Tod.Ernst. Dave Cousins

Tod.Ernst - Dave  Cousins


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ich dort draußen tausend unbekannte und ungesehene Dinge spürte, die mich quälen wollten, fühlte ich mich sicher, solange ich in ihrer Nähe war.

      Es war wie früher mit meinem Vater.

      Ich will in keiner Weise kleinreden, was Dad für mich tut, und ihm nicht zu nahe treten, aber es ist nun mal eine Familienbeziehung, und er hat die Aufgabe, mich zu lieben. Tash dagegen ist einfach meine Freundin, ohne Verpflichtungen, ohne Blutsbande, und wir sind Schwestern, weil wir es so wollten, was etwas vollkommen anderes ist.

      Ich schließe den Toilettendeckel und greife endlich zum Handy. Normalerweise schreibe ich Tash morgens direkt als Erstes, aber heute ist mir etwas dazwischengekommen.

      Eine Nachricht wartet schon auf mich. Sie wurde kurz vor ein Uhr heute Morgen abgeschickt:

      Was für ein Abend image

      Val ist wirklich der Wahnsinn image

      Muss dir total viel erzählen. image

      Nacht, Süße image

      Tash steht total auf kleine Bildchen.

      Tief in meinem Bauch rührt sich die Schlange der Eifersucht. Das war bereits das dritte Mal in dieser Woche, dass Tash mit Val weg war. Ich scherze schon, dass sie Tashs neue beste Freundin wird, nur ist das leider gar nicht lustig.

      Jetzt verdränge ich den Gedanken und setze meine Daumen in Bewegung:

      Schön, dass ihr es schön hattet image

      Vielleicht sollte ich ein Emoji mit zwei Gesichtern suchen? Haha!

      Ich schreibe Tash weiter:

      Ich bin krank image

      Kotze voll image

      Schwanger vielleicht? image

      Fühle mich total irre. image

      Ehrlich, das mein ich todernst.

      XO.

      Todernst. Angeblich sagt ein Bild mehr als tausend Worte, aber dieses eine Wort wird Tash mehr sagen als tausend Emojis.

      Tash und ich haben die Regel aufgestellt, dieses Wort niemals zu gebrauchen. So werde ich in der Schule gehänselt. Mein Nachname ist Ernst – man muss kein Genie sein, um «Tod» voranzustellen und es lustig zu finden.

      Womit ich das verdient habe? Tja, vielleicht weil ich alles immer extrem tragisch nehme. Auch die Panikattacke vor ein paar Monaten während der Vollversammlung in unserer Aula könnte etwas damit zu tun haben. Aber es liegt wohl vor allem daran, dass ich bei einer Party betrunken ausgeflippt bin und dann einen auf sterbenden Schwan gemacht habe. Das ist der eigentliche Grund, warum sie mir das für den Rest meiner Zeit an der «Hardacre-Anstalt für Analphabeten» (nicht der richtige Name) nachrufen werden.

      Aber es ist wirklich sonderbar. Nicht nur die Kopfschmerzen und das Kotzen, da ist noch etwas. Das Gefühl, als hätte ich die Welt noch schlechter im Griff als sonst – als würde die Schwerkraft nicht so gut funktionieren wie sonst.

      Irgendwie fühlt es sich an, als wäre meine Situation nicht nur beschissen, sondern tatsächlich todernst – das ist das einzige Wort, das diesen Zustand treffend beschreibt.

      3MEINE NEMESIS

      Die Versuchung ist groß, wieder ins Bett zu gehen, mir die Decke über den schmerzenden Kopf zu ziehen und abzuwarten, bis das alles vorbei ist. Doch die Vorstellung, den Tag eingemummelt vor dem Fernseher zu verbringen, ist nicht so verlockend wie sonst. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich das Gefühl nicht loswerde, etwas sehr Wichtiges ver gessen zu haben, oder an dieser merkwürdigen Vermutung, nicht richtig hier zu sein.

