Der Schiffskoch. Mathijs Deen
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Mathijs Deen
DER SCHIFFSKOCH
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem
Titel Het Lichtschip bei Uitgeverij Thomas Rap,
ein Imprint von De Bezige Bij, Amsterdam.
Copyright © Mathijs Deen, 2020
Der Verlag dankt der Niederländischen Literaturstiftung für die Förderung der Übersetzung.
© 2021 by mareverlag, Hamburg
Covergestaltung Nadja Zobel, Petra Koßmann, mareverlag
Coverabbildung © akg-images.de
Typografie (Hardcover) mareverlag, Hamburg
Datenkonvertierung E-Book Bookwire
ISBN E-Book: 978-3-86648-393-4
ISBN Hardcover-Ausgabe: 978-3-86648-650-8
… dieses ewig schlingernde,
stampfende Schiff,
das dort mitten auf See
an der Kette liegt …
M. J. Brusse,
aus Het nachtlicht van de zee
Für Hein Vos
Inhalt
1
Es war noch nicht einmal Sommer, die erste Woche im Juni, und doch schon ein schwüler, dunstiger Tag auf dem Feuerschiff Texel. Alles dampfte: die See unter der stechenden Sonne, das geschrubbte Deck vor den geöffneten Bullaugen, das Haschee auf den Tellern der Maschinisten und Matrosen.
Der Koch, der den Männern wie gewohnt in der Reihenfolge ihrer Dienstjahre die Teller gefüllt hatte, war auf dem Weg zur Kombüse in der Tür stehen geblieben und hatte sich umgedreht, die leere Schüssel noch in den Händen.
So stand er da und schaute den Männern beim Essen zu.
Der jüngste Matrose blickte von seinem Teller auf und stieß den Maschinisten neben sich an. Der legte seine Gabel hin, und bald starrten alle den Koch an.
»Alles in Ordnung, Lammert?«, fragte Henk Kaag, der älteste Matrose.
Aber der Koch antwortete nicht.
Am Vormittag war es in der Kombüse ungewöhnlich heiß gewesen. So heiß, dass es Lammerts Routine störte. Nachdem er sich beim Schälen ein paarmal in die Finger geschnitten hatte, warf er sein Schälmesser klappernd auf die Arbeitsplatte, stieß die beiden widerspenstigen Verriegelungshebel der Tür zum Deck auf, legte die Schulter an das Metall und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen.
Langsam wie der Tag selbst setzte sich die schwere Stahltür in Bewegung.
Lammert betrat das Deck und kniff im gleißenden, vom Wasser zurückgeworfenen Licht die Augen zusammen. Er hatte Zwiebeln zu schneiden, das Wasser mit den Kartoffeln kochte auf hoher Flamme, das Schmorfleisch musste umgedreht werden, trotzdem blieb er stehen und blickte übers Meer.
Alles schien normal zu sein, doch unter dem Geräusch des Dieselgenerators, das aus dem Bauch der Texel aufstieg, schwoll ein tieferes Dröhnen an. Der Koch hatte mit den Händen den Rand des Schanzkleids umfasst. Er spürte, wie das Geräusch nicht nur den Schiffsrumpf mitschwingen ließ, sondern auch irgendetwas in einem wenig besuchten Winkel seiner Erinnerung. Er trat einen Schritt zurück, als wollte er sich im Schatten des überhängenden Bootsdecks verbergen, und drückte an der stählernen Wand der Kombüse den Rücken durch. Er hätte auch wieder hineingehen können, zu dem Fleisch, das in der heißen Butter karamellisiert wurde, zu dem Topf, in dem das Wasser halb verdampft war, zu den zur Hälfte geschälten Zwiebeln, die vom anschwellenden Dröhnen vibrierten.
Aber er blieb im Schatten stehen, bis er sah, wie der Bug eines vorbeifahrenden Schiffs die gläserne Wasserfläche wellte und durchbrach.
Es war ein Liberty-Frachter, von den Jahren gezeichnet, Rost um die Ankerklüse, Decksaufbau mittschiffs, Masten mit Ladebäumen vorn und achtern. Er hatte offensichtlich die Position der Texel angesteuert, wahrscheinlich, weil er nicht mit modernen Navigationsgeräten ausgerüstet war und sich deshalb anhand des Namens des Feuerschiffs vergewissern wollte, dass er den richtigen Kurs in Richtung Ostsee fuhr. Dieser Name stand mittschiffs in riesigen schwarzen Buchstaben auf weißem Hintergrund auf dem ansonsten feuerroten Rumpf der Texel. Obwohl es diesig war, konnte man ihn auch dann gut lesen, wenn man sicheren Abstand hielt.
Es gab also für das Liberty-Schiff keinen Grund, in weniger als dreißig Metern Entfernung am Feuerschiff vorbeizufahren, außer Gleichgültigkeit oder Leichtsinn. Und doch schob es sich backbord