Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen. Max Herrmann-Neisse

Die Bernert-Paula. Eine Geschichte zum Vorlesen - Max Herrmann-Neisse


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hielt, um sein Kunstverständnis und seine Liberalität zu beweisen, eine Grabrede, die mit den ergreifendsten klassischen Zitaten geziert war. Leider wollte sie kein Ende nehmen, schwelgte in den raffiniertesten Kunststücken virtuoser Rühr- und Zermürbungstechnik und wurde durch die Kollegen von der ehrlicheren Theaterfakultät mit der nötigen Sachkunde in allen Nuancen geschmeckt und zu Recht, ob ihrer billigen Mittel, in Grund und Boden kritisiert.

      Frau und Fräulein Kausch wohnten im bevorzugten Kreis der nächsten Leidtragenden mit würdiger Haltung der Trauerfeier bei. Paula drückte sich unter dem neugierigen Volk herum, das dem offiziellen Trauerzuge sich nachgedrängt und mit der gesunden Brutalität der Massen über umgestürzte Kränze und zertrampelten Gräberschmuck eine Aussicht auf das Schauspiel erkämpft hatte. Selbst von diesen, weder zur Andacht gewillten noch sehr taktvollen Leuten wurde Paula zurückgewiesen, als sie während der Leichenrede herausprustete. Und weil sie ihr Gelächter nicht beherrschen konnte, mußte sie vorzeitig den Friedhof räumen.

      Am nämlichen Abend gab es in der Bernertschen Wohnung und in der von Frau Kausch einen gleich schweren Zusammenstoß zwischen Mutter und Tochter.

      Paula war vom Friedhof zu der kleinen Siedlung »Die sieben Seligkeiten« hinaufgelaufen. In ihr war eine unbändige Fröhlichkeit, den Kindern, die dort vor den Hoftoren spielten, rief sie allerlei Ulk zu, in Mährengasse scheuchte sie die Gänse auf, machte, daß die Kettenhunde in gemeinsamem Radau hinter ihr her bellten. Am Bahnübergang mußte sie warten, die Schranken waren geschlossen, ein Personenzug dampfte vorbei, und Paula winkte übermütig den Reisenden, die aus den Fenstern schauten. Dann lief sie über die Festungswälle, obwohl sie keine Erlaubniskarte hatte, machte dem Patrouilleur, der zu ihrem Glück auf der Schanze jenseits des Grabens stand, eine lange Nase und schrie ihm den verhaßten Spitznamen: »Pickatz, Schnicksack« hinüber. An der Ziegelbarriere begegnete ihr eine Abteilung Pioniere, die vom Übungsplatze marschierten und frisch ein unanständiges Soldatenlied sangen, und ausgelassen erwiderte sie das eindeutige Spiel der Mienen und Handbewegungen. Noch zu Hause war sie aufgekratzt, pfiff laut vor sich hin und stellte unter Grimassen und komischem Getu alles fürs Abendessen parat.

      Die Mutter aber kam in ganz entgegengesetzter Stimmung heim. Sie hatte bereits von dem pietätlosen Verhalten ihrer Tochter am Grabe des Herrn Casati gehört und war über ein so lästerliches Betragen ehrlich entrüstet. Was sollten die Leute von ihr denken? Wie kann das ungeratene Ding ihrer Mutter solche Schande machen! Damit es wieder heißt, arme Leute hätten keine Benehmität! Aber von ihr hätte sie das nicht, von ihr nicht! Wann hätte sie, die alte Bernert, wohl je daran gedacht, eine heilige Handlung zu stören, und schließlich sei ein Begräbnis, wenn es auch bloß evangelisch wäre, doch eine heilige Handlung!

      Paula hatte bisher zu Hause nichts von den näheren Begleitumständen des Todesfalles und von den Vorgängen damals bei Elfriede Kausch erzählt. Nun konnte sie nicht mehr an sich halten und platzte mit dem ganzen Tumult ihres Geheimnisses heraus.