      Albern, ich weiß! Natürlich bin ich hier. Das bin ich, die vom Bad in die Küche geht. Ich bin es, die das Licht anschaltet und den Wasserkocher aufsetzt. Wäre ich nicht hier, könnte ich den kalten Linoleumboden unter meinen nackten Füßen nicht spüren und den Gestank in der Spüle nach totem Dachs, der im Siphon klemmt, nicht riechen.

      Trotzdem. Ich fühle mich losgelöst, als würde ich mich selbst durch ein Fenster sehen oder auf einem Bildschirm – jedenfalls nicht im richtigen Leben.

      Wie gesagt … komisch.

      Ich schalte das Radio ein, um ein bisschen Leben und eine andere menschliche Stimme in die Bude zu bringen. Eigentlich macht es mir nichts aus, allein zu sein, aber ich weiß auch nicht, heute Morgen fühle ich mich aus unerfindlichen Gründen irgendwie … verfolgt. Das liegt teilweise an Tash beziehungsweise daran, dass sie nicht da ist. Ohne sie fühlt sich die Wohnung zu groß und zu leer an, was eigentlich ein Witz ist, denn sagen wir es mal so: Wenn wir eine Katze hätten, könnten wir sie nicht im Kreis schwingen.

      Ich stecke zwei Brotscheiben in den Toaster und drehe das Radio lauter.

      Der DJ heißt Baz oder Cliff und labert ständig totalen Schwachsinn. Im Moment redet er über Bauarbeiten auf der Umgehungsstraße. Wetten, gleich sagt er so was wie Die stehen da Stoßstange an Stoßstange und spielt dann «Pull up to the Bumper» von Grace Jones. Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke, hat er das gestern schon gespielt. (Dad steht auf Musik der Achtziger, und darum kenne ich den Song – falls ihr euch das gefragt habt.)

      Aber als ich mir einen Teller aus dem Schrank hole, zieht er das durch – Wort für Wort!

      Mein Herz erschauert. Wahnsinn!

      Jetzt warte ich, ohne wirklich zu glauben, dass er den Song spielt, und gleichzeitig in dem Wissen, er macht es doch.

      Er regelt die Musik leise nach oben und übertönt sie mit seinem Gequatsche: «Der ist für alle, die im Verkehr steckengeblieben sind. Runter vom Stresspedal, Leute, lehnt euch zurück und genießt einen absoluten Klassiker …»

      Unmöglich!

      Das kann doch nicht wahr sein!

      Wie erstarrt lausche ich «Pull up to the Bumper», das in unserer Küche erklingt. Sogar für diesen DJ ist das eine Umdrehung zu viel. Als hätte er seine Sendung von gestern aufgezeichnet und würde sie einfach noch mal abspielen.

      Mein Handy reißt mich mit einem Pling aus der Schockstarre. Wahrscheinlich Tash mit weiteren Details von ihrem tollen Abend mit Val.

      Val ist mein Racheengel. Mein Todbringer. Meine Nemesis.

      Schon gut, ich weiß. Echte Menschen haben keine Nemesisse.

      Ist das der richtige Plural, wenn es überhaupt einen gibt? (Wie zum Teufel schreibt man das? Ohne Val würde ich das gar nicht wissen wollen.)

      Val – die schwarze Wolke an meinem Toy-Story- Himmel, das Steinchen in meinem Schuh, der Wurm in meinem Apfel. Ihr habt vielleicht schon mitbekommen, dass Val nicht gerade ganz oben auf der Liste meiner Lieblingskontakte steht?

      Kein Problem, denn Tash springt hier nur zu gern für mich ein. Ihr solltet sie hören:

      Oh, Wahnsinn, Süße, das GLAUBST du nicht, was Val getan / gesagt / angehabt / getrunken hat.

      Tash zufolge ist das Mädchen soooooo unfassbar suuuuper. Ein Mädchen, dessen außergewöhn liches Supersein (und ja, ich weiß, das Wort gibt es gar nicht)


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