen gelangten Bildnismaler gestellt wurde durch den Auftrag, das Porträt des Anatomieprofessors Nikolaas Tulp im Verein mit den sieben Vorstehern der Amsterdamer Chirurgengilde zu malen. Rembrandt hat es mit hoher Meisterschaft verstanden, aus der Nebeneinanderstellung einer Anzahl von Bildnissen ein einheitliches, in sich abgerundetes und schon an und für sich als Komposition den Beschauer fesselndes Kunstwerk, ein Bild im besten Sinne des Wortes zu schaffen. Auf einem Tische liegt, verkürzt von unten gesehen, die Leiche; sie ist in ihrer oberen Hälfte hell beleuchtet und bildet so als große Lichtmasse ein Gegengewicht gegen die vereinzelt auf den dunklen Kleidern und dem dunklen Hintergrunde hervorleuchtenden Gesichter mit den weißen Halskrausen. Tulp, der den Hut auf dem Kopfe hat, während seine Zuhörer ihn barhäuptig umgeben, hat an der Leiche den linken Vorderarm der Haut entkleidet und erklärt dessen Muskulatur; er hebt gerade einen der Beugemuskeln der Finger heraus, und indem er die Finger der eigenen linken Hand beugt, veranschaulicht er die Thätigkeit, welche diesem Muskel im Leben zukommt. Wir fühlen, wie der Anatom fast unabsichtlich die Muskeln, über die er spricht, bei sich selbst in Wirkung setzt, und bewundern Rembrandts feine und scharfe Beobachtung. Die Vorsteher der Chirurgengilde, teils sitzend, teils sich herandrängend, folgen mit verschiedenartig abgestufter Aufmerksamkeit dem Vortrage des Professors (Abb. 20). Der Kopf des letzteren ist ein Meisterwerk der Bildniskunst (Abb. 23). Wenn sich auch nicht das Gleiche von den sämtlichen Köpfen der Hörer sagen läßt, so finden sich doch auch unter diesen einige ganz vortreffliche und alle sind sie von innerem Leben erfüllt (Abb. 21 und 22). Das Gemälde befand sich lange an seiner ursprünglichen Stelle, in der „Snykamer“ (Schneidezimmer) zu Amsterdam; 1828 kaufte König Wilhelm I dasselbe der Chirurgengilde für 32 000 Gulden ab, um es der Gemäldesammlung im Haag einzuverleiben.
Jedenfalls trug das Anatomiebild viel dazu bei, Rembrandts Ruf als Bildnismaler zu erhöhen; aus dem Jahre 1632 sind mehr als zehn auf Bestellung von ihm gemalte Einzelbildnisse nachgewiesen, unter denen vielleicht das in der Kasseler Gemäldegalerie befindliche meisterhaft gemalte, lebensvolle Bild eines Mannes, der sich die Feder schneidet, angeblich des Amsterdamer Schreibmeisters Coppenol, das vorzüglichste ist (Abb. 24).
Abb. 28. Der heilige Hieronymus im Gebet. Radierung von 1632.
Abb. 29. Die große Auferweckung des Lazarus.
Radierung (stark verkleinert).
Abb. 30. Der barmherzige Samariter. Radierung von 1633.
