Der Schiffskoch. Mathijs Deen

Der Schiffskoch - Mathijs Deen


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hinunter.

      In der Küche legte er das Kochbuch auf den Tisch und stellte seinen Teller daneben. Er aß die Scheibe Brot, stand auf, wusch den Teller und das Messer ab, wischte die Krümel von der Tischplatte in seine hohle Hand, warf sie durch die halb geöffnete Tür in den Garten, räumte Teller und Messer weg, setzte sich wieder hin und schlug das Kochbuch auf, das seine Mutter in Den Haag benutzt hatte.

      Bei den Stamppot-Rezepten hatte seine Mutter ein paar spärlich beschriebene Blätter in das Buch gesteckt. Die Zeit hatte die Tinte verblassen und das dünne Papier vergilben lassen. Lammert stand auf, ging zum Schreibtisch, um seine Lesebrille zu holen, und stellte sich mit den Blättern in den Händen an die Tür zum Garten. Die Handschrift seiner Mutter ließ ihn nicht unberührt. Er fluchte lautlos und starrte aufs Papier. Die ersten Zeilen kannte er auswendig:

      Für den kleinen Lammert nach eigenem Geschmack und Belieben zuzubereiten. Dies sind die Grundzutaten, zusammengestellt in den Lagern SOLO und AMBARAWA von deiner Mutter und anderen Frauen. Alles für ungefähr zwei Personen.

      »Ungefähr zwei Personen«, brummte er, schüttelte den Kopf und las weiter. Die Rezepte kannte er nicht auswendig, und sie waren in der ungeduldigen Handschrift geschrieben, die er so gut kannte. Er durchstöberte die fünf Blätter, bis er fand, was er suchte: Gulai kambing. Er las die Zutaten, wiederholte sie flüsternd. Bis er nicht nur die Wörter entziffert hatte, sondern auch das Rezept verstand. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg durch die Aufzählung, als müsste er einen Schatz unter einem Drachen hervorziehen. Da war sie wieder, seine Mutter, die ihn missbilligend durch die Wörter des Rezepts hindurch anschaute, völlig von ihren eigenen Sorgen, ihrem eigenen Unglück in Beschlag genommen. Er wusste, wo sie übertrieb, was vom Heimweh kam und was vom Hunger, wo sie angab, wo sie nur schwafelte, wo sie beleidigt oder grundlos missmutig war. Immer stand auf diesen Blättern irgendetwas, das alles verdarb und das Leben noch schwieriger machte, als es ohnehin war.

      Er ging zum Schreibtisch zurück, nahm ein Heft und begann zu schreiben.

      »Ain’t nobody home, baby«, sang er leise. »Once upon a time, a long long time ago, I would follow wherever you want to go … pom pom pom … but now, you beg to let me in, but ain’t nobody home.«

      3

      Beitske, die einzige Bäuerin auf der Warft, hatte schon seit Jahren keine Kühe mehr. Kurz vor der Einführung des Milchtanks hatte sie ihre Tiere zusammen mit den Melkeimern und dem Melkschemel verkauft und ihre Rinderweiden umgepflügt, um Möhren auszusäen. Nach ein paar Jahren war sie auf Brokkoli umgestiegen, ein neues Gemüse, das sich offenbar wachsender Beliebtheit erfreute. So war sie von der Viehhalterin zur Gemüsebäuerin geworden.

      Aber nicht ganz. Denn von ihrer kleinen Schafherde hatte sie sich nicht trennen können. Nicht dass sie an den Schafen wirklich etwas verdiente, doch ohne Schafe wäre kein Leben mehr auf dem Hof gewesen, und diese Vorstellung fand sie als Alleinstehende erschreckend. Ein Brokkoli-Kopf sagt nichts, und eine ganze Ernte Brokkoli, das ist geballtes Schweigen.

      Und so hielt sie weiterhin um die zwanzig Schafe und dazu eine Handvoll Ziegen, die sie wie die Schafe lammen ließ. So hatte sie für den Fall, dass ein Mutterschaf ein Lamm verstieß oder dass es zu viele Mehrlingsgeburten gab, immer eine Ziege mit Milch, die ein Schaflamm säugen konnte. Die Ziegenlämmer selbst gab sie möglichst schnell weg, vor allem die Böckchen. In den umliegenden Dörfern fanden sich immer Kinder, die gern ein Böckchen mit der Flasche aufzogen.