      Die alte Bernert meint, sie habe nicht richtig gehört. Aber ihre Tochter wiederholt das Ungeheuerliche mit noch drastischeren Ausdrücken und so herausfordernd siegesgewiß, als berichte sie etwas über die Maßen Löbliches. Die alte Bernert benimmt sich nun in der Weise, die Paula einst der heimgekehrten Frau Kausch zugetraut hatte. Sie geht mit geballten Fäusten auf ihre Tochter los, schreit wie nicht recht gescheit, macht das ganze Haus rebellisch. Aber was die Nachbarsleute sich von der Treppe her erlauschen, das scheint ihnen recht unverständliches, unnützes, dummes Zeug zu sein. Denn immer wieder kommt in dem Gekreisch der Alten die Behauptung vor, das müsse ihr passieren, daß ihre Tochter zur Kupplerin geworden sei. An dem noblen Ausdruck »Kupplerin« tut sie sich gütlich, wer weiß, wo sie ihn bei der Aushilfsschneiderei aufgeschnappt hatte! Aber das war doch garnicht möglich, daß die noch junge Paula ein so schwieriges, riskantes Geschäft, das allerlei Takt und Verschlagenheit erforderte, ausüben könnte wie etwa Mutter Dettlef oder Tante Marta mit ihrer Mangelstube! Man kam zu dem Schluß, daß die Bernerten ausnahmsweise einen über den Durst getrunken hätte, wartete noch etwas auf das anregende Geräusch, das Schläge auf nacktes Fleisch ausgeteilt verursachen, und als es ausblieb, sich der Mutter sinnloses Gebelfer und der schnippische Protest der Tochter nur immerzu wiederholte, kroch der Chor der Horcher enttäuscht und gelangweilt in seine verschiedenen Wohnhöhlen zurück. Noch eine ganze Weile zeterte die Alte ihre abgegriffenen Sprüche, entgegnete Paula schroff und sicher. Natürlich schrieen sie aneinander vorbei und keins von beiden hörte eigentlich auf des Partners Logik oder Unlogik. Schließlich konnten sie nicht mehr, setzten sich erbost zum Abendbrot, kauten wütend, die Mutter unter leichtem Tränengewinsel und Schluckauf, die Tochter mit höhnischer Miene. Als man zu Bett ging, versuchte die Alte während des Ausziehens noch einmal anzufangen, nun aber mit biederem Vorwurf, zum Gewissen Reden, Lamento. Paula erwiderte kein Wort, schlüpfte unter die Decke, drehte sich auf die andere Seite. Nein, mit dieser Frau war kein Geschäft zu machen, sie stand nur im Wege und begriff nichts. Man mußte sehen, so rasch es ging, selbständig zu werden, das lästige Übel dieser unmöglichen Mutter auf das erträgliche Maß an zuverlässig funktionierender Logis- und Kostgeberin zu reduzieren. Und sie in Zustand seliger Ahnungslosigkeit bis zu ihrem sicherlich leichten Ende zu erhalten! Paula warf sich, als sie im Dunkel mäuschenstill wachlag und alles bedachte, nur vor, daß sie heut ihrem Herzen so hemmungslos Luft gemacht hatte. Das sollte ihr nie mehr passieren, morgen früh würde sie übrigens mit dem törichten Weibe den alten Zustand leidlichen Einvernehmens wiederherstellen. Das dürfte kaum schwer fallen, und die Jahre gemeinsamen Mitschaffens, die ihnen dann noch beschieden wären, würden wohl in der bewährten Weise entfremdeten, weltenfernen Nebeneinanders verlebt werden. Draußen polterte, wie stets um diese Zeit, der Kellner Paschke betrunken die Holzstiegen empor, ein kleines Kind schrie ununterbrochen, Katzen jaulten, dann orgelte das Klosett, unten auf der Straße hallte, wie üblich, der holprige Marsch des Wächters Schwanke. Paula schlief beruhigt ein. Ihre Mutter, todmüde von der Tagesrackerei und dem abendlichen Krach, war gleich, nachdem sie die Lampe gelöscht hatte, mitten in einem Klagesatz eingeschlafen und sägte nun ein solides Schnarchen durch die Kammer.

      IX

      Zwischen Elfriede und ihrer Mutter war bis zum Tage von Casatis Beerdigung äußerlich eine Art schweigend vereinbarten Waffenstillstandes innegehalten worden.

      Am Tage nach dem für Casati tödlichen Stelldichein erwachte Elfriede mit einem großen Katzenjammer. Langsam erinnerte sie sich an das Zusammensein mit dem Schauspieler. Ach, der hatte sie schmählich enttäuscht; sie wollte ihn nicht wiedersehen. Aber wo war Paula geblieben? Sie glaubte, ihre zärtliche Hand noch zu spüren – sie möchte Paula nie mehr missen. Ja, wie war das gestern eigentlich ausgegangen? War Mama noch nicht zurückgekehrt? Hatte Paula den widerlichen Komödianten rechtzeitig aus dem Haus gebracht? »Wie bin ich überhaupt ins Bett gekommen?«

      Da ging draußen der feste Schritt der Mutter, wurde die Tür aufgerissen, stand die Alte bedrohlich an der Tochter Bett. Sie hatte schon ein paarmal nachgesehen, ob das Luder seinen Rausch noch nicht ausgeschlafen hätte. Jetzt endlich, um 12 Uhr mittags, geruhte das Biest zu erwachen! Wenigstens wurde für heut auf diese Weise wohl das Mittagessen gespart! Elfriede hatte ein ganz schlechtes Gewissen und keine Ahnung, wie die Dinge standen und wie sie sich verhalten sollte. Also machte sie verlegen unschuldsvolle Augen und flötete versuchsweise mit süßem Mäulchen: »Guten Morgen, Mama!« Frau Kausch aber hatte in der Zwischenzeit einen festen Plan gemacht, und sein Grundzug war: keine Aufregung, eiserne Ruhe, Undurchdringlichkeit, gründliche Vorbereitung einer Reparatur, die endgültig durchgreift und die Zukunft sicherstellt. Bald würde die Mißratene für immer unschädlich gemacht sein – »So wahr mir Gott helfe!« schwor sich die Alte, die gestern an den Fundamenten ihrer Lebensauffassung gereizt worden war. Die Abrechnung würde von einer gewissen Monumentalität sein, es kam auf Kleinigkeiten nicht mehr an, man konnte auf die Lappalien einer landläufigen Schimpferei und Züchtigung verzichten. Umgekehrt wie im Falle Bernert, war hier das Übergewicht, die Erkenntnis der unüberbrückbaren Entfremdung bei der Mutter. Sie antwortete auch nur mit der Feststellung: »Es ist 10 nach 12«, und aus ihrer Stimme vermochte Elfriede nicht zu entnehmen, ob ihre Mama nun eigentlich etwas von dem gestrigen Abenteuer wußte und wieviel. So fragte sie unsicher weiter: »Hattest du eine angenehme Fahrt? Bist du gut nach Haus gekommen?« Ungerührt entgegnete die Mutter: »Um 11 Uhr 15, mit dem fahrplanmäßigen


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