Die Kraft der Pferd-Mensch-Beziehung. Peter Daxer

Die Kraft der Pferd-Mensch-Beziehung - Peter Daxer


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ihre hochmodernen Geschütze zu ziehen und die Versorgung der Soldaten mit Lebensmitteln und Kriegsgütern aufrechtzuerhalten.

      Den beiden Weltkriegen fielen daher nicht nur Millionen Menschen zum Opfer, sondern auch Millionen Pferde. Es ist der unrühmliche Tiefpunkt des kentaurischen Pakts, der Mensch und Tier in bisher unbekanntem Maß zu Leidensgenossen machte. In der Not rückten beide noch einmal aufs Engste zusammen.

      Und dann war alles vorbei in sehr kurzer Zeit. Nach 1945 setzte in Europa und weiten Teilen der westlichen Welt eine bisher nie für möglich gehaltene Mechanisierung sämtlicher Lebensbereiche ein. Auf der Straße lösten Lastwagen das Pferd ab, auf den Bauernhöfen traten die Traktoren ihren Siegeszug an – und das große Pferdesterben setzte ein. Eben noch praktisch untrennbar mit dem Menschen verbunden, durchschnitt oft genug der Pferdemetzger das einende Band. Mit dramatischen Folgen für den Pferdebestand: Betrug dieser im Deutschen Reich 1914 noch 4,7 Millionen Tiere, so sank ihre Zahl in Westdeutschland bis 1970 auf 250.000. Mancher fürchtete, Pferde demnächst nur noch im Zoo bewundern zu können. Oder als Reiterstandbild, Gemälde oder in einer der zahlreichen Geschichten und Filme, in denen das Pferd und sein Mensch, der Reiter, bis heute glorifiziert werden.

      In dieser Situation vollzog sich ein folgenschwerer Wandel. Nachdem das Pferd den Menschen jahrtausendelang als Arbeits-, Lasten- und Zugtier begleitet hatte, als Motor für seine kriegerischen Ambitionen und oft genug auch als Nahrungsquelle in schlechten Zeiten diente, wurde es plötzlich zum Freizeitpartner.

      1Der bisher älteste erhaltene Beleg ist das sogenannte Oberkasseler Doppelgrab bei Bonn, das 1914 in einem Steinbruch entdeckt wurde. Das Grab enthielt neben den Skelettknochen eines etwa 50-jährigen Manns und einer circa 25-jährigen Frau auch die Unterkieferreste eines Haushunds. Genetische Untersuchungen haben inzwischen ergeben, dass der Wolf vermutlich schon vor 18.000 bis 32.000 Jahren zum Hund wurde.

      22003 untersuchten Archäologen die 5000 Jahre alte Ruhestätte des frühägyptischen Pharaos Abydos und fanden in gesonderten Grabkammern die Überreste von zehn Hauseseln. Wie groß die Wertschätzung alter Kulturen für das Grautier war, zeigt sich nicht zuletzt an der Geburtsgeschichte von Jesus: An seiner Krippe steht neben dem friedlich wiederkäuenden Ochsen der Esel und nicht etwa das aus heutiger Sicht deutlich prestigeträchtigere Pferd.

      3Ulrich Raulff: Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung. München 2015.

      4Es ist daher auch kein Zufall, dass die Einheit, mit der die Leistungsfähigkeit von Dampfmaschinen bemessen wurde, zunächst in Pferdestärken gemessen wurde.

      5Raulff, S. 36

      Das Pferd als Freizeitpartner

      Neue Aufgaben, neue Lasten

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       Der Mensch wählt sich das Pferd – oder wählt sich das Pferd den Menschen?

      „ Das Sein des Pferdes im Hier und Jetzt ist ein Geschenk, das uns Menschen lehrt, was Leben bedeutet.

