Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen. Max Herrmann-Neisse
Lubschick, ehrsame Bürgersfrau, in der Küche zuverlässig ihres Amtes waltete und auf Zucht und Sitte hielt, floß doch Ahnung und mehr als Ahnung des zweifelhaften Männerbetriebes, den jeder, auch der noch so brav geführte Ausschank darstellt, durch unfaßbare Kanäle in den Raum der Herdfeuer und Bratendämpfe. Der Hof war eng, das Pissoir gradeüber, wegen der Ofenhitze blieben die Küchenfenster offen, es war kaum zu vermeiden, daß verdächtiges Geriesel und saftige Latrinengespräche hörbar wurden.
Elfriede genoß derlei Dinge mit doppeltem Vergnügen: einmal aus Opposition gegen der Mutter sture Wohlanständigkeit, dann in der Freude, ihrer Freundin Paula durch eine ihr wohlgefällige Anrüchigkeit nahe zu sein. Denn endlich hatte sie den Verkehr mit Paula Bernert wieder aufgenommen. Wenn Elfriede eine Besorgung machen sollte oder ihr eine Pause im Küchenbetrieb gewährt wurde, lief sie rasch zu Paula, berichtete ihr erdachte und erlauschte Verfänglichkeiten, holte sich Trost und Stärkung, wurde, ohne daß sie es merkte, geneppt und zog, in der Opposition gefestigt, wieder ab.
Paula hatte ihr, wider Erwarten, zu der Heirat zugeredet. Schließlich fand die Hochzeit statt. Die Schneidefintochter nahm daran wenigstens als Serviermamsell teil und sah mit Genugtuung, daß der Bräutigam sich ganz ähnlich benahm, wie einst Herr Casati. Jedenfalls tat er mit Essen und Trinken auch des Guten zuviel, lief hochrot an und jappte nach Luft. Aber er konnte noch lebend zum Hochzeitslager abtransportiert werden; zumindest blieb er als Paravant erhalten.
Herr Fritz Goller hielt an dem Glauben fest, jener damals so plötzlich verstorbene Schauspieler hätte die Erstlinge seiner jetzigen Frau gepflückt. Im Grunde war er froh, einer unangenehmen Sache überhoben zu sein. Außerdem tat es ihm wohl, daß jener Vorläufer nicht mehr lebte. Obendrein war es auch ihm lieber, daß es sich um keinen Einheimischen handelte. Ein klein wenig war er sogar stolz darauf, daß seine Frau diese aparte Neigung zum Theater gehabt hatte und sich so von dem Durchschnitt der flanellenen Kaufmannsweiber phantastisch abhob.
Hätte er gewußt, daß seine junge Gattin mit einem so häßlichen und verdächtigen Gassengeschöpf wie Paula Bernert intim war, wäre er weniger beglückt und über die Irrwege weiblicher Neigungen kindlich erstaunt gewesen.
Paula erstaunte selbst immer wieder, wie ergeben seit dem Abend mit dem Schauspieler die Kausch-Tochter an ihr hing. Natürlich machte es ihr Spaß, von der eleganten Frau Goller über alle Vorgänge in der sogenannten guten Gesellschaft auf dem laufenden gehalten zu werden. Auch ergötzte es sie weidlich, wenn Elfriede ihre Schlafzimmergeheimnisse zum besten gab. Sie kannte Herrn Goller aus den liebevollen Schilderungen seiner Gattin nun schon genauer, als er sich vermutlich selber kannte, sah ihn in Unterhosen herumschlurfen, nach dem Nachtgeschirr angeln, bei ebenso lächerlichen wie vergeblichen Versuchen ehelicher Pflichterfüllung in Schweiß geraten. Es befriedigte sie sehr, wenn Elfriede ihren Mann verhöhnte, von ihm verächtlich sprach, ihn bösartig nachäffte, und sie verstand es, Elfriede geschickt zu immer ordinärerer, rabiaterer Ausdrucksweise aufzustacheln. Selbstredend profitierte sie auch finanziell von dieser Freundschaft, ließ sich Geschenke mitbringen, Geld zustecken, verwertete manchen Hinweis. Blieb immer kühlen Kopfes, in wohlweislicher Distanz, unmerklich spöttisch, lauernd, schadenfroh, konnte nicht hingerissen werden.
Im Grunde wurde diese ganze Geschichte ihr nachgerade schon lästig. Da bewirkten andre Ereignisse, daß die Beziehung zwischen den beiden so verschiedenartigen weiblichen Wesen noch mehr gefestigt wurde.