      »Ich habe sie noch, aber sie sind störrisch«, antwortete Beitske dem Koch, der zu ihrem Hof gekommen war und gefragt hatte, ob sie ihre Ziegen schon verkauft habe. Eine überflüssige Frage, die nur dazu diente, ein Gespräch einzuleiten. Jeder konnte sehen, dass auf der Schafweide auch Ziegen herumliefen. »Sieh selbst«, sagte Beitske und ging vor Lammert her zur Längsseite der großen reetgedeckten Stallscheune, von der aus sie die Wiese weiter unten überblicken konnten. Dort grasten die Schafe, eine kleine Horde Lämmer rannte am Zaun entlang, im entferntesten Winkel hatten sich die Ziegen abgesondert.

      »Jede Menge Gras, siehst du?«

      »Jede Menge Gras«, bestätigte Lammert.

      »Trotzdem wollen sie weg, die Ziegen, egal, wie viel Gras es hier gibt. Immer wollen sie weglaufen und sehen, ob irgendwo noch besseres Gras ist.«

      »Eine Ziege will immer weg«, sagte Lammert nachdenklich.

      »Eine Ziege will immer ausreißen«, sagte Beitske.

      »Und ein Schaf will für immer bei dir bleiben«, sagte Lammert.

      »Haha«, lachte Beitske. »Ja«, antwortete sie, »ein Schaf schon.«

      Sie schauten noch einen Moment schweigend auf die Herde hinunter. Schwalben sausten in wildem Auf und Ab über die noch ungeschorenen Rücken.

      »Aber ein Schaflamm trinken zu lassen, das macht den Ziegen wieder nichts aus«, sagte Beitske. »Deshalb behalte ich ein paar.«

      »Wie ich sehe, hast du noch ein Böckchen«, sagte Lammert.

      »Damit ist nichts anzufangen«, erwiderte Beitske. »Aber ich habe niemanden, der es nimmt.«

      »Die Mädchen haben alle schon einen Bock«, sagte Lammert.

      »Und irgendwie ist es auch wieder schade drum«, sagte Beitske.

      Das war eine etwas seltsame Äußerung, aber Lammert brauchte nicht unbedingt zu wissen, wie sie das meinte, und Beitske erklärte es auch nicht. Schulter an Schulter beobachteten sie das Böckchen, das mit allen vier Beinen gleichzeitig ein paar seitliche Sprünge machte und auf einem liegenden Schaf landete.

      »Ich würde es gern haben«, sagte Lammert.

      »Haha«, lachte Beitske.

      »Ich meine es ernst.«

      Beitske schaute Lammert an und hörte auf zu lachen. »Zum Schlachten«, sagte sie dann. »Natürlich.«

      »Ja, auf dem Schiff«, antwortete Lammert.

      Sie blickten wieder einen Moment auf die Herde.

      »Es soll wunderbares Fleisch sein«, sagte Beitske. »Machst du’s selbst?«

      Der Koch schwieg, rieb sich die Augen, räusperte sich dann. Er schien sich zu ärgern.

      »Ich hole es nächste Woche«, sagte er. »Bekommst du noch was dafür?«

      »Ich nehme schon seit Jahren nichts mehr«, antwortete Beitske.

      »Nächste Woche«, wiederholte Lammert und hob die Hand zum Gruß.

      Beitske blieb nachdenklich stehen und fing wieder an zu lachen.

      »So ein Tier auf einem Schiff«, rief sie ihm nach, »da musst du aufpassen, das will weg.«

      »Das wollen da alle«, rief Lammert, ohne sich umzublicken.

      4

      An dem Tag, als Lammert, den Seesack auf dem Rücken und das Böckchen an einem Strick, den Kai in Den Helder betrat, an dem die Zaandam vertäut war, wehte ein steifer, in Böen stürmischer Wind. Die Stage und Wanten sangen, die Fahnen zerrten an ihren Seilen. Die Zaandam schien ein wenig in Richtung Kai zu krängen.

      Von Windstärke sieben an wurde die Große Ablösung verschoben, weil das Übersetzen auf hoher See dann zu riskant war. Und da das Feuerschiff Noord-Hinder, das vierzig Seemeilen nordwestlich von Westkapelle lag, am Morgen Süd sieben, See bis drei Meter gemeldet hatte, zögerte der Kapitän der Zaandam. Zu den beruhigenden Meldungen von der Texel selbst dachte er sich seinen Teil. Vor der Großen Ablösung kamen von der Texel grundsätzlich nur beruhigende Meldungen zu Windstärke und Seegang. Eine verschobene Ablösung war das Schreckbild der Mannschaft. Lieber Lebensgefahr als einen Tag länger auf dem Schiff.

      »Fünf, vorübergehend sechs«, meldete die Texel auf Nachfrage über Funk. »Mehr als sechzig


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