      Dem zugrunde liegt der völlige Wandel unserer gesamten Lebenswelt. Statt schwer körperlich zu arbeiten, verdienen die meisten von uns ihren Lebensunterhalt heute sitzend vor einem Computer. Gaben früher Werkssirene und Maschinen den Takt des Lebens vor, bestimmen heute digitale Zeitgeber unseren Alltag. Oder sind es doch eher Zeitfresser, die unsere Arbeit unterbrechen, unsere Muße- und Erholungszeit stören und die uns zur Verfügung stehende Zeit in immer kleinere Einheiten zerlegen? Viele Menschen fühlen sich heute gehetzt, sind ständig auf dem Sprung, in Auto, Zug oder Bahn unterwegs von A nach B, ständig über Smartphone und E-Mail erreichbar. Hinzu kommt das Gefühl, ständig mehr leisten zu müssen, immer besser und effektiver zu werden – nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben. Wir leiden unter Freizeitstress, etwas, das vor 100 Jahren niemand verstanden hätte. Denn erstens war die Freizeit knapp bemessen – den arbeitsfreien Samstag gibt es beispielsweise erst seit 1967 –, und zweitens war die Zahl der Freizeitangebote stark begrenzt. Fußball am Samstag, Kirche am Sonntag, unter der Woche vielleicht mal Kino oder Gesangsverein. Heute ist das Angebot so unüberschaubar, dass es uns oft überfordert und unzufrieden macht. Wer sich für ein Angebot entscheidet, ist innerlich schon unsicher, ob es woanders nicht noch etwas Tolleres gegeben hätte, mit dem man vor Freunden und Kollegen prahlen könnte. So wird der Erlebnishunger zwar gestillt, aber ein wohliges Sättigungsgefühl stellt sich nicht ein. Stattdessen hetzen viele von uns dem nächsten Höhepunkt hinterher, unfähig, uns zu entspannen und den Moment zu genießen. Das ist etwas, was wir wieder vom Pferd lernen können. Wir haben die Uhren, das Pferd hat die Zeit. Denn es lebt im Moment, in einem Augenblick aufgeregt ängstlich, im nächsten schon wieder friedlich grasend.

      Wenn wir es denn lassen. Denn unsere innerlichen Befindlichkeiten – Hast, Unrast, Unzufriedenheit, Beziehungslosigkeit und vieles andere – übertragen wir auf unsere Pferde. Viele Reiter wollen Erfolge, aber sofort. Und verdrängen, dass vor der Piaffe Jahre der Grundausbildung absolviert werden müssen. Wir erwarten, dass sich unser Pferd uns in jeder Sekunde zuwendet, und tippen beim Reiten auf dem Smartphone herum. Wir wünschen uns, dass unser Pferd uns liebt wie ein menschlicher Partner, und vergessen dabei, dass der beste Partner für ein Pferd immer ein anderes Pferd ist. Wir beichten ihm in der Box unsere Sorgen und Sehnsüchte und ignorieren dabei seine eigenen Bedürfnisse nach einem artgerechten Leben. Kurz: Pferde sind heute unsere Psychiater, Therapeuten, Kinder- und Partnerersatz, Sportgeräte und Renommierstücke. Für keine dieser Aufgaben sind sie gemacht. Pferde sind Pferde, so schlicht und einfach. Wenn wir sie so wahrnehmen und entsprechend mit ihnen umgehen, werden sie zu echten Partnern. Und wir als Menschen wieder etwas gelassener und zufriedener.

      6Es ist eine weitverbreitete Annahme, dass frühere Generationen deutlich mehr von und um das Pferd wussten als heutige Pferdebesitzer, die ihr Wissen oft aus Büchern und Zeitschriften beziehen. Das ist eine romantisierende Sichtweise. Andernfalls wären die Gesellschaften, in denen heute noch Pferde und Esel eine zentrale Rolle im Alltag spielen, ein unerschöpflicher Hort des praktischen Pferdewissens. Das Gegenteil ist der Fall: Oft fehlen schon einfachste Grundkenntnisse über den Umgang mit den Tieren. Dieser wird schlicht von der alltäglichen Not diktiert. Eine Erfahrung, die auch in der westlichen Welt noch nicht lange zurückliegt.


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