Dabei ließ Rembrandt die Radiernadel niemals ruhen. Er setzte seine Studien nach dem Leben unermüdlich fort, und neben Gestalten aus dem Volke hielt er gelegentlich eine fremdartige ausländische Erscheinung fest, wie jenen seltsam gekleideten Mann, der den Kupferstichsammlern unter dem Namen „der Perser“ bekannt ist (Abb. 25). Manches, was er in den Straßen der Stadt und auf ländlichen Spaziergängen sah, gestaltete er zu seinen Genrebildchen, denen er durch hochkünstlerische Ausführung einen unvergänglichen Reiz verlieh. Ein köstliches Beispiel ist der „Rattengifthändler.“ Es ist ein schauderhafter Kerl, den wir da in einer Dorfstraße von Haus zu Haus ziehen sehen, einen Säbel an der Seite und eine Stange mit einem Korb in der Hand, von dem tote Ratten herabbaumeln, während auf seinem Rande eine lebende Ratte herumklettert und ein anderes dieser Tiere auf der Schulter des Mannes sitzt, um von dessen Macht über ihresgleichen sichtbares Zeugnis abzulegen; fast noch schauderhafter als der Rattenfänger ist sein Begleiter, der Knabe mit der Giftschachtel, ein Urbild körperlicher und geistiger Verkommenheit; wir begreifen die Gebärde des Ekels, mit welcher der alte Jude, der da auf den unteren Flügel seiner Hausthür gelehnt ins Freie schaut, die Hand zurückweist, die ihm den Rattentod anbietet (Abb. 26). Ein Beispiel anderer Art ist die rührende Gestalt des von seinem Hündchen geführten blinden Geigenspielers (Abb. 27). In allen seinen Darstellungen entfaltet Rembrandt neben der Gabe, die Persönlichkeiten, so wie er sie gesehen oder sich gedacht hat, aufs treffendste zu charakterisieren, die noch unvergleichlichere Gabe, den Beschauer in den Gesichtern lesen zu lassen, was die Persönlichkeiten in dem gegebenen Augenblick denken, und ebenso wie die stärksten Empfindungen die feinsten Regungen der Seele zum Ausdruck zu bringen. Er thut nichts dazu, eine Darstellung launig oder ernst wirken zu lassen; er gibt nur immer die Sache selbst, und durch die Unmittelbarkeit, mit welcher das scharf und richtig Geschaute – im Geist oder in der Wirklichkeit Geschaute – wiedergegeben wird, wirkt ganz von selbst, wie im Leben, so in der Verbildlichung das Komische komisch und das Ernste ernst. Diese Tiefe der Auffassung verleiht auch Rembrandts religiösen Darstellungen einen so hohen Wert, wenn uns auch deren äußere Form, weil uns ungewohnt, fremdartig vorkommen mag. Niemals wohl sind die Empfindungen eines Mannes, der in heißem Gebet um Erleuchtung fleht, mit größerer Tiefe und in schlichterer Klarheit zum Ausdruck gebracht worden, als in dem Blatt von 1632: „der heilige Hieronymus“ (Abb. 28). Zugleich läßt dieses Blatt, das mit leichter und schneller Hand ausgeführt ist, Rembrandts große Begabung für das Landschaftliche erkennen. – Im Besitz einer unübertrefflichen Fertigkeit in der Handhabung der Radiernadel begnügte sich Rembrandt nicht mehr damit, Studien und Kompositionen in kleinerem Maßstabe, mehr für sich selbst als für andere, in Kupfer zu ätzen. Er trat mit großen, sorgfältig ausgeführten und in Wirkung gebrachten Radierungen biblischen Inhaltes an die Öffentlichkeit. An der Spitze dieser Blätter steht die „Auferweckung des Lazarus,“ die zum Unterschied von einem späteren, kleineren Blatte desselben Inhalts „die große“ genannt wird. Es ist eine Äußerung stärkster und kühnster Phantasie, seltsam beim ersten Anblick, aber unmittelbar ergreifend durch die malerische Wirkung von hell und dunkel und wie mit Zaubermacht fesselnd bei näherer Betrachtung. Wir befinden uns in einer phantastischen Räumlichkeit; der Gruftbau ist mit Vorhängen ausgestattet und an den Wänden mit den Waffen des Verstorbenen geschmückt; von dem eigentlichen Grabe ist die Erde beiseite geschaufelt und so das enge Steinbett bloßgelegt worden; die Vorhänge des Eingangs sind zurückgezogen, so daß ein volles Licht von draußen her in das Dunkel des Todes hineinflutet. Über ein herangelegtes Brett ist der Heiland an den Rand des Grabes getreten, und in erhabener Ruhe, nur mit einer machtvollen Gebärde der Hand, ruft er den Toten empor, der sich langsam, wie von schwerem Traum befangen, aufzurichten beginnt. Dem Wiedererweckten stürzen die Schwestern entgegen, noch etwas zagend die eine, mit freudig ausgebreiteten Armen die andere. Staunend sehen die übrigen Anwesenden den unglaublichen Vorgang; überzeugender sind niemals von einem Künstler die mannigfaltigen Äußerungsformen des höchsten Staunens über das Unbegreifliche geschildert worden (Abb. 29). Unter den Radierungen Rembrandts ist dieses Blatt zu allen Zeiten eins der gesuchtesten gewesen. Beachtenswert ist die Gewandung des Christus; strenger – um nicht mit einem viel mißbrauchten Ausdruck zu sagen stilvoller – gezeichnet, als es sonst bei Rembrandt