Der Schiffskoch. Mathijs Deen

Der Schiffskoch - Mathijs Deen


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der Kapitän der Zaandam antwortete nicht. Er war abgelenkt, weil er auf dem Kai den Koch mit einem Tier an einem Strick kommen sah. Zuerst hatte er gedacht, es wäre ein Hund, aber es machte bizarre kleine Sprünge, wie ein Hund sie nicht macht, mit allen vier Beinen gleichzeitig, als würde es von Windböen hochgeschleudert.

      »Ist gut, wir fahren«, sagte er und beendete das Gespräch.

      Als Lammert mit seinem Böckchen die Zaandam erreichte, stand der Kapitän schon am oberen Ende der Laufplanke. Er hatte seine Mütze aufgesetzt, um etwas eindrucksvoller auszusehen, und blickte auf den Koch hinunter.

      »Was hat das zu bedeuten, Chef?«, fragte er.

      Der Koch hatte den Strick eingeholt, weshalb das Böckchen nun sein Bein berührte, und schaute zum Kapitän hinauf. Er legte kurz die Hand zu einem militärischen Gruß an die Schläfe. Immer dieses Spöttische, der Kapitän konnte sich schlecht daran gewöhnen.

      »Wir kommen an Bord«, sagte Lammert.

      »Kein lebendes Vieh«, erwiderte der Kapitän.

      »Das ist kein Vieh, Gijs, das ist Proviant.«

      Der kleine Bock, den der Wind, die Abwesenheit von Weide und Herde, das Brummen des Dieselmotors, das Klappern der Fahnen und das Pfeifen der Stage und Wanten unruhig machten, stieß gegen die Beine des Kochs und versuchte dann, auf die Laufplanke zu steigen.

      »Willst du es dann hier an Bord schlachten?«

      »Das hat keine Eile«, antwortete Lammert. »Lebendes verdirbt nicht.«

      »Es ist gegen die Regeln«, sagte der Kapitän. Unwillkürlich beugte er sich vor und streckte die Hand aus, um zu verhindern, dass der unruhige kleine Bock zwischen Kai und Schiff fiel. Der Koch wusste, dass er gewonnen hatte, und ließ den Strick etwas nach. Das Böckchen sprang an Bord.

      »Männer, die sich an Prinzipien halten – wir wissen alle, wohin das führt«, sagte Lammert. Der Kapitän betrachtete das Böckchen. Der Koch ging nun selbst an Bord.

      »Niemand hat’s gesehen«, sagte er.

      »Alle haben’s gesehen, Lammert.«

      Der Koch zuckte mit den Schultern.

      »Wind sechs bis sieben«, sagte der Kapitän. »Du kriegst es gar nicht erst aufs Schiff. Und ich nehm’s nicht mit zurück.«

      »Es gibt für alles eine Lösung, Kapitän«, sagte der Koch.

      Es wurde eine raue Überfahrt. Beim Auslaufen ging es noch, das Marsdiep lag bei Südwind im Schutz der Küste. Doch bald kämpfte die Zaandam gegen grobe See, das war eindeutig nicht mehr Windstärke fünf. Sie stampfte eine Seemeile, ging dann genau auf Westkurs und fuhr nun quer zu den anrollenden Wellenbergen.

      Lammert saß auf dem Achterschiff hinter dem Decksaufbau und hatte wie gewohnt schon mit dem Kartoffelschälen angefangen, zusammen mit dem Jungmann, dem jüngsten Matrosen. Das Böckchen sprang auf die Kiste mit den Rettungswesten, fand aber auf dem lackierten Holz keinen Halt und purzelte hinunter. Der Koch holte den Strick ein und klemmte das kleine Tier fest zwischen Hüfte und Ellbogen. Es beruhigte sich ein wenig und blickte sich leise meckernd um. Manchmal steckte es das Schnäuzchen in den wachsenden Kartoffelschalenhaufen. Dann war es einen Moment still.

      Ein paar Matrosen kamen, um zu sehen, was los war, machten Witze und kommentierten das Geschehen. Der Koch beachtete sie nicht und schälte ruhig weiter. Hin und wieder flogen vom Bug her Gischtwolken vorbei, dann drückte er das Böckchen noch etwas fester an sich.

      Er blickte erst auf, als der Leitende Ingenieur hinzugekommen war und ihn nach dem Namen des Böckchens fragte.

      Der Leitende, der Kees hieß, gehörte zu den Offizieren des Feuerschiffs und hätte wegen der strikten Hierarchie an Bord eigentlich respektvoll angeredet werden müssen.

      Aber der Koch, der gelernt hatte, seine alte Angst vor Höhergestellten durch Trotz und Aggressivität zu unterdrücken, starrte ihm einfach ins Gesicht.

      »Willst du an Bord was zu essen bekommen?«, fragte er.

