Tod.Ernst. Dave Cousins

Tod.Ernst - Dave  Cousins


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– sie hat’s verdient. Die drei Millionen, die gerade im Umlauf sind, können ihrer unglaublichen Einzigartigkeit nicht Genüge tun.

      Das hört sich ganz schön verbittert an, was?

      Verbittert und schräg und vielleicht ein kleines bisschen psychotisch? Jep, ich weiß, tut mir auch leid. Keine Ahnung, wen ich mehr hasse: Val, weil sie mir meine beste Freundin abspenstig macht, oder mich selbst wegen dieser Eifersucht.

      Das Schlimmste ist – und ihr wisst es hoffentlich zu schätzen, dass ich euch Einblick in die tiefste Finsternis meiner Seele gewähre und Gefahr laufe, mich lächerlich zu machen –, also, was wirklich total ärgerlich ist: Ich verstehe, warum Tash sie mag. Val ist tatsächlich super, sie ist selbstbewusst und lustig, sie hat glänzende lange schwarze Haare und große Augen. Da ihre Familie aus Rumänien stammt, hat sie auch noch einen coolen Akzent à la sexy russische Spionin. Wie soll ich dagegen anstinken?

      Ich wappne mich und lese die Nachricht.

      Doch Tash ist die Fürsorge in Person.

      Süße! image

      Bleib image im Bett & image

      Du musst heute Abend fit sein image

      XO XO

      Ich will antworten, zögere aber und schaue auf der Suche nach Inspiration für eine interessante oder witzige Entgegnung zum Fenster. Dort sehe ich aber nur mein eigenes Spiegelbild, blass und gespenstisch und mit einem dümmlichen Gesichtsausdruck.

      Danke, Schatz image

      Geht schon bisschen besser image

      Schleppe meine verfaulende Leiche aus dem Bett zur Arbeit.

      Lass dich beim Wickeldienst nicht im Stich. image

      XO

      Ich hänge noch Bilder von einer Windel, einem alten Frauengesicht und einem grünen Teufelsding dran. Ehrlich, bei der Hälfte weiß ich nicht, was sie bedeuten sollen.

      Mit Val, dem durchgeknallten Partygirl, kann man vielleicht geil die Nacht durchmachen, aber das ist nicht schwer. Ob man wirklich gut befreundet ist, zeigt sich bei weniger glamourösen Dingen, wie zum Beispiel dann, wenn man einem inkontinenten Rentner eine Erwachsenenwindel anziehen muss. Wenn man vom Totenbett aufsteht, damit die andere ein Heim voller nörgelnder alter Leute nicht mutterseelenallein waschen, anziehen und füttern muss. Das ist echte Freundschaft.

      Ich tippe auf «Senden» und bin ganze drei Sekunden lang mit mir zufrieden.

      Wem mache ich hier etwas vor? Unsere gemeinsame ehrenamtliche Arbeit im Altenheim wird Tash kaum eine Nachricht an Val wert sein, etwa:

      OMG! Was für ein Morgen! image

      Muss dir unbedingt erzählen, was Alex beim Frühstück gemacht hat. image

      Hört sich nicht so toll an, was?

      Tokyo Girl live im Pandemonium dagegen, das bietet Stoff für einen ganzen Haufen Emojis und die perfekte Gelegenheit, mit Tash wieder in die Spur zu kommen.

      Was ist also das Problem?

      Es gibt keins. Ich habe ein komisches Gefühl, wenn ich an heute Abend denke. Nicht der Rede wert.

      Zwei Sekunden, bevor zwei Scheiben rauchender Kohle aus dem Toaster springen, steigt mir der Brandgeruch in die Nase. Fluchend reiße ich die Fenster auf und wedle den Rauch nach draußen, damit ja der Alarm nicht losgeht. Gestern war es genauso – man sollte meinen, ich wäre lernfähig.