X
Im Frühling 1914 hatte Paula, unbeschadet ihres dauerhaften Verhältnisses mit Frau Elfriede Goller, wieder einmal eine reelle Liebschaft mit einem jungen Mann, der ihr gesellschaftlich näher stand: dem Uhrmachergehilfen Emil Klose. Die handfesten erotischen Genüsse waren immer neben der nützlichen Spielerei mit Elfriede erledigt worden und ein Privatbezirk geblieben, in den man dem Honoratiorenfrauchen keinen Einblick gewährte, ja, von dem sie nicht einmal etwas ahnte. Die Partner waren meist verdorbene Gassenreudel, die Paulas Körperfehler nicht störte. Durch Paulas unersättliche Geilheit, ihre unerschöpfliche Erfindungsgabe auf dem Gebiet lasterhafter Worte und Werke, durch ihre völlige Vorurteilslosigkeit und Schamlosigkeit, wurde da ein kleines ästhetisches Manko mehr als aufgehoben. Alle diese Bekanntschaften waren natürlich flüchtig geblieben: man traf sich, war grade in Stimmung, tat an allen möglichen und unmöglichen Orten das Vergnügliche, Verbotene, behielt sich in gutem Angedenken. Je nach Temperament und Charakter erzählte einer dann später wohl noch anerkennend: »Die Bernert-Paula, das ist Ihnen ein Aas!« oder verlogen kritisch: »Eigentlich hat es mich nachher angekotzt.« Jedenfalls herrschte ein reger Durchgangsverkehr, und im Saal zur »Sonne« spielte die Tanzmusik sonntäglich von vier bis zwölf passend: »Mein Herz, das ist ein Bienenhaus, die Mädchen sind darin die Bienen, sie fliegen ein, sie fliegen aus, grad wie in einem Bienenhaus, in meines Herzens tiefster Klause, juridirallera, juridirallera, juridiri, juridiri, juridiriridiralla!«
Mit dem Klose-Emil verhielt es sich anders. Sein Vater war Kolporteur, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, in einer Zeit, da so etwas noch als besondre Verworfenheit galt. Eigentlich war er ein umgänglicher, fideler Mann, durchaus kein Fanatiker. Durch vieles Bücherlesen war er zu seiner extremen Stellungnahme gekommen. Und da er seine Buchweisheit gern zum besten gab und in seiner, nie bös gemeinten Spottlust vor nichts haltmachte, wurde er des öfteren von humorlosen Gendarmen bei despektierlichen Äußerungen geschnappt. Karrieresüchtige Juristen, die schneidig einen freimütigen Witz zur Majestätsbeleidigung und eine skeptische Beurteilung der offiziellen Politik zum Landesverrat aufbauschten, schickten ihn von Zeit zu Zeit ins Gefängnis. Frau Klose, ehemalige Kellnerin, die der Sozialist aus übereilter und übertriebener Liebe zu den Opfern der Gesellschaftsordnung geheiratet hatte, nahm ihm sein anstößiges Rebellentum herzlich übel. Sein Sohn Emil hatte später unter des Vaters Verhalten wirklich zu leiden. Lehrer, um ihre der Obrigkeit wohlgefällige Gesinnung zu zeigen, quälten den wehrlosen Knaben mit gehässiger Anspielung auf »vaterlandslose Gesellen«, und in der Religionsstunde ging der Unterricht mit beleidigender Vorsicht um das räudige Schaf dieser Herde in großem Bogen herum. Aber der Junge bewunderte seinen Vater, dichtete in jugendlicher Begeisterung ihm ein heroisches Schicksal mit Opfermut und Standhaftigkeit an, spürte der Mutter Widerstreben, schimpfte es weiblichen Kleinmut, verachtete sie deswegen und ging ganz im Vater, dem leidenschaftlich geliebten und verehrten Vorbild, auf. Ihm hörte er begeistert zu, vor ihm wurde er gesprächig, gab ihm die richtigen Stichworte für die gewohnte politische Brandrede, die alles über den Haufen rannte. Der Mutter gegenüber blieb er schweigsam, im Verkehr mit Gleichaltrigen unbeholfen, argwöhnisch, zurückhaltend. Frühzeitig überfütterte er sich mit allerart Lektüre, wie sie dem Vater Kolporteur durch die Hände ging. Aber wahllos geriet ihm alles durcheinander, es war kein Plan und keine einheitliche Entwicklung dabei. Und so ergab sich, daß der Junge seinen Mitschülern, was den Umfang des Gelesenen anlangte, um viele Jahre voraus und danach für das richtige Leben unbeholfen, wirr, unbrauchbar gemacht war, mehr als der naivste, von keinerlei Literaturballast beschwerte Taugenichts. Es war sein heimlicher Traum, das Gymnasium zu besuchen und zu studieren, um Vaters Politik, besser fundiert, zum Sieger zu machen. Papa Klose, immer zuversichtlich, bestärkte den Sohn in seinen Plänen, spann sie phantasievoll weiter aus, malte mit Worten das berauschende Bild: Emil Klose als Volkstribun, seine Reichstagsrede reißt alle hin, unter der roten Fahne, mit dem Gesang der Internationale, führt man Deutschland herrlichen Zeiten entgegen. Aber er hätte wissen sollen, daß Kloses froh sein mußten, wenn sie halbwegs etwas zu beißen hätten, daß sie nie und nimmer das Schulgeld fürs Gymnasium erübrigen könnten, daß andrerseits für den Sohn des politisch Verdächtigen kein Stipendium in Frage käme, und er mit Kind und Kegel höchst unsichren, um nicht zu sagen: lausigen Zeiten entgegenzog. Frau Klose hatte zu den verstiegenen Gesprächen zwischen Vater und Sohn nur mißbilligend den Kopf geschüttelt. Doch als Emil die Volksschule hinter sich hatte und es nachweislich keine andere Möglichkeit gab, als den Jungen ein Handwerk lernen zu lassen, da nahm Emil das nicht dem Vater übel, sondern schob alle Schuld auf die Mutter. (Die Vernunft spricht gegen ihn. Aber wirklich hat er aus tieferen Gründen damit doch nicht so sehr Unrecht.) Er wurde noch verschlossener, unleidlicher, menschenscheuer, tat in seiner Lehrstelle korrekt, doch unnahbar seine Pflicht, schlang lustlos das Essen hinunter und saß, bis er vor Müdigkeit umfiel, über Büchern. Geselligkeit war durchaus nicht seine Sache und Leichtfertigkeit das Gegenteil seiner Veranlagung. Auch kümmerte