      »Natürlich, Chef«, antwortete Kees.

      »Dann kümmere dich um deinen Diesel und dein Licht und überlass mir meine Arbeit.« Er warf ihm eine Kartoffelschale vor die Füße. »Sonst frisst du das da.«

      Dann sagte er zum jüngsten Matrosen: »Junge, in der Kombüse steht eine Flasche und Milchpulver. Gib dem Böckchen zu trinken, es darf ruhig noch ein bisschen fetter werden.«

      5

      Die Zaandam brauchte fast eine Stunde länger als gewöhnlich bis zur Texel. Und weil der Wind aus Süd kam, die Ebbe eingesetzt hatte und das Feuerschiff gegen den Ebbstrom genau im Wind lag, war der Seegang an Steuerbord und Backbord gleich hoch. Keines der beiden Schiffe konnte für das andere Lee machen, erst recht nicht für ein Boot. Die Zaandam hielt sicheren Abstand zur Texel, und die beiden Schiffe stampften schwesterlich nebeneinander.

      »Sie wollten ja unbedingt von Bord, dann sollen sie auch ihr Beiboot zu Wasser lassen«, sagte Gijs.

      Auf dem Feuerschiff standen die Männer schon in einer Reihe an Deck, die Seesäcke in den Händen. Sie starrten zur Zaandam hinüber und dann wieder auf die Wellen. Der Ladebaum am Mast auf dem Bootsdeck setzte sich mit einem Ruck in Bewegung und hob das Boot an. Es schaukelte im Wind.

      Einer der Maschinisten des Feuerschiffs ging mit einem Kanister Öl aufs Vorschiff, wartete, bis achtern das Beiboot über den Wellen schwebte, und leerte den Kanister ins Wasser. Eben noch voller Schaumstreifen, wurde es nun glasig und matt. Die Zaandam fuhr ein kleines Stück voraus, verkürzte dabei geringfügig den Abstand zur Texel und gierte dann langsam mit dem Heck in ihre Richtung. Zwischen den Schiffen beruhigte sich die See ein wenig, bis sie wie der Bauch eines riesigen, dicken, schwer atmenden Tieres war.

      Das Beiboot hob und senkte sich, die Seesäcke landeten klatschend auf seinem Boden. Erst dann kletterten die Männer einer nach dem anderen die Jakobsleiter hinunter, warteten am schwingenden Ende ab, während das Boot in der Tiefe verschwand, und sprangen, kurz bevor es den höchsten Punkt erreichte. Es war nicht leicht, die Männer verletzten sich. Und alles war voller Öl. Glitschig wie Schnecken, schaukelten sie schließlich zur Zaandam, griffen mit abrutschenden Händen nach der kurzen, eisernen Leiter und stiegen hinauf.

      Der Koch hatte das Böckchen zur Gänze in seinen Seesack geschoben, den Sack sicher zugeknotet und ihn sich auf den Rücken gebunden: ein zuckender und meckernder Buckel an seinem gedrungenen Körper. Er schaute auf das ölige Wasser und murmelte etwas, das nur das Böckchen hören konnte. Er spürte die spitzen Klauen im Rücken, drehte den Seesack ein wenig und beobachtete, wie die Vorräte ins Beiboot hinabgelassen wurden.

      Die Zaandam war eigentlich ein Tonnenleger. Ihr Schanzkleid war mittschiffs vor dem Decksaufbau nicht durchgängig, sondern ließ eine breite Lücke; dort konnten mit dem Ladebaum, der am Mast auf dem Vorschiff angebracht war, sehr einfach Gegenstände an oder von Bord gebracht werden. Etwas ganz anderes als das Feuerschiff, das vor Anker Orkanen trotzen musste wie eine Festung im Meer.

      Mit finsterer Miene sah der Koch Öl auf die Paletten mit Lebensmitteln spritzen. Er griff mit einer Hand nach hinten und strich, so gut es ging, über den Seesack, um das Böckchen zu beruhigen. Als die letzte Palette im Beiboot gelandet war, trat er vor.

      »Ich fahr schon mal mit«, sagte er.

      »Wirf deinen Sack einfach runter«, sagte der Matrose an der Pinne und zeigte ins Boot.

      Doch Lammert schüttelte den Kopf, drehte sich um, stellte die Füße auf die Leiter, suchte und fand die nächste Sprosse, und die nächste, und hing mit dem heftig zappelnden Sack auf dem Rücken einen Moment zwischen Schiff und Boot. Dann wagte er den Schritt und hielt sich an einer Palette mit Apfelmusdosen fest. Das Gewicht des Sacks zog ihn nach hinten, er machte einen Schritt rückwärts und fand in dem schaukelnden Boot das Gleichgewicht wieder. Das Böckchen hatte


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