      4BITTE BLEIBEN SIE SITZEN, BIS DER BUS VOLLSTÄNDIG ZUM HALTEN GEKOMMEN IST

      Um 6:38 Uhr an einem Samstagmorgen ist der Bus Nummer Drei so gut wie leer. Sechs weitere Zombies, die sich vor dem Morgengrauen aus dem Bett gequält haben, sehen mir beim Einsteigen zu.

      So dämlich, um diese Zeit wach zu sein, sind nur geistesabwesende Clubber, die verschwitzt und mit glasigem Blick nach Hause fahren, während sie immer noch zu dem langen Ausklang des letzten Songs dieser Nacht nicken. Und außerdem die arbeitende Bevölkerung – Mindestlohnsklaven der Friedhofsschicht. Reinigungspersonal und Krankenhauspförtner, Lagerarbeiter und Fabrikmalocher. Allen steht die gleiche Frage auf die Stirn geschrieben: Was mache ich hier eigentlich?

      Eine Frau in einem Putz-Overall blickt von ihrem Buch auf und grüßt mit einem verhaltenen Lächeln. Ich nicke zurück und stelle fest, dass sie Harry Potter liest – eine kurze Flucht in eine andere Welt, in der man Besen zum Fliegen benutzt statt dazu, den Dreck anderer Leute aufzufegen.

      Nachdem ich mir im oberen Deck einen Fensterplatz in der Mitte ausgesucht habe, klingelt auch schon mein Handy. Tash, wer sonst?

      «Hey, Süße, wo bist du?»

      «Im Bus.» Ich rede leise, weil ich es peinlich finde, wenn man im Bus in sein Handy schreit. Aber das dürfte heute kein Problem sein, weil Tash nicht fürs Zuhören geboren ist.

      «Geht’s denn? Du hättest dich besser krank melden sollen.»

      «Ich konnte das doch nicht alles dir überlassen.» (Seht ihr’s? Also stimmt für Alex, sie ist die Beste!)

      «Wow, Danke! Ich bin echt mega aufgeregt.» Aus den Hintergrundgeräuschen schließe ich, dass sie ebenfalls auf dem Weg zur Arbeit ist. «Was für ein Abend! Du hättest mitkommen sollen, Süße.»

      Sie hat recht, das hätte ich besser gemacht.

      «Val hat uns doch tatsächlich umsonst ins Pandemonium geschleust!»

      «Wow!»

      «Kann man wohl sagen!» Tash sprudelt Emojis in die Leitung. «Val kennt den Türsteher. Echt, die Frau kennt einfach jeden!»

      Ich verkneife mir die naheliegende Bemerkung.

      «Und rate mal, wer gespielt hat? Einfach mal Prayer for Halo!»

      «Echt.» Ich mag Prayer for Halo. Ich hätte wirklich mitkommen sollen.

      «Du ahnst nicht, was Val noch gemacht hat!»

      Bestimmt was Tolles.

      «Sie ist auf die Bühne geklettert!»

      Okay, das würde man von mir tatsächlich nicht zu sehen bekommen.

      «Und dann – das glaubst du nicht – ist sie geradewegs zu Marco gegangen und hat die Arme um seinen Bauch gelegt, während er gespielt hat!»

      «Marco?»

      «Marco Lee!» Ich höre ihr an, wie fassungslos sie ist. «Der geilste Bassist auf unserem Planeten!»

      «Ach, der Marco. Ich dachte, du meinst den anderen Marco, der bei Coop arbeitet.»

      Tash schnalzt missbilligend mit der Zunge, aber sie ist viel zu begeistert von ihrer Geschichte, um aufzuhören. «Egal, Val tanzt da oben hinter Marco, und dann kommen die Leute von der Security und schleppen alle von der Bühne. Ich dachte schon, jetzt wird Val verhaftet oder rausgeworfen, aber sie hat Marco einfach einen Kuss auf die Wange gegeben und ist von der Bühne gesprungen – mitten in die Menge!», erzählt Tash wie ein Fangirl aus der Siebten bei einer Signierstunde von


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